750 Jahre St. Laurentius-Kirche in Achim:
Als Achim noch Haghem hieß!


von Stadtarchivar

Karlheinz Gerhold

Achim. Natürlich gibt es sie viel länger - die Achimer Kirche, die zumindest in Form von Vorläuferbauten (vielleicht aus Holz) wahrscheinlich schon vor 1000 Jahren auf dem heiligen Standort in der Nähe der Lindenwurt existierte. Aber gemeinhin werden runde Geburtstage nach der ersten urkundlichen Erwähnung berechnet und gefeiert. Daher ist es durchaus von Interesse, dass die Achimer Kirche - nach allem, was wir heute wissen und bestätigt durch Recherchen des Kreisarchivs Verden - in einer Urkunde des Bremer Erzbischofs Gerhard II aus dem Jahre 1257 erstmals genannt wurde - also vor 750 Jahren!

Die in lateinischer Sprache verfasste Urkunde selbst ist auf uns gekommen durch ein Notariatsschreiben vom 26. Juni 1557 (sog. Transsumt), in dem sie wörtlich übernommen und zitiert wird. Schon damals sei die Urkunde in einem schlechten Zustand gewesen, jedoch "die Schrift unversehrt". In seinen 1796 erschienenen "Beyträgen zur Erläuterung der ältern und neuern Geschichte der Herzogthümer Bremen und Verden" hat der evangelische Theologe und Pastor in Visselhövede Hermann Schlichthorst (1766 - 1820) dieses Notariatsschreiben abgedruckt. Nachzulesen sind Einzelheiten zudem in den Regesten der Erzbischöfe von Bremen (1937) sowie im Bremischen Urkundenbuch (1873).

Doch worum genau ging es im Jahre 1257 und was war Anlass für die Beurkundung? Erzbischof Gerhard II übertrug den von der Pfarrgemeinde in Achim dem Herrn Henricus Mulle zu Verden abgekauften und dann ihn aufgelassenen Zehnten zu Önigstedt im Kirchspiel Lunsen der Kirche St. Laurentii in Achim. Diesen wichtigen und für die Achimer Kirche sicher wirtschaftlich bedeutsamen Rechtsakt bezeugten im Jahre 1257 unter anderen die Milites Bernhardus de Sledensen und Johannes de Segele, die Bremer Bürger Bernhardus de Mercele, Segebade und Hieronymus de Honstede sowie Johannes Claviger.

Was wissen wir über den Aussteller der Urkunde? Gerhard II. zur Lippe wurde um 1190 geboren als Sohn des Bernhard zur Lippe. Bevor er im Jahre 1219 Erzbischof von Bremen wurde, war er Probst zu Paderborn. Die Unterwerfung der Stedinger Bauern betrieb er kreuzzugartig mit Unterstützung des Grafenhauses Oldenburg: Bekannt ist die Schlacht bei Altenesch im Jahre 1234. Er starb am 28. August 1258, also kurze Zeit nach Ausstellung unserer denkwürdigen Urkunde aus dem Jahre 1257. In ihr werden Achim "Haghem" und Verden "Vherde" genannt. Das Patrozinium der Achimer Kirche wird mit "S. Laurentii" angegeben. Als Patrozinium bezeichnet man die Schutzherrschaft eines Heiligen (Patron) über die ihm geweihte Kirche. Bereits in frühchristlicher Zeit wurde eine Kirche nach einem Märtyrer benannt, später auch ihm geweiht, wenn sie über dessen Grabstätte errichtet worden war oder Reliquien von ihm besaß. Das jährliche Gedächtnis des Patrons wurde festlich im Patronatsfest begangen.
Der Heilige Laurentius war Diakon in Rom, er starb als Märtyrer in Rom im Jahre 258. Nach der Legende wurde er auf einem glühenden Rost zu Tode gefoltert. Schon Anfang des 4. Jahrhunderts gehörte er zu den berühmtesten und meistverehrten römischen Märtyrern, sein Fest (10.August) war nach "Peter und Paul" das höchste in der altrömischen Liturgie. Über seinem Grab ließ Konstantin der Große die Basilika "San Lorenzo fuori le Mura" bauen, die zu den sieben Hauptkirchen Roms gehört.

