"Für die Erhaltung der Republik..."
Schlaglichter aus der Geschichte der Achimer Arbeiterbewegung
Teil 11: 1931


Karlheinz Gerhold, Geschichtswerkstatt Achim

Die Wirtschafts- und Finanzkrise spitzt sich 1931 dramatisch zu. Im Mai und Juli des Jahres brechen die Österreichische Creditanstalt und die Darmstädter und Nationalbank als eine der unmittelbaren Folgen des weltwirtschaftlichen Niedergangs zusammen. Hohe Arbeitslosenzahlen führen zu einer weiter zunehmenden Radikalisierung der Politik, insbesondere zu einer Abwendung von den demokratischen und republiktreuen Kräften. Die Feinde der jungen Weimarer Republik auf der linken und rechten Seite gewinnen an Einfluss. Die Reichsregierungen unter Brüning, von Papen und von Schleicher meinen, nur noch mit Notverordnungen und Polizeieinsatz die staatliche Ordnung aufrechterhalten zu können. Seit 1930 war die SPD im Reichstag in der Opposition.

Mit der Zunahme der Radikalisierung nahm auch die Gewaltbereitschaft zu. Von einem Vorfall mit Verletzten berichtet das Achimer Kreisblatt (1), als die antifaschistische Schutzformation der republiktreuen Kräfte, das "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" in Thedinghausen am 9. Januar 1931 eine Kundgebung abhielt, in deren Verlauf es zu Reibereien kam, "wobei mehrere Personen verletzt wurden. Der Aufforderung des Reichsbanners an die Nationalsozialisten, einen Diskussionsredner zu stellen, kamen diese nach, indem der Reichstagsabgeordnete Leiste sprechen sollte. Als der Redner des Reichsbanners Hitler beschuldigte, einen Meineid geschworen zu haben, rief Leiste: "Sie sind ein gemeiner Lügner!" Gleichzeitig erhob sich Leiste, um den Saal zu verlassen und mit ihm ließen fast sämtliche Versammlungsbesucher, nicht nur Nationalsozialisten, den Saal. Nunmehr fielen die Reichsbannermitglieder über die Nationalsozialisten her und schlugen mit Stöcken, Pfeifen und Trommelstöcken auf sie ein. Ein nationalsozialistischer Lehrer wurde schwer verletzt, zwei andere Versammlungsteilnehmer leicht."

Der Bundesvorsitzende des Reichsbanners, der Magdeburger Oberpräsident a.D. Otto Hörsing machte in Achim Halt und sprach am 24. Januar 1931 im Schützenhof Achim über "Die Not Deutschlands". Im Achimer Kreisblatt vom 22.1.1931 stellten die hiesigen Nazis klar:
"Von der NSDAP, Ortsgruppe Achim wird uns geschrieben: Zu den in Umlauf gesetzten Gerüchten, dass die Nationalsozialisten zu der am 24. Januar in Achim stattfindenden Hörsing-Versammlung erscheinen würden, womit anscheinend der Zweck verfolgt werden soll, der Versammlung einen interessanten Anstrich zu geben, wird hierdurch mitgeteilt, dass die Nationalsozialisten die besagte Versammlung nicht besuchen werden."

