"Die eiserne Front steht!"
Schlaglichter aus der Geschichte der Achimer Arbeiterbewegung
Teil 12: 1932


Karlheinz Gerhold, Geschichtswerkstatt Achim

Das Jahr 1932 beginnt reichsweit mit einer weiteren Radikalisierung und auch Steigerung der Gewaltbereitschaft der politischen Lager.

Reichskanzler von Papen hob das SA-Uniformverbot auf. Im ganzen Reich vervielfachten sich die Zahl der politischen Gewalttaten. Hauptziel der "braunen Gewalt" der Nazis ist die Arbeiterbewegung, namentlich die SPD. Prügeleien während politischer Veranstaltungen sind fast an der Tagesordnung. Diese Endphase der Weimarer Republik steht im Zeichen von fünf Großwahlen, die die Auflösungserscheinungen der demokratischen Strukturen widerspiegeln: zwei Wahlgänge der Reichspräsidentenwahlen, die Wahlen zum Preußischen Landtag am 24. April 1932, sowie zwei Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 und am 6. November 1932.

Wie im ganzen Reich hatte sich auch in Bremen und Achim Anfang 1932 die "Eiserne Front" als Kampfbündnis der Arbeiterbewegung aus dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), der SPD, der Arbeitersportbewegung und dem "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" gebildet - als Antwort auf die Zunahme der "rechten Gewalt".

Unter der Überschrift "Die Eiserne Front steht" verzeichnet Martin Brüns, damaliger Schriftführer der Achimer SPD, im Protokollbuch der SPD Achim:
"Gemäß der Anregung in der Parteiversammlung zur Gründung der Eisernen Front in Achim fand zunächst bei Schnaars eine Sitzung aller Vereinsvorstände statt, aus der ein engerer Vorstand hervorging. Die erste Kundgebung wurde für den 9. Febr. 1932 festgesetzt. Genosse Alfred Faust (Bremen) ist als Referent vorgesehen mit dem Thema: "Das 3. Reich, eine Seifenblase".
Das erste erfolgreiche Auftreten der Eisernen Front in Achim:
Die erste Kundgebung der Eisernen Front in Achim war ein glänzender Erfolg. Viele Hunderte füllten den Schützenhofsaal. Unter starkem Beifall erfolgte der Fahneneinmarsch und mit stürmischer Begeisterung begrüßte die Menge den Referenten, Genossen Faust (Bremen), der in zweistündiger Rede fesselnd in jedem Satz, den Kampf gegen das wahnwitzige "dritte Reich" des Landgendarmen Adolf Hitlers schilderte. Die Ausführungen des Genossen Faust erweckten begeisterte Zustimmung, die in einem machtvollen Bekenntnis zur Front gegen den Faschismus in dem Lied "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" ausklang. Die Eiserne Front bringt neue Aktivität in die Massen, der Wall gegen die braune Pest schließt sich enger. Diese erste imposante, völlig ruhig verlaufene Kundgebung hat bewiesen, dass dem Nazispuk auch in Achim das Ende winkt.
Bemerkenswert ist der zum ersten Mal veranstaltete Fahnen-Einmarsch. Alle Vereinsfahnen marschierten, während die Turnerkapelle die Internationale spielte, in den Saal ein. Die Reichsbannerkapelle und die Trommler und Pfeifer machten Stimmung vor dem Einmarsch mit flott gespielten Konzertstücken. Der Saal war dekoriert mit zahlreichen schwarz-rot-goldenen Fahnen. An der Längsseite des Saals sowie über der Bühne leuchteten große Inschriften "Hitler kommt nicht an die Macht, weil wir es nicht wollen!" - "Stärkt die Eiserne Front!!"
Die Bühne selbst sowie Vorstandstisch und Rednerpult waren rot verkleidet. Diese äußerliche Propaganda wurde in der Vorstandssitzung als unerlässlich angesehen, zumal die Nazis mit ungeheurem Tamtam ihren Versammlungsmarsch aufziehen.
Martin Brüns"


Wie deutlich die Nazis bereits 1932 das ankündigten, was sie anschließend ausführten, zeigt sich unter anderem in den Äußerungen des nationalsozialistischen Redners Pastor Voß aus Büttel. Am 15. Januar 1932 war sein Thema "in einem vollbesetzten Saal in Achim": >>Der Endkampf um die deutsche Freiheit<< (1): "Die Nationalsozialisten hassen die Parlamente; sie gingen aber in die Parlamente, um die Macht im Staate zu gewinnen", beschreibt Voß auf Einladung der Achimer NSDAP exakt die Vorgehensweise.

