"...so seien die Kommunisten schuld, die ihnen in den Rücken fallen!"
Schlaglichter aus der Geschichte der Achimer Arbeiterbewegung
Teil 10: 1930


Karlheinz Gerhold, Geschichtswerkstatt Achim
Ganz Deutschland steht im Jahre 1930 im Zeichen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, die sich bereits Ende 1929 mit dem "Schwarzen Freitag" an der New Yorker Börse am 24. Oktober zeigte. Die Koalitionsregierung des letzten sozialdemokratischen Reichskanzlers der Weimarer Republik Hermann Müller (1), der seit dem 28. Juni 1928 im Amt war, stürzte im Streit über die Finanzierung der Arbeitslosenversicherung am 27. März 1930 angesichts eines Kassendefizits von 1,7 Milliarden Mark Ende 1929. Es folgte die Reihe der mit Notverordnungen regierenden Präsidialkabinette, beginnend mit Heinrich Brüning (Zentrum).

In dieser Situation verstärken sich Feinde der republikanischen Verfassung ihre agitatorischen Bemühungen, um die geschwächte Republik weiteren Schaden zuzufügen. In Achim veranstaltet die Ortsgruppe Achim der NSDAP am 31. Januar 1930 eine öffentliche Versammlung zur Diffamierung der Außenpolitik der Reichsregierung.

Auf Seiten der Arbeiterbewegung veranstaltet das republiktreue Achimer Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, jene sozialdemokratische Schutzformation zur Stützung der angeschlagenen Weimarer Republik, am 8. Mai 1930 im Saale des Schützenhofes einen "Republikanischen Abend" (2):

Die Mitglieder des Reichsbanners sowie die republikanisch gesinnten Einwohner waren der Einladung zahlreich gefolgt; der große Schützenhofsaal war bis auf den letzten Platz besetzt. Unter Mitwirkung des Dramatischen Vereins, des Gesangvereins "Frisch auf" und der Reichsbannerkapelle Baden hatte der Verein ein dem Abend angepasstes Programm zusammengestellt. Als Festredner war der Landtagsabgeordnete Helfenberger aus Hemelingen gewonnen. Die ganze Veranstaltung verlief in harmonischer Weise. Nach einigen flotten Marsch- und Konzertstücken der Kapelle, unter Leitung des Herrn Gehring - Bremen, brachte der Gesangverein "Frisch auf", unter Leitung seines Dirigenten Herrn Meyer-Schierloh-Bremen, die "Hymne an das Feuer" zum Vortrag. Hierauf hielt Herr Helfenberger die Festrede, in welcher er von der Gründung des Reichsbanners sprach. Sie sei eine Organisation zum Schutze der Republik und der Demokratie. Aber dies nicht allein, sie hätte es sich auch zur Aufgabe gemacht, den Hinterbliebenen der Kriegsopfer zu helfen und zur Schulung des Arbeiters beizutragen; das Reichsbanner habe einen ungeahnten Siegeszug genommen. Zum Schluss seiner Rede forderte der Redner auf, weiter zu kämpfen für die Ideale der Republik und schloss mit einem "Frei heil" auf die deutsche Republik und auf das Reichsbanner. Anschließend sang der Gesangverein "Frisch auf": "Mein Herz tu dich auf", dem ein komisches Duett "Das Kellnerpaar vom Grand-Hotel" folgte. Nachdem noch das Volkslied "Im Krug zum grünen Kranze" sehr schön zum Vortrag gebracht wurde, erfolgte ein Charaktervortrag "Der Sträfling aus Sibirien". Alle Stücke fanden den ungeteilten Beifall des Publikums. Hierauf wurde von den Mitgliedern des Dramatischen Vereins der Schwank "Die Welt geht unter" aufgeführt, auch dieser trug zur angenehmen Abwechslung des Abends bei. Den Schluss des Abends bildete der übliche Festball, der die Besucher noch lange in vergnügter Stimmung zusammenhielt.