Von der Veranstaltung berichtet die Presse (2):
"Otto Hörsing in Achim.
Der Bundesführer des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold weilte am vergangenen Sonnabend auf der Reise nach Bremen für einige Abendstunden in unserem Ort, um auf einem von der hiesigen Ortsgruppe des Reichsbanners veranstalteten "Deutschen Abend" die Hauptrede zu halten. Gegen acht Uhr hatte sich vor dem hiesigen Bahnhofsgebäude eine Abteilung des Reichsbanners aus Achim und Umgegend in Stärke von zirka 200 Mann aufgestellt, um ihren Führer zu begrüßen und zum Schützenhof zu gleiten. Auf der Bahnhof- und Obernstraße hatten sich in Abständen von 10 - 15 m Fackelträger aufgestellt, um Spalier zu bilden. Da viele auswärtige Ortsgruppen des Reichsbanners erschienen waren, u.a. von Hamburg, Verden und Hemelingen, war der Schützenhofsaal dicht besetzt, als nach einigen Musikvorträgen eines Trommler- und Pfeiferkorps und dem Einmarsch der Fahnen der Bundesführer das Wort zu seiner Rede ergriff, die sich in nachstehendem Gedankengang bewegte. In kurzen Worten schilderte vorerst der Redner, ausgehend von dem verlorenen Weltkriege, den Leidensweg des deutschen Volkes. Auf Grund der im Versailler Vertrag festgelegten unwahren Behauptung von der Alleinschuld Deutschlands im Kriege seien unserem Volke unsagbare Tributlasten auferlegt worden. Dann kamen nacheinander die verschiedenen Verträge, einer schmerzlicher als der andere, abschließend mit dem Youngplan, den das vorige Kabinett des Kameraden Müller glücklicherweise unter Dach und Fach bringen konnte. Dann schlug der 14. September vorigen Jahres dem deutschen Volk, dessen Unglück wahrhaftig schon groß genug war, neue, furchtbar tiefe, brutale Wunden, die dem Volke von einer Minderheit, bestehend aus Deutschnationalen, Nationalsozialisten und deren politischen Helfershelfern, den Kommunisten, versetzt wurden. Seit diesem Tage wird Deutschland, das, wie uns bekannt ist, der Welt den Frieden gegeben hat, das nicht mit Unrecht das Volk der Denker und Dichter genannt wird, nicht mehr wie früher als das Volk einer hohen Intelligenz angesehen. Denn die Welt frage sich mit Recht, wie kann ein Volk von so hoher Kultur politischen Phantomen nachjagen, die nicht im geringsten einen Ausweg aus der heutigen Lage zeigen, die kein Wirtschaftsprogramm aufweisen, weil sie Deutschland vernichten wollen, die die Lüge, die Verleumdung, den politischen Mord und den Hoch- und Landesverrat auf ihre Fahnen geschrieben haben, in diesem Zusammenhang setzte sich der Redner mit den Nationalsozialisten und besonders mit Hitler auseinander. Durch die Katastrophenwahlen im vorigen Jahre ist aber auch unsere Wirtschaft und unsere Finanzgebahrung aufs schwerste erschüttert. 1 ¾ Milliarden kurzfristige Anleihen haben wir seit diesem Tage zurückzahlen müssen. Die letzten 1 ½ Millionen Arbeitslose sind auf das verbrecherische politische Treiben der Nazis und Kommunisten zurückzuführen. Die Modekrankheit des Hitlerismus, die augenblicklich das ganze Volk erfasst hat, birgt nicht zu verkennende Gefahren in sich, denn die politische Atmosphäre wird immer überhitzter und es wäre Wahnsinn, wenn man verkennen wollte, dass die innerpolitische Situation recht gefahrdrohend ist. Über die Deutschnationalen seien nicht viel Worte zu verlieren, da sie nur noch eine unbedeutende Rolle spielen. Der Redner hat durch ein sehr eifriges Studium festgestellt, dass mindestens 95 Prozent des sogenannten Programms der Nationalsozialisten gestohlen ist und zwar von der Reichsverfassung, von den Kommunisten und von der SPD. Ihr einziges geistiges Eigentum, der Satz von der Befreiung der Zinsknechtschaft hatte, wie sich jetzt herausgestellt hat, der selige alte Vater Noah geschrieben. Auch die Rassentheorie lehnt der Redner ab, es gibt keine minderwertige Rasse. Hitler hat das Wort gesagt, dass ein nationalsozialistischer Staat Urteile in Massen fällen werde. Diese Worte sind, trotz aller politischen Unzulänglichkeiten Hitlers, der nichts als ein politischer Hochstapler sei, nichts geringeres als die Ankündigung des Bürgerkrieges. Im Bewusstsein meiner Verantwortung sage ich Ihnen: "Wir die republikanische Front, wir das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, wünschen den Bürgerkrieg nicht, wir lehnen ihn ab als Kulturschande. Wir wünschen den Kampf der Geister, die freie Entwicklung. Wir sind zwar gerüstet, aber wir stehen defensiv. Wenn aber die Feinde der Republik sich erdreisten sollten, uns und die Republik anzugreifen, dann werden wir sie zurückdrängen. Wir werden sie, wenn es sein muss, niederschlagen und wenn das Interesse der deutschen Republik, der deutschen Nation es erfordert, werden wir sei erbarmungslos vernichten bis auf den letzten Mann." In seinen weiteren Ausführungen griff der Redner die Nationalsozialisten und die Kommunisten und besonders ihre Führer auf das Schärfste an. Er schloß mit den Worten des Dankes für den Empfang, der ihm in Achim geboten worden sei. Nachdem der lebhafte Beifall verrauscht war, trug der Gesangverein "Vorwärts" ein Chorlied vor und ergriff dann der Gauleiter des Reichsbanners zu einer kurzen Erklärung das Wort, in der er die in der letzten Stahlhelm-Zeitung erschienene Behauptung als böswillige Verleumdung zurückwies, nach welcher das Reichsbanner mobilisiert werde und auch über Waffen verfüge. Herr Strauß-Hemelingen setzte sich in energischen Worten mit dem von den Nationalsozialisten vor einigen Tagen in Achim verteilten Flugblatt auseinander, in welchem Herr Hörsing scharf angegriffen wurde. Er dankte den anwesenden Beamten für ihr Erscheinen und gab der Hoffnung Ausdruck, dass sie sich eng an das Reichsbanner anschließen würden. Andererseits warnte er die Beamten, die bereits die Poussage mit den Vertretern des "Dritten Reiches" aufgenommen hatten. Wir könnten uns den Luxus nicht länger erlauben, an den Futterkrippen diejenigen sitzen zu lassen, die dort nur Platz nehmen, um den Staat von innen auszuhöhlen. Mit einem dreifachen "Frei-Heil" auf das Reichsbanner und die deutsche Republik schloss er gegen 10 ¼ Uhr die Versammlung."