Reichsweit nimmt die Arbeitslosigkeit weiter zu und erreicht am 15. Januar 1932 die Marke von 6 Millionen. (2) Das spiegelt sich auch vor Ort wider: Am 26.1.1932 "fand im Lokale des Herrn Carl Wendt eine Versammlung der Erwerbslosen von Baden und Umgegend statt. Nach eingehender Aussprache, zu der die große Notlage der Erwerbslosen besonders in Erscheinung trat, wurde aus der Versammlung heraus eine mehrgliedrige Kommission gewählt, die wegen Miet- und Zinszuschüssen und anderen Erleichterungen bei den zuständigen Stellen vorstellig werden soll." (3)

Auf der "Mittelstandskundgebung" der NSDAP im Hotel Stadt Bremen listet Friedrich Schmonsees am 2. Februar 1932 die radikalen Forderungen der Nazis auf:
Einführung einer neuen durch Grund und Boden gedeckten Währung, Abschaffung der Arbeitslosigkeit durch Siedlungsvorhaben und eine einzuführende Wehrpflicht, Verstaatlichung der Großbanken, Einführung einer Arbeitsdienstpflicht, Abschaffung der Konzerne, Warenhäuser und Konsumvereine.

Die "Winterhilfe" 1932, eine Spendensammlung brachte in Achim, Bierden und Embsen zusammen 2009,81 RM für Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, Gebrauchsgegenstände und Heizmaterial. Die geplante Speiseküche für 100 Bedürftige konnte allerdings nicht eingerichtet werden, weil der Ertrag der Sammlung dafür nicht ausreichte. (4)

Am 10. Februar 1932 fand nach Achim dann eine erste öffentliche Kundgebung der "Eisernen Front", des Kampfbündnisses der Arbeiterbewegung, in Baden auf dem Badener Berge statt:

"Es wirkten bei dieser Veranstaltung mit, das Tambourkorps der Freien Turnerschaft Achim und die Reichsbannerkapelle aus Baden. Als Rednerin sprach Frau Johanne Reitze (MdR) über das Thema: "Das dritte Reich, eine Seifenblase!" Die Rednerin leitete ihren Vortrag ein über die Notwendigkeit der Eisernen Front, um dem Faschismus einen starken Wall entgegen zu setzen. Sie beschäftigte sich dann in erster Linie mit der Arbeitslosigkeit. Sie forderte Beseitigung der Zollmauern aller Länder und schilderte anhand von Beispielen, dass dadurch dem deutschen Volke ungeheurer Schaden zugefügt und noch weiter entstehen würde. Sie kam dann auf die NSDAP zu sprechen und erwähnte besonders die z. Zt. in Aussicht genommene Ernennung Hitlers zum Gendarmeriekommissar von Hildburghausen. Interessant waren auch die Ausführungen der Rednerin darüber, dass sie als Mitglied des Kriegsbeschädigtenausschusses des Reichstages bisher bei den Beratungen von den Abgeordneten der NSDAP, die mit vier oder fünf diesem Ausschuss ebenfalls angehörten, noch niemand gesehen habe. Die Versammlung ist ohne Zwischenfälle verlaufen und wurde gegen 22 ¼ Uhr geschlossen." (5)