Am 19. März 1930 wurde bezeichnenderweise das Republikschutzgesetz verabschiedet, das Strafen vorsieht für die Beschimpfung auch verstorbener Reichspräsidenten und Minister, der Flaggen des Reiches und der Länder sowie bei Verherrlichung des Hochverrats. Immerhin 256 Reichstagsabgeordnete waren dafür, 150 dagegen: Konkreter Anlass waren die Beleidigungen des verstorbenen sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert durch rechtsextreme Verfassungsfeinde wie Nazis und andere.

Im Kabinett Brüning sind Sozialdemokraten nicht mehr vertreten. Die SPD Achim kommentiert die neue Lage wie folgt: Im Protokoll der Mitgliederversammlung vom 18. April 1930 lesen wir:

"Sodann wurde die Tagesordnung wie folgt erledigt. Zum 1. Punkt: Vortrag über die politische Lage gab der Referent einen Überblick über die Gestaltung der politischen Situation in jüngster Zeit: das Zustandekommen des Young-Planes, der Verlauf der Regierungskrise, die Annahme der Zoll- und Steuer-Gesetze im Reichstage. Besonders die Frage der Teilnahme unserer Partei an der Regierung und die Gestaltung der politischen Verhältnisse ohne Mitwirkung unserer Partei geben bei der jetzigen Bürgerblockregierung zu denken. Man müsse endlich einmal in unserer Partei zu einer klaren Entscheidung kommen: entweder Oppositionspartei oder Regierungspartei, die ganze Entwicklung der Dinge läuft auf eine schwere Schädigung der Arbeiterklasse hinaus. Immerhin liege die Möglichkeit für Neuwahlen im Herbst vor. Für die Arbeiterschaft heißt es: gerüstet sein für die Kämpfe in kommender Zeit.
In der nun folgenden Aussprache, an der sich die Genossen Snieder, Bastian, Schumacher, Seekamp und Theissen beteiligten, wurde von den meisten Rednern das Fehlen unserer Genossen im Reichstage bei den entscheidenden Abstimmungen kritisiert. Im Schlusswort ging der Referent auf die Debattenäußerungen näher ein und bemerkte abschließend, bei Beurteilung des ganzen Fragenkomplexes sich stets von großen Gesichtspunkten leiten zu lassen."

Die traditionelle Achimer Maifeier fand am 1. Mai 1930 auf dem Schützenhofe statt (4):
"Bei strahlendem Sonnenschein traten die Teilnehmer zu dem Umzuge an, der unter Vorantritt der Verdener Stadtkapelle und mehrerer Fahnen durch die Bergstraße, Meislahnstraße, Mühlenfeld und Mühlenstraße zurück zum Schützenhof führte, wo unter den hohen Linden des Hofes die Ansprache des Landtagsabgeordneten Herrn Helfenberger folgte. Der Redner wies in seinen Ausführungen auf den jahrzehntelangen Kampf der Sozialdemokratie hin und ging dann auf die politischen Ereignisse der letzten Zeit ein. Zu den schweren steuerlichen Belastungen, die besonders den Lohn- und Gehaltsempfänger treffen, sei jetzt noch die Warenhaussteuer gekommen. Die Sozialdemokratie dürfte niemals vergessen, dass diese Steuer mit Hilfe des Mittelstandes durchgebracht sei. Die Regierung Brüning habe erst mit ihrer Tätigkeit begonnen. Sie wird weiter arbeiten zum Schaden der Arbeiterschaft und im Interesse der Bürgerschaft. Wenn die Arbeiterschaft nicht wachsam sei und sich rüste auf den Tag, an dem diese Regierung nicht mehr in der Lage sei, den Groß-Grundbesitzern das zu geben, was man von ihr verlange, dann werden diese Kreise, die kürzlich die Regierung in den Sattel gehoben haben, sie auch wieder fallen lassen. Auf diesen Tag warte die Arbeiterschaft, sie werde gerüstet sein. Hierzu müsse gearbeitet werden innerhalb der ihr zustehenden Koalition der Gewerkschaften, der Partei und der Genossenschaften. Dies seien die drei Grundpfeiler der Arbeiterbewegung. Der Redner forderte die Anwesenden auf, in diesem Sinne an der Befreiung der Arbeiterschaft mitzuarbeiten und damit das Recht auf Arbeit zu erkämpfen. Arbeitslos seien nicht diejenigen, die nicht arbeiten wollten, sondern diejenigen, die nicht arbeiten könnten. Mit einem dreifachen Hoch auf die internationale Gewerkschaftsbewegung schloss der Redner. Die Musik intonierte hierauf die Internationale, die von den Anwesenden mitgesungen wurde. Im Saale des Schützenhofes fand dann anschließend die Abstempelung der Bücher der anwesenden Gewerkschaftsmitglieder statt. Heute Nachmittag um 14 Uhr finden auf dem "Grünen Jäger" in Uesen Kinderbelustigungen statt. Den Abschluss des Tages bildet die um 20 Uhr im Schützenhof beginnende stille Feier, an der außer Herrn Lehrer Günzel auch die Sozialistische Arbeiter-Jugend, sowie die Freie Turnerschaft und der Gesangverein "Vorwärts" mitwirken werden."