Nach der Veranstaltung in Achim reiste der Bundesvorsitzende des Reichsbanners weiter nach Bremen, wo er am 25. Januar 1931 als Hauptredner einer eindruckvollen Demonstration gegen den Faschismus teilnahm (3), "die mit einem Umzug von der Neustadt durch die Innenstadt begann und mit einer Versammlung in den Centralhallen endete. Man zählte 5000 Teilnehmer, durchweg Mitglieder der SPD, des Reichsbanners, der Gewerkschaften, der Verbände des Arbeitersports und der Sozialistischen Jugend. Der Bundesführer des Reichsbanners, Hörsing, war gekommen und schritt die Front der Bremer Formationen ab. Im großen Saal der Centralhallen wies Hörsing eindringlich auf die große Gefahr durch den Nationalsozialismus hin, doch was er zum Programm der NSDAP und über die NS-Führer sagte, war primitiv-demagogisch und daher kein hilfreicher Beitrag für eine objektive Einschätzung der gefährlichen Lage, in der die Republik sich durch den Aufstieg der NSDAP befand. Aber in dieser Zeit der Massenagitation wäre eine sachliche Analyse dieser Verhältnisse sicher ohne politische Wirkung geblieben. Da viele Teilnehmer in den beiden Sälen der Centralhallen keinen Platz fanden, zogen die Demonstranten dann zum Weserstadion, wo eine weitere Veranstaltung stattfand.
Die Bremer SPD hatte 1931 noch mehr als 10000 Mitglieder, von denen freilich 3600 erwerbslos waren. Die Wirtschaftskrise bewirkte einen stetigen Rückgang. Auffällig war, dass die Partei vor allem für jüngere Bürger ihre Anziehungskraft verlor (der Prozentanteil der 18- bis 50jährigen nahm ab, der der über 50jährigen wuchs). Nach wie vor waren die meisten Mitglieder Arbeitnehmer der Handwerksberufe und Arbeiter. 720 Mitglieder waren Angestellte, 350 Beamte (40 Polizeibeamte, 45 Lehrer). Freie Berufe wie Ärzte und Rechtsanwälte fanden kaum den Weg zur SPD. Nur 10 Akademiker gehörten der SPD an. Die Wirkungsmöglichkeit der Partei war durch finanzielle Schwierigkeiten beschränkt. 1932 betrugen die Einnahmen nur fast 110 000 RM bei etwa 10 000 Mitgliedern. Hinzu kam freilich eine Wahlfondskasse mit 34 000 RM. Die Hauptausgaben bestanden in Überweisungen an die Bezirksklasse in Hamburg und in Unkosten bei Wahlen.
Wichtige Stütze der Partei war die vielgelesene "Bremer Volkszeitung" unter ihrem gut informierten und aggressiven Chefredakteur Alfred Faust, dessen wöchentlicher Beitrag "Rund um den Fangturm" unter dem Pseudonym "Mephisto" von Freund und Feind teils mit Schmunzeln, teils mit Zorn verschlungen wurde. Der Lokal- und Feuilletonteil war - für eine politische Zeitung überraschend - von guter Qualität. Die Zeitung war das einzige Parteiblatt in Bremen, das nicht nur ein journalistischer, sonder auch ein finanzieller Erfolg war. Die Auflage wurde 1932 mit 18 000 angegeben.
Das Reichsbanner war in dieser Zeit eine wohlorganisierte Massenbewegung, die bewusst die Rolle einer Republikschutztruppe spielte und vor allem für die SPD den Saalschutz stellte."