Bereits am 3. März 1932 folgt die nächste Veranstaltung der "Eisernen Front":
"Im Saale des Schützenhofes, der bis auf den letzten Platz besetzt war, veranstalteten gestern Abend die zur Eisernen Front zählenden Vereine Achims eine große Versammlung, die im Hinblick auf die bevorstehende Reichspräsidentenwahl eine gewaltige Kundgebung darstellte für die Kandidatur v. Hindenburg und die Ziele der Front. Als Redner war Herr Senator Kleemann-Bremen erschienen, der in fast zweistündiger temperamentvoller aber sachlicher Rede ein Bild der gegenwärtig gewaltigen politischen Hochspannung zeichnete, die durch das ganze Volk geht. Der Redner beschäftigte sich zuerst mit der NSDAP und ihrem Führer Adolf Hitler, welcher 1932 als das Jahr der Entscheidung bezeichnete, in welchem sie an die Macht kommen sollten; er glaube aber erklären zu können, dass ihnen das nicht gelingen würde. Das Jahr sei allerdings für jeden einzelnen und für das ganze deutsche Volk von entscheidender Bedeutung, innen- und außenpolitisch. Im Innern bringe es die Entscheidung zwischen Faschismus und republikanischer Anschauung, die Reichspräsidenten- und die Preußenwahlen, außenpolitisch beherrschen die Fragen der Stillhaltungs- und Reparationsverhandlungen die Situation. Die Fronten für die Wahl seien abgesteckt: Thälmann, Duesterberg, Hitler, von Hindenburg. Für die Angehörigen der Eisernen Front und alle Republikaner sei die Entscheidung klar. Reichspräsident von Hindenburg habe den Eid auf die Verfassung geleistet und jederzeit treu gehalten. Wir führen den Kampf, um zu siegen, und darum solle jeder am 13. März seine Stimme der Kandidatur von Hindenburg geben. Der Redner ging dann noch ein auf die gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Zustände im Reiche. Die Wirtschafts- und Finanzkrise in der ganzen Welt bedeute den Zusammenbruch des kapitalistischen Systems. Überall Wirtschaftskrisen, auch in England, Italien, Amerika; bei uns wirke sie sich doppelt schwer aus infolge Versailles, Inflation und Reparationen. Die Völker seien wirtschaftlich aufeinander angewiesen. Der jetzige Entscheidungskampf berechtige zu der Frage, wie würde das Schicksal des deutschen Volkes sein, wenn der Faschismus die Macht innehätte? Außenpolitisch wäre jede Verständigung unmöglich, auch die Reparationskonferenz würde vom Ausfall der Wahlen beeinflusst. Ein Sieg des Faschismus würde katastrophale Folgen haben, und es wäre wünschenswert, dass die Entscheidung schon im ersten Wahlgang falle. Er hoffe mit Zuversicht, dass die Wahl die erste gründliche Niederlage Adolf Hitlers bilde. Der Referent schloss seine Ausführungen mit der Parole, dass am Wahltage jeder seine Pflicht tue. Denn wir wollen nicht das dritte Reich, und darum kämpfen wir! Die Rede löste stärksten Beifall aus. Der Versammlungsleiter, Herr Seekamp, dankte dem Redner und gab bekannt, dass am nächsten Freitag der hier bekannte Reichstagsabgeordnete Alfred Henke in Achim sprechen würde, er schloss die Versammlung mit einem dreifachen Frei Heil. Vorträge der Reichsbanner-Kapelle und der Trommler- und Pfeiferabteilung der Freien Turnerschaft leiteten den Abend ein."

Es ist schon bemerkenswert, dass die SPD und die verbündete "Eiserne Front" bei der Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 zur Wahl Hindenburgs aufrufen, um Hitler zu verhindern. Hindenburg war also der Kandidat der rechten Mitte und der Sozialdemokratie. Tatsächlich gelingt das bereits im 1. Wahlgang:

Paul von Hindenburg 18.654.244 Stimmen
Adolf Hitler (NSDAP) 11.341.119 Stimmen
Ernst Thälmann (KPD) 4.982.870 Stimmen
Theodor Duesterberg (Kampffront Schwarz-Weiß-Rot) 2.558.813 Stimmen
Adolf Gustav Winter 111.492 Stimmen

Mit Hilfe der SPD wird der Konservative Hindenburg im Amt bestätigt, was Hitlers Aufstieg letztlich jedoch nicht verhindern konnte, wie man aus der Geschichte weiß.