In der Gemeindeausschusssitzung am 15. Mai 1930 diskutierte man die Notwendigkeit, dass die Gemeinde für wohnungslose Familien Wohnräume schaffen müsse. In Betracht käme die frühere Zigarrenfabrik von Dreyer und Pollius, die von der Bremer Bank für 20.000 Mark angeboten wurde. Eine Entscheidung hierüber wurde nicht getroffen.

Das Achimer Kreisblatt berichtet am 12. Juni 1930, dass der preußische Innenminister das Tragen der nationalsozialistischen Uniform verboten habe.

Die Mitgliederversammlung der Achimer SPD kritisierte am 19. Juli 1930, dass in der Schule zu Bierden noch die Bilder der ehemaligen Monarchen vorzufinden seien. Diese Angelegenheit solle an die Republikanische Beschwerdestelle weitergeleitet werden. Im Gemeindeausschuss beantragt Theiß (SPD), "in Zukunft an der Badeanstalt die Reichsflagge zu hissen". Der Antrag wurde angenommen.

In Achim soll ein Ehrenmal zum Gedenken an die Gefallenen des I. Weltkrieges errichtet werden. Im Denkmalausschuss sind auch Mitglieder der Arbeiterbewegung vertreten: Zigarrenmacher Hackmann, Zigarrenarbeiter van der Poll, Lagerhalter Rübeck. Fritz Rübeck war 1930 1. Vorsitzender der Achimer SPD.
Über die SPD-Unterbezirkskonferenz lesen wir im Achimer Kreisblatt am 19.8.1930. "Die Konferenz des Unterbezirks Achim-Hemelingen-Rotenburg-Zeven-Verden der SPD tagte am letzten Sonntag im Hotel "Deutsches Haus" (Dunker) in Verden. Sie war von Vertretern der einzelnen Ortsvereine sehr zahlreich besucht. Nach Begrüßungsworten des Herrn Lieberknecht hielt Herr Bergmann vom Bezirksvorstand der SPD Hamburg ein ausführliches Referat über die bevorstehenden Reichstagswahlen und den Wahlkampf der SPD. Er erörterte dabei die augenblicklich besonders brennenden Fragen wie Arbeitslosenproblem, Agrarfragen, Rationalisierung, Fehlbetrag im Reichshaushalt und Deckungsmöglichkeiten dafür, Notopfer, Kopfsteuer usw. Herr Strauß-Hemelingen teilte dann mit, dass demnächst der 1. Bundesvorsitzender des Reichsbanners, Kamerad Hörsing-Magdebur (5), in Verden in einer Versammlung sprechen werde. Nach Erledigung verschiedener Angelegenheiten fand die Tagung mit einer gemeinschaftlichen Mittagstafel ihr Ende."

Der Wahlkampf zur Reichstagswahl am 14. September 1930 wurde in mehreren Veranstaltungen heftig geführt. Auffällig ist vor allem dass die Kommunisten hauptsächlich die SPD kritisierten; so während einer SPD-Wählerversammlung am 5. September 1930 im Schützenhof mit dem SPD-Reichstagsabgeordneten Biedermann aus Hamburg.