Über die Maifeier 1931 lesen wir (4):
"Maifeier. Die diesjährige Maifeier wurde von der hiesigen organisierten Arbeiterschaft durch eine wohlgelungene, stark besuchte Abendfeier im "Schützenhofe" begangen, an welcher besonders der Gesangverein "Vorwärts", die Freie Turnerschaft, die SAJ Achim und die Reichsbannerkapelle mitwirkten. Das reiche wechselnde Programm bot den Erschienenen prächtige Unterhaltung, obwohl der Grundton auf den Inbegriff des Tages, als Weltkampftag des organisierten Proletariats für seine Forderungen, abgestimmt war. Ein Prolog und eine packende Rezitation, die von einem Mitgliede der SAJ vorgetragen wurden, unterstrich in markanter Weise diese Tendenz. Das Trommler- und Pfeiferkorps der Freien Turnerschaft leitete das Programm durch Märsche ein, und die Reichsbannerkapelle bot flotte Musikstücke. Der Männer- und Gemischte Chor des Gesangvereins "Vorwärts" brachten prächtige Lieder zu Gehör. Recht eindrucksvoll wirkte der packende Sprechchor "Rote Erde" der SAJ. Im Mittelpunkt der Darbietungen stand die Festrede des Herrn Strauß-Hemelingen. Der Redner beleuchtete den Maifeiertag, der 1889 in Paris anlässlich des internationalen Arbeiterkongresses beschlossen wurde. Angesichts der besonders für die Arbeiterschaft gegenwärtig schweren Zeiten frage sich wohl mancher, ob die jahrzehntelangen Kämpfe nicht vergeblich waren; aber der Tag habe auch herrliche Erfolge gezeitigt. Er wies auf die jetzige Arbeitslosigkeit in der ganzen Welt hin, 20 Millionen Menschen, davon 5 Millionen in Deutschland, seien erwerbslos. Das Signum der Maifeier 1931 sei, dass die technische Entwicklung die menschliche Arbeit überflüssig mache. Diese Krise zu beseitigen, sei nicht Sache des Kapitalismus, sondern es heiße die Ziele des Sozialismus zu erkämpfen, die sozialistische Weltanschauung zu verwirklichen. Heute gelte es auch, Front zu machen gegen den Faschismus, die Parole des Maifeiertages sei der Kampf zur Erhaltung der Demokratie, der Republik, er sei unbedingte Notwendigkeit. An die Jugend richtete der Redner den Appell, den Kampf ernst zu nehmen und das rote Banner des Sozialismus hoch zu halten. Neben dem Dunkel der Gegenwart liege auch eine lichte Zukunft, der Glaube an den Sieg der Arbeiterbewegung, an der Erreichung dieses Menschheitsziels. Die Arbeiterschaft der ganzen Welt kämpfe um das eine Ziel und der Kampf werde gewonnen werden. Zum Schluss richtete der Referent noch einen Mahnruf an die vielen Tausende, die der Arbeiterbewegung noch fern stehen, sich ihr anzuschließen. Denn der Kampf werde auch für sie mit ausgefochten. Mit einem Hoch auf die internationale Völkerbefreiung schloss die Ansprache. Der zweite Teil des unterhaltenden Programms wurde in der Hauptsache von der Frauenabteilung der Freien Turnerschaft bestritten; Volkstänze und gymnastische Übungen zeigten, wie immer, hervorragendes, so dass der Beifall der Zuschauer sich in spontaner Weise äußerte. Den Abschluss des Abends bildete die Aufführung eines Schwank-Einakters "Meister Blechs Maifeier". Das flotte Spiel der Darsteller und der amüsante Dialog des Stücks gaben Gelegenheit, die Lachmuskeln der Besucher in Bewegung zu halten."

In Baden war die Kommunistische Partei aktiv (5):
"Baden, 10. Mai. Am Sonnabend abend veranstaltete die kommunistische Partei Deutschland, Ortsgruppe Achim, eine öffentliche Versammlung in der Gastwirtschaft Pape, in Baden. Als Redner trat ein angeblicher früherer Funktionär der SPD, namens Schwalbe, aus Bremen, auf. Das Thema lautete: "Volksaktion gegen Faschismus!" Der Referent beschäftigte sich aber im allgemeinen nur mit Angriffen gegen die Führer der SPD. In der Diskussion ergriff der Provinziallandtagsabgeordnete der SPD, Herr Thun, aus Hemelingen, das Wort. Er erklärte in schlichen Ausführungen, dass nur auf gesetzmäßiger Grundlage und im Wege des Verhandelns für die Arbeiterschaft etwas erreicht werden könne, durch Straßenkämpfe könne man Arbeit und Brot nicht beschaffen."