Die Wahl im Kreis Achim ging folgendermaßen aus:

  Düsterberg Hindenburg Hitler Thälmann Winter Sonstige
             
Gemeinde            
Achim 485 1.134 945 102 10 3
Baden 128 522 261 81 5 -
Bollen 24 49 70 - - -
Bierden 46 108 70 21 - -
Embsen 36 93 154 3 2 -
Uesen 40 196 170 3 4 -
Uphusen 58 296 230 28 - -
...            
Kreis Achim gesamt 2.612 9.371 6.007 1.506 81 10

Am 26. März 1932 hat das sozialdemokratische Achimer Gemeindeausschussmitglied Wilhelm Theiß sein Amt niedergelegt. Nachfolger wurde Zigarrenarbeiter Friedrich Burggräbe.

Auch der 2. Wahlgang der Reichspräsidentenwahlen am 10. April 1932 gehen wieder zugunsten Hindenburgs aus, der rund 53 % der Stimmen erzielt:

Paul von Hindenburg 19.359.642 Stimmen
Adolf Hitler (NSDAP) 13.417.460 Stimmen
Ernst Thälmann (KPD) 3.706.388 Stimmen

Wahlergebnis im Kreis Achim (7):

  Hindenburg Hitler Thälmann
       
Gemeinde      
Achim 1.176 1.242 56
Baden 550 329 48
Bierden 108 94 19
Bollen 44 83 2
Embsen 84 161 6
Uesen 200 196 2
Uphusen 300 269 21
...      
Kreis Achim gesamt 9.826 7.698 1.134

Die Preußenwahl 1932 hatte folgendes Ergebnis:

  Stimmen Sitze
SPD 4.674.943 93
DNVP 1.524.936 31
Zentrum 3.374.441 67
KPD 2.819.602 57
DVP 330.829 7
Volksrechtspartei 44.229 -
Wirtschaftspartei 191.021 -
Landvolk 176.816 -
Staatspartei 332.441 -
Nationale Front 51.801 -
NSDAP 8.008.219 162
Dt. Hann.   1

Mit zwei Begebenheiten aus den Wahlkämpfen 1932 in Badenermoor befassen sich zwei in Versform reimende Leserbriefe im Achimer Kreisblatt (8), die die Aktivitäten der Nazis ("Nazimann") und der Sozialdemokraten ("Sozimann") beim Plakatieren humoristisch verarbeiten:

"Es geht also auch so!
Der Nazi- und der Sozimann, die wollten beide kleben,
Der eine klebt für Hitler an, der and're klebt daneben.
Sie teilten sich ganz brüderlich den Kleistertopf, die Nägel,
Den Platz für dich und den für mich, wie's unter Brüdern Regel.
Auf hoher Tafel prangte groß ein Bild mit mächt'gem Hammer,
Der Wind riss eine Ecke los, es löste sich die Klammer.
Und ratlos steht der Sozimann, so hoch kann er nicht reichen,
Und wie das nun der Nazi sieht, ließ er sich gleich erweichen.
Und bot die breiten Schultern an, hält fest ihn an den Waden,
Hoch oben steht der Sozimann, beseitigt bald den Schaden.
So war's zur Wahl im Badener Moor, gern woll'n wir's hier erwähnen,
Wo Schlägereien kommen vor, da sollen sie sich schämen."

"Es geht auch anders!
Ein Gegenstück zu dem Eingesandt vom 13. April Sozimann und Nazimann
einst klebten im Vereine ihre Wahlplakate an, Prügelei gab's keine.
Aber bei der Preußenwahl konnt' man was erleben!
Sozimann stellt Stangen auf, um sie zu bekleben.
Kaum stand dies Plakatgerüst, hoch und ausgeglichen,
Kam schon flugs ein Nazimann, hat's mit Teer bestrichen.
Wiederum ward neu beklebt das Plakatgerüste,
Und dann Wachen aufgestellt: Nazimann, wo biste?
65 Sozis warten in den Straßengräben,
rußgeschwärzt und wohlbewehrt; jetzt geht es ums Leben!
Doch kein Nazi ließ sich seh'n, hatten was gerochen:
Drum tat man nach Hause gehen mit steifgefrorenen Knochen.
Indess am andern Morgen früh, da gab es was zu sehen,
Denn vor dem Sozi-Wahlgerüst tat nun ein zweites stehen,
Nazi-Plakate hingen dran, für Hitler wird geworben,
Den Sozis war durch diesen Streich der ganze Zimt verdorben.
So war's zur Preußenwahl in Badenermoor,
Man sieht, der Siedler sorgt stets für Humor."