"Herr Rübeck eröffnete die gut besuchte Versammlung. Der Redner wies auf die letzten Wahlreden von Scholz, Treviranus und Hugenberg hin, dass gegen die Sozialdemokraten regiert werden müsse….."Freie Aussprache", zu der sich ein Herr Friederichs (Komm.) zu Wort meldete. Dieser wandte sich in der Hauptsache gegen die Sozialdemokratie und deren Wahlaufruf. Er warf ihnen vor, dass sie bei den letzten Wahlen den Wählern viel versprochen, aber nichts gehalten oder erreicht hätten….."Referent: "Wenn die SPD in der Erreichung ihrer Ziele nur langsam vorwärts komme, so seien die Kommunisten schuld, die ihnen in den Rücken fallen…" "Gegen ½ 12 Uhr schloss Herr Rübeck die recht interessant verlaufene Versammlung."

Das Achimer Kreisblatt berichtet in seiner Ausgabe vom 9. September 1930 über die Hetzreden der Nazis in einer öffentlichen Wählerversammlung:

"Der Große Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. "Die Geschichte der sozialdemokratischen Kabinette bis heute ist eine Geschichte der Korruption und der Hochstapelei. Unter Severings Herrschaft hat eine wahre Juden-Invasion nach Deutschland eingesetzt. Er hat das sog. Beutesystem in der deutschen Beamtenschaft eingeführt, durch das Hunderttausende von bewährten Beamten mit tadelloser Gesinnung abgebaut wurden, um Leuten, die mit dem roten Parteibuch ausgestattet waren, sonst aber nicht die geringsten Fähigkeiten für diesen Posten hatten, Platz zu machen…" Alle Parteien werden geschmäht. "Der Nationalsozialismus will in dem Volke den pazifistischen Gedanken bekämpfen und will dem Volk einprägen, dass es nur dann leben und blühen kann, wenn es bereit ist, sich mit der Waffe in der Hand sein Lebensrecht zu erkämpfen. Wir müssen wieder ein Volksheer haben zum Wohle unseres Volkes und zum Wohle unserer Jugend, die heute in einer Arbeitslosigkeit sondergleichen verkommen muss. Wir wollen wieder frei werden von der verjudeten Verwaltung. Banken und Börsen sollen verstaatlicht werden. Wir wollen nicht enteignen. Unsere Bewegung wird um so mehr wachsen, je schärfer man uns verfolgt…" Es meldete sich - wie immer - kein Diskussionsredner."

Dem folgt am 10. September 1930:

"Eine kommunistische Wahlversammlung fand gestern Abend auf dem Schützenhofe statt, in welcher als Redner ein Herr Bahlman über die Auswirkungen der Entwicklung der heutigen Gesellschaftsordnung zur sozialistischen Ordnung sprach. In seinen Ausführungen, die sich in dem bekannten Rahmen bewegten, ging der Redner vor allem den Sozialdemokratischen energisch zu Leib. Von Seiten der Letzteren wurde dem Redner von den Genossen Seekamp und Theiß erwidert. Etwas Neues brachte ein dritter Achimer Redner in die Debatte, als er seine Ausführungen mit dem Satze schloss: "Wir sind alle Arbeiter, und weil wir alle Arbeiter sind, so ziehen wir alle an einem Strang, und weil wir alle an einem Strang ziehen, so wählt Liste 1! Im übrigen nahm die Versammlung einen ruhigen Verlauf."