Über einen Werbeabend des Reichsbanners am 10. Mai 1931 heißt es im Achimer Kreisblatt (6):
"Der republikanische Werbeabend des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold (Ortsgruppe Achim) bot den Besuchern am Sonnabend im Schützenhofe einige recht unterhaltende Stunden. Der erste Teil des Programms brachte Musikstücke der Reichsbanner-Kapelle, prächtige Liedervorträge des Männer und des Gemischten Chors des Gesangvereins "Vorwärts" und Darbietungen der "Freien Turnerschaft". Die Darbietungen ernteten spontanen Beifall. Ein gut gesprochener Prolog "Für wen?" führte den Abend ein. Herr Seekamp begrüßte die Erschienenen dabei in kurzen Worten auf den Inhalt des Werbeabends hinweisend. Der Festredner, Herr Strauß-Hemelingen, ging einleitend auf die Zwecke und Ziele des Reichsbanners ein und lenkte den Blick auf gewisse politische Vorgänge in den Jahren 1918 bis 1924 mit den von rechts und links gegen den Bestand der Republik gerichteten Putschen, nach welchen ein Zusammenschluss aller Republikaner zur Erhaltung der Weimarer Verfassung ein Muss geworden. Aber erst nach den Morden an Erzberger, Eisner und Rathenau hätten sich die Vertreter der Sozialdemokratie, der Demokraten und des Zentrums zu Verhandlungen zusammengefunden, die zur Gründung des Reichsbanners führten. Das R.-B. hatte zum Ziel, Einfluss zu gewinnen für die Kräfte, die zur Republik halten. Aber wie stellte sich das Volk dazu? Die einen atmeten auf, die anderen spotteten und höhnten, und zwischen diesen gegnerischen Gruppen stand das große Lager der Lauen, der Indolenten, die sich nicht offen zu einer Seite bekennen. Um diese Massen kämpfte das R.-B., und schon 1928 habe es mit den Jugendlichen über 3 Millionen in seinen Reihen gehabt. Bis der 14. September 1930 gezeigt habe, dass die Republik nur scheinbar gefestigt, dass die Gegner, die Nationalsozialisten, der Stahlhelm, die Nationalisten und die Kommunisten eine Macht bedeuten. Wir leben gegenwärtig in dem Zustand eines bewaffneten Friedens, die Zusammenballung des Volkes in großen Bünden ermögliche, dass auch die Gegner die Oberhand gewinnen können, denn der Kampf der Nationalsozialisten richte sich gegen die Soz. Partei, gegen die Gewerkschaften, gegen den Arbeitersport, und sie bekämpften auch unsere wirtschaftlichen Organisationen. In den letzten Monaten habe das Reichsbanner erhöhte Werbetätigkeit entfaltet, es kämpfe für das Ansehen und den Frieden Deutschlands, für die Erhaltung der Republik. Die Gegner seien unerbittlicher, entweder sie werden niedergerungen oder sie gehen über uns hinweg. Lassen Sie uns, so schloss der Redner, den Abend in Achim als den Anfang einer Tat werden; jeder, der noch abseits stehe, komme zu uns, schließ sich unseren Reihen an, um den Kampf um die Republik weiter mit fortzuführen zum siegreichen Abschluss. - Den zweiten Teil des Programms bildete die Aufführung der komischen Posse "Das Dreimonatskind" durch Mitglieder des Dramatischen Vereins. Das von besten Kräften gespielte Stück errang einen durchschlagenden Erfolg. Ein Tänzchen beschloss den Abend."