Über die traditionelle Maifeier der Arbeiterbewegung lesen wir am 2. Mai 1932 im Achimer Kreisblatt:

"Maifeier. Die organisierte Arbeiterschaft Achims veranstaltete gestern Abend im Schützenhofsaale ihre diesjährige Maifeier unter Mitwirkung des Gesangvereins "Vorwärts", der Freien Turnerschaft und der SAJ, Ortsgruppe Achim. Trotz der Nöte der Zeit war die Feier gut besucht und bot im Hinblick auf das vorzüglich zusammengestellte unterhaltende Programm den Besuchern einige anregende Stunden. Im Mittelpunkt des Abends stand jedoch die Festansprache des Präsidenten der Hamburger Bürgerschaft Herrn Leuteritz, der es verstand, die Bedeutung der Maifeier und auch die gegenwärtige innerpolitische Lage scharf zu beleuchten. "Das alte muss weichen, das neue kommen!" Dieses Wort knüpfte der Redner in seinen Ausführungen an den Mai, den Monat, in welchem die Winterstürme weichen, in dem in der Natur alles grünt und blüht, zu neuem Leben erwacht. In diesem Gedanken liege auch der Völkermai. Jahrhunderte, Jahrtausende wissen wir, dass jede Arbeit ihren Segen hat, dass auf Wachstum die Ernte, der Segen folgt. Und doch erleben wir heute, dass uns nicht nur der Segen der Arbeit, ja vielen von uns nicht die Arbeit vergönnt ist. Und wir fragen uns, muss das so sein? Nein, es muss nicht so sein, denn die Erzeugnisse, der Segen der Mutter Erde sei so reich, dass alle Nahrung hätten. Nur die Verteilung sei falsch, denn wie könnte es sonst vorkommen, dass in überseeischen Ländern unzählige Produkte wie Reis, Weizen etc. in großen Mengen vernichtet würden. Und warum? Weil sie dem Unternehmer nicht den gewünschten großen Profit brächten. Diese kapitalistischen Methoden müssten verschwinden und an deren Stelle die Wirtschaft des Sozialismus treten. Die Völker selbst müssen über die Verteilung bestimmen und Wirtschaftskontrolle eingeführt werden, wie die Sozialdemokratie es seit 50 Jahren gefordert und es heute infolge der großen Wirtschaftsskandale der letzten Zeit, Bankkrache usw., besonders notwendig sei. Wir kämpfen im Staat für den Staat, Arbeit für alle, Güter für alle, wir kämpfen für die Demokratie. Im Hinblick auf die Not der Zeit, die große Arbeitslosigkeit, sei der helfende Gedanke die Verkürzung der Arbeitszeit; bei der bevorstehenden 40 Stundenwoche müsse die Arbeiterschaft kämpfen, dass sie den dadurch entstehenden Ausfall nicht allein zu tragen habe. Der Nationalsozialismus, der die Demokratie beseitigen, die unbeschränkte Macht des Kapitalismus errichten will, sei ein Fehlschluss, ihr Programm wolle alle Organisationen des Sozialismus vernichten, wirtschaftliche Autarkie errichten. Der Redner schloss mit dem Appell, an den Zielen des Sozialismus festzuhalten, für den Schutz der Arbeit, Schutz der Arbeiter, für Völkerfrieden und Völkerverständigung zu kämpfen. In der Eisernen Front habe die Sozialdemokratie einen Wall gegen den Faschismus. Die Ansprache fand starken Beifall. Das unterhaltende Programm des Abends bot nach einer von Fräulein Seekamp recht frisch gesprochenen Rezitation, prächtige Liedervorträge des Männer- und des gemischten Chors des Gesangvereins "Vorwärts". Wuchtig und fesselnd war auch der Sing-, Sprech- und Bewegungschor, von Mitgliedern der Fr. Turnerschaft und der SAJ. ausgeführt. Recht eindringlich wirkte hier der Ruf "Die Arbeit soll der Menschheit ein Segen sein!". Turnerinnen der Freien Turnerschaft boten mit den fesselnden Volkstänzen "Wilde Gesellen" und "Foxtrott" sowie "Das Leben" wirklich künstlerische Darbietungen. Die jungen Mädchen ernteten mit ihren Tänzen lebhaften Applaus. Den Schluss des Abends bildete die Aufführung eines dramatischen Lebensbildes "Hunger" in 2 Akten von Felix Renken. Die flotte Darstellung und der Inhalt der Handlung rissen die Zuschauer zu stürmischen Beifallsbezeugungen hin. Das Trommler- und Pfeiferkorps stellte sich durch verschiedene Märsche ebenfalls in den Dienst der Sache, sodass die Abendfeier sowohl nach der ideellen als auch der unterhaltenden Seite hin eine gelungene Veranstaltung war."