Die Reichstagswahlen am 14. September1930 brachten eine gewaltige Zunahme der Abgeordnetenzahl der Nazis:
Partei Anzahl der Sitze
SPD 143 (bisher 152)
NSDAP 107 (12)
KPD 76 (54)
Zentrum 69 (61)
Deutschnationale 41 (72)
DVP 26 (45)
Wirtschaftspartei 23 (23)
Deutsche Staatspartei 22 (25)
Bayerische Volkspartei 18 (17)
Christlich nationales Landvolk 18 (9)
Christlich sozialer Volksdienst 14 (-)
Deutsche Bauern 6 (8)
Deutsche Hannoveraner 5 (4)
Landbund 3 (-)
Konservative Volkspartei 2 (-)
Im Gebiet der heutigen Stadt Achim hatte die Reichstagswahl dieses Ergebnis (6):
Gemeinde SPD DNVP Zentrum KPD DVP Deutsche Staatspartei Wirtschaft NSDAP Deutsch Hannoversche Partei
Achim 914 199 12 107 118 118 48 651 318
Baden 452 51 3 58 37 55 17 123 150
Bierden 82 26 - 7 16 4 - 44 18
Bollen 41 24 - - 2 10 10 37 7
Embsen 47 15 - 1 9 6 1 51 107
Uesen 155 39 - 12 12 3 - 109 47
Uphusen 251 26 - 28 28 17 11 100 62
...                  
Kreis Achim insgesamt 6673 1235 325 1386 945 977 560 3324 2285
Zur Reichstagseröffnung erscheinen die 107 Nazis im "Braunhemd", obwohl es in Preußen verboten ist.

Auf Einladung der Deutschen Friedensgesellschaft sprach am 19. November 1930 W.H. Dressler aus Frankfurt im Achimer Schützenhof:

"Deutschlands Totengräber an der Arbeit …. Auf die Umwälzung von 1918 und die heutigen Verhältnisse eingehend, lehnte er eine Schuld des neuen Staates an den heutigen entsetzlichen Notzuständen ab, da heute die nationalsozialistischen Gegner versuchten, den Zustand des Kadavergehorsamsstaates der Vorkriegszeit wiederherzustellen. Der Krieg sei nicht durch den Dolchstoß beendet, sondern durch den lebendigen Schrei der menschlichen Kreatur, dass mit diesem Wahnsinn, dem Morden endlich ein Ende gemacht werden musste. Der Sinn dieses Krieges sei eine Aufopferung des Volkes im Interesse des Kapitals und der Kriegsverdiener gewesen. Alle Offiziere der Kriegszeit, die jetzt als Führer der Nationalsozialisten fungieren, glaubten, dass das Volk wieder reif sei für einen neuen Krieg…. Es war ein Fehler, dass damals die neue Regierung nicht alle Offizierspensionen abgeschafft habe; ein zweiter Fehler der Revolution war, dass sie nicht Kirche und Staat rücksichtslos trennte, und eine weitere Unterlassung wäre gewesen, dass sie aus den Ämtern der Behörden und Verwaltung nicht alle die Menschen entfernt habe, die den neuen Staat nicht bejahten... Hierauf wandte sich der Redner scharf gegen die Nationalsozialisten, die Mussolini 1927 als Raubritterbande bezeichnet habe. Wer den Einzug der 107 Nationalsozialisten in den Reichstag miterlebt, wer gesehen, wie draußen die Anhänger auf das Zeichen zum Losschlagen warteten, könne sich ein Urteil selbst bilden. (Der Redner wurde hier durch wiederholte Pfuirufe unterbrochen). Rowdytum habe es immer gegeben, wenn es galt, im Trüben zu frischen…. Wir dürfen nicht dulden, dass eine irregeleitete Jugend uns in einen neuen Krieg hineinjagt…. Wir Sozialisten und Friedensfreunde müssen einen Wall gegen diese Art Totengräber aufrichten, wir wollen, dass das Land, die heimatliche Scholle nicht verwüstet wird, dass jedes Kind atmen, leben könne und eine Zukunft habe, wir halten das Leben höher als den Heldentod, der ein Dreck sei. (Pfuirufe!) …. Nach einer kurzen Pause gab der Versammlungsleiter, Herr Seekamp, bekannt, dass sich zur freien Aussprache kein gegnerischer Redner gemeldet habe. Herr Bastian beglückwünschte den Referenten zu seinen Ausführungen und wandte sich ebenfalls kurz gegen die NSDAP…. Herr Seekamp (7) schloss, nachdem er nochmals gegen die Nationalsozialisten gesprochen hatte, die Versammlung."