In Uphusen erfolgte am 31. Mai 1931 die Gründung einer Reichsbanner-Ortsgruppe:
"Mahndorf-Uphusen, 2. Juni (Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold). Unter stärkster Anteilnahme auswärtiger Ortsvereine fand hier am Sonntag die Gründungsfeier statt. Hamburg hatte eine Hundertschaft entsandt, die in beiden Orten zum Mittagessen verteilt wurden. Unerwarteter Weise hatten sich viele Einwohner hierzu bereit erklärt. Für den außergewöhnlich freundlichen Empfang sei hierdurch den Einwohnern öffentlich der Dank der Hamburger Kameraden ausgesprochen. Das Fest selber nahm einen würdigen Verlauf. Der Umzug war ein imposanter und bewegte sich von Mahndorf zunächst nach dem Gefallenen-Denkmal in Uphusen, wo die Niederlegung eines Kranzes zu Ehren der im Weltkrieg Gefallenen erfolgte. Auf dem Festplatz hielt der Vorsitzende des Bremer Reichsbanners, Kamerad Drees, die Festrede, die er unter Beifall schloss mit dem Appell, für den Schutz der Republik und deren Erhaltung zu kämpfen. Ein stark besuchter Ball bildete den Abschluss der in allen Teilen gut verlaufenen Feier."

Das für 11.500 Mark im Rathauspark von der Gemeinde Achim errichtete Ehrenmal zum Gedenken an die Gefallenen des 1. Weltkriegs wurde am 20. Juni 1931 eingeweiht; folgende Achimer Vereine nahmen daran teil (7):
"Gesang-Vereine "Teutonia", "Thalia", "Frisch auf", "Vorwärts", Kriegerverein, Königin-Luise-Bund, Vaterländischer Frauenverein, Stahlhelm, Jungstahlhelm, "Scharnhorst", Bund deutsche Jungmannen, Achim, Dramatischer Verein, Radfahrverein "Fahr wohl", Deutsch-Hannoverscher Verein, Achimer Kapelle, Posaunenchor, die Schulen, das Reichsbanner, die Freie Turnerschaft, der Stenographenverein "Stolze Schreyn", der Schützenverein, der Sportverein "Weser", der Turnverein zu Achim, der Sportverein Borstel, die Sanitätskolonne, die Freiwillige Feuerwehr."

Die Achimer Nazis begründeten in einem Leserbrief (8) ihre Nichtteilnahme:
"Die Mitglieder der Ortsgruppe der NSDAP hatten die selbstverständliche Absicht, an der Einweihung des Kriegerehrenmals geschlossen teilzunehmen. Ein an das Landratsamt zu Achim eingereichtes diesbezügliches Gesuch wurde abgelehnt und zwar verbot das Landratsamt das Tragen einheitlicher Kleidung (Braun- oder Weißhemd) der SA oder der Hitler-Jugend, das Mitführen der nationalsozialistischen Fahne sowie Zeichen, durch welche die Zugehörigkeit zur NSDAP erkenntlich ist. Das Landratsamt begründet dies Verbot damit, dass die Denkmalsweihe durch ein Auftreten der Nationalsozialisten eine Störung erleiden könne. Das Landratsamt gestattete lediglich ein Auftreten der Nationalsozialisten Achims in bürgerlicher Kleidung, ohne jegliches Zeichen, die sie als Nationalsozialisten erkenntlich machen. Das Verbot der nationalsozialistischen Fahne, das Symbol, das jedem Nationalsozialisten heilig ist, stellt einen Affront dar, so dass sich die Ortsgruppe Achim der NSDAP entschloss, an der Denkmalseinweihung nicht teilzunehmen. Sie wird eine Gefallenenehrung an einem späteren Zeitpunkt nachholen. Eine Abordnung der NSDAP legte nach Beendigung der offiziellen Feier einen Kranz am Denkmal nieder."

Die Haltung der Achimer SPD zum Krieger-Ehrenmal schien uneinheitlich gewesen zu sein. Im Protokollbuch (9) heißt es:
"Vom Genossen Brüns wird darauf hingewiesen, dass es unverständlich sei, wie unsere Parteigenossen sich so aktiv für die Herrichtung des Achimer Kriegerdenkmahls eingesetzt haben, da dieses durchaus nicht unseren Grundsätzen entspreche. Desgleichen hätten die Arbeiterorganisationen am Tage der Einweihung demonstrativ den Platz verlassen sollen, wenn es die Gemeindebehörde nicht für nötig hielt, die Staatsflagge zu hissen. Genosse Theissen erwiderte, dass wohl das Reichsbanner mehr für die Beteiligung in Frage käme und von unserer Seite nicht denen von rechts das Feld überlassen sein sollte. Genosse von der Poll unterstützt den Genossen Theissen und betont, dass unsere Genossen verhindern wollten und mussten, dass der jetzige Rathauspark in damaliger Zeit von den Bürgerlichen zu Bauplätzen verschachert wurde."