Die Kirche in der Kaiserzeit

Ein Foto der Achimer St. Laurentius-Kirche aus der Kaiserzeit.

Doch wieso war die Achimer Kirche, deren Turm nach einer Entdeckung des Vechtaer Historikers Prof. Dr. Bernd Ulrich Hucker eine Weiheinschrift aus dem Jahre 1091 enthält, dem Heiligen Laurentius geweiht?

Hier mag ein Exkurs zum Leben und Wirken Kaiser Ottos des Großen (936-973) weiterhelfen. Nach dem Zusammenbruch des Karolingerreichs einigten fünf Herrscher aus dem sächsischen Geschlecht der Ottonen im 10. und 11. Jahrhundert die deutschen Stämme und legten damit das Fundament für die europäische Staatenwelt. Ihre Regentschaft begann im Jahre 919 mit der Wahl des Sachsenherzogs Heinrichs I zum ersten deutschen König, dessen ostfränkisches Reich im Krönungsjahr erstmals Deutsches Reich, "regnum teutonicum", genannt wurde. Heinrichs Sohn Otto I der Große wurde 936 in Aachen zum deutschen König gekrönt. Während seiner Regentschaft erreichte das Reich nach Ansicht der Historiker einen hohen Grad an innerer Stabilität und Einheit. Als äußere Bedrohung sind allerdings die Angriffe der noch nicht sesshaften Ungarn zu nennen, die im Sommer 955 unter ihrem Feldherrn Bulcsu eine Invasion gegen das Deutsche Reich begannen. Die Ungarn hatten auf dem Lechfeld südlich von Augsburg ihr Lager aufgeschlagen und belagerten die Stadt. Otto wählte offenbar den bevorstehenden Tag des heiligen Laurentius am 10. August für den Hauptkampf gegen die Ungarn aus, der vormittags in der Lechniederung nördlich von Augsburg außer Sichtweite der Stadt stattfand. Vor Beginn der Kampfhandlungen hatte Otto das Gelübde abgelegt, zu Ehren des Tagesheiligen Laurentius ein Bistum über seine Merseburger Pfalz zu errichten, falls Christus ihm an diesem Tag aufgrund der Unterstützung durch den Heiligen Sieg und Leben zu geben geruhe.

Und tatsächlich: Unter persönlicher Führung Ottos wurde das ungarische Hauptheer in die Flucht geschlagen und schließlich völlig vernichtet. Der König hatte während der Schlacht die siegverleihende "Heilige Lanze" ergriffen, die bereits sein Vater Heinrich I als wunderkräftigen Reliquienträger einst aus Italien erhalten hatte. Sie zählt seitdem zu den Reichsinsignien. Die Heilige Lanze wird mit dem heiligen Mauritius in Verbindung gebracht, der bereits von den Franken als prominenter Kriegerheiliger verehrt wurde. Und tatsächlich siegt Otto über die Ungarn, was ihm bereits zu Lebzeiten den Ehrentitel "der Große" einbrachte.

Neben Laurentius hat Otto auch dem Mauritius für seine Sieghilfe danken wollen, nachdem die Heilige Lanze, die er im Gefecht ergriffen hatte und die als Mauritius-Reliquie galt, ihre siegverleihenden Kräfte bewiesen hatte. Nach seiner Kaiserkrönung im Jahre 962 in Rom hat Otto dann auch für die Erzbischöfe von Salzburg, Mainz, Trier und Hamburg-Bremen päpstliche Privilegien veranlasst, die es ihnen erlaubten, das Pallium auch an den Festtagen des Laurentius und Mauritius zu tragen. Beide Heiligen wurden so zu den Schutzpatronen der kaiserlichen Familie. Was liegt näher als zu vermuten, dass in dieser Zeit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts Kirchen diesen beiden Heiligen geweiht wurden und unter das Patronat dieser Heiligen gestellt wurden?

Da also die Verehrung des heiligen Laurentius im 10. Jahrhundert sehr populär war, ist eine Benennung der Achimer Kirche nach diesem Patron zumindest wahrscheinlich. Somit wäre das Patrozinium der Achimer Kirche eine Folge des Sieges Ottos des Großen auf dem Lechfeld über die Ungarn.

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