Der Achimer Gemeindeausschuss beschließt im Dezember 1930, die Grundvermögens- und Gewerbesteuern "wegen der schlechten Wirtschaftslage" nicht zu erhöhen. Im Rahmen der Etatberatungen wird deutlich, dass durch die große Arbeitslosigkeit viele Einwohner der Fürsorge anheim fallen.

Das Jahr 1930 endet mit weiterer Polarisierung der politischen Kräfte an der äußersten Rechten und Linken.
Zum Schluss noch einige kommunalpolitische Fundstücke des Jahres 1930:
* Am 14. Juni 1930 berichtet das Achimer Kreisblatt über "50 Jahre Achimer Bevölkerungsbewegung".
Jahr Bevölkerung +/-
1875 2915  
1885 2820 - 95
1895 3055 + 235
1900 3076 + 21
1910 3630 + 554
1925 4063 + 433
* Die Volkszählung von 1925 ergab für den Kreis Achim
3372 Personen in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft
1779 Personen im Handel und Verkehr
Die meisten Achimer sind als Tischler tätig:
8 als Gärtner
147 als Maurer
231 als Schlosser
64 als Schmiede
319 als Tischler/Stellmacher
136 als Schneider/Näher
54 als Schuhmacher
55 als Maler/Lackierer
46 als Kraftfahrer/Kutscher
7 als Kellner
18 als Köche
17 als Barbiere
*Am 9. November 1930 ehrt Albert Theißen im Rahmen einer Bühnenaufführung der Freien Turnerschaft Achim H. Eckstein für 25-jährige Mitgliedschaft. Eckstein war Leiter des Trommler- und Pfeiferkorps und Turnwart in der Freien Turnerschaft Achim im Arbeiter-Turn- und Sportbund.

*Am 23. November 1930 wurde der Grundstein für das Kriegerehrenmal in Achim gelegt. In einer Kapsel deponierte die Gemeinde im Grundstein die Errichtungsurkunde, ein Verzeichnis der Gefallenen, ein Eisernes Kreuz, das Buch "Sperrfeuer um Deutschland" von Werner Beumelburg, eine Zeichnung des Ehrenmals, den Beschluss des Gemeindeausschusses der Gemeinde Achim vom 19. Mai 1921, Abschriften von Genehmigungsurkunden für die Haussammlung, Notgeldscheine des Kreises Achim, kurze Nachrichten von der Gemeinde Achim und das Verzeichnis der Mitglieder des Ortsausschusses für die Errichtung des Kriegerdenkmals.

*1. September 1930: Das Achimer Kreisblatt veröffentlicht einen Nachruf: Heinrich Meislahn verstorben (geboren am 6.12.1839), Architekt, 20 Jahre Mitglied des Gemeindeausschusses, Mitbegründer der Freiwilligen Feuerwehr und des Verschönerungsvereins Achim, 50 Jahre Vorsitzender des Schützenvereins Achim, Vorsitzender des Kriegervereins Achim.

*In Achim 1930 aktive Vereine und Organisationen (soweit sie im Achimer Kreisblatt in Erscheinung treten): Gesangverein Harmonie Baden, Schützenverein Uphusen (gegründet 1920), Freie Turnerschaft Achim (beging 1930 ihr 50jähriges Fahnenjubiläum), Gesangverein Eintracht Uphusen, Freiwillige Feuerwehr Achim, Kriegerverein Achim (Vorsitzender Architekt Meislahn), Arbeiterturn- und Sportverein Roedenbeck Badenermoor, Gesangverein Thalia (1. Vors. Heinrich Hase), Turnerbund Uphusen (1. Vors. Hermann Radecke), Dramatischer Verein Achim, Gesangverein "Frisch auf" Achim, Club Niedersachsen zu Embsen und Umgebung, Turnverein zu Baden, Turnverein zu Achim (1. Vors. W. Meyer, Uesen), Radfahrerverein "Fahr Wohl" Achim, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Ortsverein Baden, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Ortsverein Achim, Sportverein "Weser" von 1903 Achim, Landwirtschaftlicher Hausfrauenverein Achim (gegründet 1930), Gesellschaftsklub "Bierdenia" e.V., Turn- und Sportverein Borstel (gegründet 1926), Konsumgenossenschaft Vorwärts Achim, Schwimmverein zu Achim (1. Vors. Willi Siemers), Geflügelzuchtverein Achim (1. Vors. Hinrich Elfers), Pferdezuchtverein Achim, Gesangverein Erika Badenermoor, Sportverein Uesen von 1924
Eisenbahnverein, Turnverein Bierden (gegründet 1929), Gesangverein Vorwärts Achim, Sportverein Baden e.V., Gesangverein Teutonia Achim, Männergesangverein Embsen von 1930.