Die antisemitische Hetze der Nazis zeigt auch in Achim Wirkung:
So wurden 1931 gleich drei Beleidigungen gegen Achimer Juden - offenbar nach gerichtlicher Anordnung - durch Ehrenerklärungen in der Presse (10) öffentlich zurückgenommen:
"Ehrenerklärung.
Nehme hiermit die beleidigenden Äußerungen, welche ich gegen die Firma N. Anspacher, Achim, vom 23.3.1931 in der Gastwirtschaft Bischoff, Bassen, ausgesprochen habe, mit dem Ausdruck des Bedauerns als unwahr zurück und erkläre die Firma N. Anspacher nach wie vor als reelle Firma.
Hinrich Heitmann, Oyten 43."

"Ehrenerklärung.
Die von mir am 14. April d. Jrs. im Wartesaal 1. und 2. Klasse zu Bremen ausgesprochenen Beleidigungen gegenüber Herrn Viehhändler Albert Anspacher, Achim, nehme ich hiermit mit dem Ausdruck des Bedauerns zurück und erkläre ausdrücklich, dass mir Herr Anspacher als ehrlicher Geschäftsmann bekannt ist.
Ferdinand Sasse, Viehhändler, Hemelingen."

"Das falsche Gerücht, welche ich über die Firma A.M. Heilbronn verbreitet habe, erkläre ich als unwahr und habe mich vom Gegenteil überzeugt.
Louis Holste."

Der von den rechten Parteien initiierte Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Parlamentes, scheiterte: Das Achimer Kreisblatt berichtet am 10. April 1931, dass 37 % für die Landtagsauflösung gestimmt haben. Die Achimer SPD verzeichnet im Protokoll der Mitgliederversammlung vom 15. August 1931:
"Die SPD hat die Preußenregierung gerettet."

Am 11. Oktober 1931 gründeten die "Führer der Rechtsopposition ein gemeinsames Aktionsprogramm", die "Harzburger Front", die den Sturz des Kabinetts Brüning und die Machtübernahme durch die nationale Aufmarschfront zum Ziel hatte.
Die Harzburger Front gründeten:
"Franz Seldte, der Bundesvorsitzende des Stahlhelms Geheimrat Hugenberg, der Führer der Deutschnationalen, Dr. Schacht, der frühere Reichsbank-Präsident, Graf Kalkreuth, der Präsident des Reichslandbundes, Adolf Hitler, der Führer der Nationalsozialisten."

Die Achimer Sozialdemokraten befassten sich in ihrer Mitgliederversammlung am 14. Oktober 1931 mit dieser Entwicklung:
"Hierauf erfolgt nach Eröffnung die Verlesung des letzten Protokolls. Nach Entgegennahme desselben nimmt dann Genosse Kurt Gentz-Bremen das Wort zu seinem Vortrag: "Politische Gegenwartsfragen". In klar verständlicher Form führt der Redner die Anwesenden in die augenblicklich so ungeheuer verworrene politische Lage ein. Die Wirtschaftskrise in Deutschland und mit ihr die Weltkrise der ganzen Kulturstaaten, neuerdings vor allem die Pfundkrise in England, üben gewissermaßen ein Diktat auf die Regierung aus, das sich auslöst in Notverordnungen und andere Maßnahmen. Das Elend der breiten Volksschichten steigt unerbittlich weiter an, und damit ist die Regierung zu weiteren Maßnahmen gezwungen. Doch diese Maßnahmen treffen nicht etwa die leistungsfähigen Volksschichten, sondern sie sind sozial ungerecht und werden größtenteils auf die Proletariermasse abgewälzt. Es ist heute nur noch die Frage akut: "Wie kommen wir aus dem Elend der kapitalistischen Krise heraus?" Von Seiten der Industrie wie überhaupt von der Reaktion hört man nur stereotyp das eine Rezept: "Abbau der Löhne, Beseitigung der Sozialgesetze". Dem stehen jedoch vorläufig noch die Tarifverträge im Wege. Es wird also auch hiergegen aufs schwerste Sturm gelaufen. Das ist im Wirtschaftsbereich wohl die brennendste Zeitfrage. Das politische Kampffeld zeigte in letzter Zeit eine Sammlung der Bürgerlichen nach rechts. Dieses äußerte sich insbesondere durch das einsetzende Kesseltreiben gegen den Außenminister Curtius und durch dessen Sturz. In der Hoffnung auf eine erfolgreiche Offensive fanden sich Hitler und Hugenberg zusammen und schließlich inszenierten diese ein Stelldichein aller Schrittmacher gegen die Front der Arbeiter. Dies alles blieb nicht ohne Wirkung auf die Reichsregierung. Die Volkspartei und auch die Wirtschaftspartei versagten der Regierung die Gefolgschaft.
Der Reichskanzler schritt zu einer Umbildung des Kabinetts, in dem er selbst den Außenminister und Kanzler stellte und den Reichswehrminister Groener mit dem Innenministerium betraute. Es schien in Anbetracht der bevorstehenden Reichstagseröffnung ernstlich um das neue Gesamtkabinett zu schwanken. Eine staatsmännisch meisterhaft gehaltene Regierungserklärung Brünings, in der er gegen die Kartellpolitik Stellung nahm und dem Tarifvertragswesen unbedingten Schutz verlieh, rette ihm jedoch aus der Misstrauenssituation. Der Referent ging sodann auf die Frage der weiteren Tolerierung Brünings durch unsere Fraktion ein. Nicht Grundsatz, sondern Taktik ist für uns die Tolerierung. Wir wissen, dass uns diese Duldungspolitik sogar die Spaltung der Partei brachte, aber wir wissen auch, dass nach dem Sturz Brünings eine mit diktatorischen Vollmachten ausgerüstete Notverordnungskommission folgen wird. Die Frage der Tolerierung hat in der Fraktion wohl einer ernsten Abwägung bedurft, doch von Vernunft und nicht von den Geschäftsmomenten haben sich unsere Genossen leiten lassen. Es ist für eine Millionenpartei nicht Zeit zu gewagten Revolutionsspielereien, deren Aussichten von vornherein abgesperrt sind. Trotz düsterer Aussichten wollen wir auf die Kraft unserer Organisation bauen und nicht den Kopf hängen lassen."