Der Turnverein zu Achim beging 1930 sein 70jähriges Vereinsbestehen, über das das Achimer Kreisblatt am 22. August 1930 berichtete:

"70 Jahre Turnverein zu Achim:
1860 wurden die ersten Turner-Sonderbünde nach der Turnsperre gebildet. Konrad Gödeke führte diese. Im Verein waren überwiegend Zigarrenmacher. Der noch heute bestehende "Brennofen" auf dem Dreiersberg wurde als erstes Turnlokal für jährlich 10 Taler gepachtet. Vereinslokal war die Wirtschaft "Pavillon" von Puvogel, die sich auf dem Hügel befand, der heute das vom Herrn Architekten Meislahn bewohnte Haus vor der Kleinen Bahnhofstraße trägt. Zu den Füßen dieses Hügels lag der Turnplatz, auf dem sommertags am Turn- und Klettergerüst, am Schwingel (jetzt Pferd), am Reck und Barren geturnt wurde, auf dem die Jugend im Stock, Lauf, Sprung, Spiel und Ringen ihre Kräfte maß. Winterntags wurde beim Talgstummel in dem schon erwähnten "Brennofen" geturnt. In der Leitung des Vereins standen K. Gödeke Männer wie W. Schröder, Müller, Lingener, Bruns, Landwehr, Dähnel, R. Nagel, A. Bischoff u.a. zur Seite. 1877 wurde mit dem Bau der heutigen Turnhalle begonnen. "Gute Zucht war Grundlage des Turnens, unehrenhafte Handlungen im Vereins- und Privatleben wurden durch Ausschluss geahndet…" "Sorgfältig vor- und durchgebildete Turnwarte und Vorturner, von denen besonders Christel Gödeke, Johs. Köhlmos und Ravens jun. zu nennen sind, mit vielen eifrigen und begeisterten Helfern, Vereinsvorsitzender oder Sprecher, wie man sie früher nannte wie Heinr. Ravens, H. Köhlmos und Hermann Ravens, welch letzterer den Verein 30 Jahre führte, Kassenwarte und Schriftführer wie Christel Jung und Johann Jäger, die beide auch 2 ½ Jahrzehnte um den Verein bemüht waren, festigten das Vereinsgefüge und die Erkenntnis der Notwendigkeit geregelter Leibesübung in immer weitere Kreise."

(wird fortgesetzt)
Anmerkungen

(1) vgl. Sternburg, Wilhelm von (Hrsg.), Die deutschen Kanzler. Berlin 1998, S. 191 ff.

(2) Achimer Kreisblatt vom 10. März 1930

(3) Bielefeld, Edith/Gerhold, Karlheinz/Knof-Grotevent, Christiane, Die Protokollbücher der Achimer SPD 1912 - 1954, Achim 1991, S. 65

(4) Achimer Kreisblatt vom 2. Mai 1930

(5) Otto Hörsing aus Magedeburg hatte das Reichsbanner Schwarz Rot Gold als antifaschistische republiktreue Schutzformation gegründet.

(6) vgl. auch: Kienzle, Robert, Vor fünfzig Jahren, Wahlergebnisse berichten, in : Heimatkalender für den Landkreis Verden 1983, Verden 1982, S. 202 ff.

(7) Dietrich Seekamp war seit 1922 zweiter Vorsitzender der SPD Achim und Gemeindeausschussmitglied.
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