Als Reaktion auf die Gründung der Harzburger Front durch die Republik- und Demokratiefreunde vereinigten sich SPD, Reichsbanner, Gewerkschaften ADGB und Arbeitersport am 16. Dezember 1931 zur "Eisernen Front", deren Zeichen die "drei Pfeile" waren und deren Führer auf Reichsebene der neue Bundesvorsitzende des Reichsbanners Karl Höltermann wurde.

Zum Schluss noch einige kommunalpolitische Fundstücke des Jahres 1931:

*Die Sterbekasse "Nächstenliebe" Bierden wählte am 12.1.1931 Fiedler zum 1. Vorsitzenden, Ludwig Block zum 2. Vorsitzenden, Riechers zum 1. Schriftführer, Bäßmann zum 2. Schriftführer.

*Die Generalversammlung des Vereins zur Hebung der Geflügelzucht in Achim und Umgegend wählte am 19.1.1931 folgenden Vorstand für die 64 Mitglieder: Hinrich Elfers (1. Vors.), Brüne Behnken-Uesen (2. Vors.), Johann Brandt (1. Schriftführer), H. Krüger (2. Schriftführer), Fritz Ravens (1. Kassierer), Fritz Kuntzky (2. Kassierer), Gerhard Grots (1. Inventarverwalter), Fritz Sokoll (2. Inventarverwalter).

*Im März 1931 wurde die Ortsgruppe Achim der Hitler-Jugend gegründet (Achimer Kreisblatt vom 4.3.1931).

*Am 27.4.1931 wird der neu angelegte Friedhof in Baden eingeweiht und der Grundstein für den Bau einer Kapelle gelegt, die im November 1931 bereits eingeweiht wurde.

*Die Firma "Achimer Kristallbrunnen", die Mineralwasser produzierte, beging am 1.6.1931 ihr 40-jähriges Bestehen; der Betrieb gehörte zunächst Wilhelm Knoche, später H. Simmerling.

Anmerkungen

(1) Achimer Kreisblatt vom 12.1.1931

(2) Achimer Kreisblatt vom 26.1.1931

(3) vgl. Schwarzwälder, Herbert, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd. 3 (1918 - 1933, S. 582)

(4) Achimer Kreisblatt vom 2.5.1931

(5) Achimer Kreisblatt vom 11.5.1931

(6) Achimer Kreisblatt vom 11.5.1931

(7) Achimer Kreisblatt vom 22.6.1931

(8) Bielefeld, Edith/Gerhold, Karlheinz/Knof-Grotevent, Christiane, "Gerüstet für die Kämpfe in kommender
Zeit" - Die Protokollbücher der Achimer SPD 1912 - 1954, Achim 1991, S. 73

(9) Achimer Kreisblatt vom 17.4.1931, 19.5.1931, 20.7.1931

(10) Bielefeld u.a., a.a.O., S. 74-75
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