Und erneut ist Wahlkampf:
Nach der Auflösung des Reichstags finden am 31. Juli 1932 Neuwahlen statt.

Die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) Verden veranstaltete am 25. Juni 1932 die Sonnenwendfeier des Unterbezirks Nordhannover, an der auch die Achimer SAJ teilnahm:
"Der letzte Sonnabend brachte der Bischofstadt Verden wieder einen gewaltigen Zustrom von auswärtigen Gästen… Diesmal galt es, die Sonnwendfeier der SAJ des Unterbezirkes Nordhannover zu feiern. Freudige Gesichter, auf denen der Kampfesmut der Jugend geprägt war, zogen unter den roten Sturmfahnen der SPD durch Verdens Straßen, grüßend mit dem Rufe "Freiheit!" - Abends um 21 Uhr setzte sich dann ein großer Demonstrationszug vom Gewerkschaftshause ausgehend, nach dem Stadion, wo die eigentliche Feier stattfand, in Bewegung. Nach Ankunft auf dem Platze, wo sich schon eine unübersehbare Menschenmenge eingefunden hatte, leiteten Musikstücke der Arbeiter Turnvereinskapelle Verden sowie Fanfaren-Märsche der Bremer SAJ die Feierstunde ein. Der Führer der Eisernen Front, Genosse Fritz Kruse - Verden, grüßte in einer kurzen Ansprache die jungen auswärtigen Gäste. Es folgten nun Rezitationen eines Jugendgenossen aus Achim, die mit starkem Beifall aufgenommen wurden. Auch die Kinderfreunde-Verden fanden mit ihren Liedern den ungeteilten Beifall der weit über tausend zählenden Zuhörerschaft. Machtvoll und ausgeglichen brachte der Arbeitergesangverein "Konkordia"-Verden zwei Chorlieder zu Gehör, die der Festrede des Genossen Lieberknecht-Verden eine wirkungsvolle Einleitung gaben. In seinen Ausführungen feierte der Redner den Kampfesmut der SAJ. Mit dem Wunsche gemeinsamer Arbeit aller Jugendlichen in der SAJ und dem Rufe "Freiheit!" schloss die mit großem Beifall aufgenommene Rede. Gesangsvorträge des Gemischten Chors "Glocke" Verden, Musikvorträge der Reichsbanner-, Arbeiter-Turnvereins- und der SAJ-Kapelle, sowie ein Sprechchor der Arbeiter-Jugend Achims ergänzten das Programm. Inzwischen war auch der gewaltige Holzstoß zum Brennen gebracht worden, und bei den zum Himmel lodernden Flammen, wurde aufs Neue das Gelöbnis abgelegt, zu kämpfen und zu werben für einen sozialistischen Wirtschaftsstaat. Der Sonntag sah die Jugend bei Besichtigungen der vielen Sehenswürdigkeiten der alten Bischofsstadt, viele andere aber auch waren auf Fahrt gegangen, um die schöne Umgebung Verdens in Augenschein zu nehmen." (9)

Die Reichstagswahlen im Juli 1932 hatten folgendes Ergebnis bei den Sitzen:

  Sitze
SPD 133 (136)
NSDAP 229 (110)
KPD 89 (78)
Zentrum 76 (69)
DNVP 36 (42)
DVP 8 (27)
Wirtschaftspartei 2 (21)
Staatspartei 4 (16)
Bayr. Volkspartei 20 (19)
Landvolk 2 (16)
Christl. soz. Volksp. 4 (14)
Dt. Bauernpartei 2 (4)
Württ. Bauern und Weinb. 2 (3)

...und bei den Stimmen vor Ort:

Gemeinde SPD NSDAP KPD Zentrum DNVP DVP
             
Achim 865 1.241 100 16 278 62
Baden 446 424 75 2 65 27
Bierden 97 93 20 1 19 7
Bollen 50 139 3 1 35 11
Embsen 34 170 - - 23 1
Uesen 175 184 3 - 30 6
Uphusen 246 256 24 - 41 9
...            
Kreis Achim gesamt 6.852 8.196 1.337 328 1.508 365

Der einstimmige Protest des Achimer Kreistages gegen die Zusammenlegung der Kreise Achim und Verden mit Sitz in Verden ist erfolglos: Am 1. Oktober 1932 wird der Kreis Achim aufgelöst.

Am 12. August 1932 "wurde bei dem politischen Leiter der hiesigen Ortsgruppe der kommunistischen Partei, Hinrich Becker, eine Haussuchung durch Landjägereibeamte vorgenommen. Es wurde nach verbotenen Schriften und nach Waffen gesucht. Belastende Schriften wurden jedoch nicht gefunden." (10)
Hinrich Becker ist der Chef der Kommunisten in Badenermoor.

"Kommunistenputsch in Achim?"

Unter der Überschrift "Demonstration gegen eine Zwangsversteigerung - Kommunistenputsch in Achim angekündigt" schreibt das Achimer Kreisblatt am 28. September 1932 und am 15. Oktober 1932 über die Proteste gegen eine Zwangsversteigerung des Anwesens des Landwirts Friedrich Heidorn aus Meyerdamm:

"In verschiedenen Ortschaften der Umgegend haben die Kommunisten hektographierte Flugblätter verteilt, in denen anlässlich einer Zwangsversteigerung auf dem Amtsgericht in Achim zu einem Aufmarsch in Achim am Sonnabend, den 1. Oktober, aufgefordert wird. In dem Flugblatt heißt es u.a.: Das Anwesen des Landwirts Fr. Heidorn, Meyerdamm, im Kreise Achim, soll am 1. Oktober auf dem Achimer Amtsgericht zwangsversteigert werden. Durch eine gewaltige Massenbewegung muss dieses verhindert werden. Am 1. Oktober soll Kollege Fr. Heidorn das Genick gebrochen werden, morgen bist du es selber, damit muss Schluss gemacht werden. Kein Kollege kann es dulden, wenn ein Werktätiger, der durch die kapitalistische Krise zu Grunde gerichtet wird, dass ihm dann durch eine Zwangsversteigerung zur Vollendung des Unglücks noch alles genommen wird. Hier heißt es jetzt einer für alle und alle für einen. Die Parole lautet am 1. Oktober: Alles marschiert in Achim auf. Die Arbeiterschaft wird es sich nicht nehmen lassen, gemeinsam mit der werktätigen Landbevölkerung gleichfalls am Vormittag in Achim aufzumarschieren, um Solidarität zu üben mit ihren in Not geratenen Kollegen und Bundesgenossen im Kampf gegen Finanzknechtschaft und Papen-Diktatur. Ganz Achim muss am 1. Oktober im Zeichen des Protestes gegen die Zwangsversteigerung stehen. Gleichzeitig muss eine großzügige Propaganda ab morgen einsetzen, um zu erreichen, dass sich niemand dazu hergibt, auf das Anwesen vom Kollegen Fr. Heidorn zu bieten."

Doch dann die Entwarnung:

"Die Demonstration gegen einen auf heute Vormittag angesetzten Zwangsverkauf eines landwirtschaftlichen Anwesens auf dem hiesigen Amtgericht, die von linksradikaler Seite in Szene gesetzt werden sollte, ist kaum in Erscheinung getreten. Zwar war die Obernstraße stark belebt, aber außer einer geringen Zahl uniformierter Kommunisten, waren es größtenteils Neugierige, die sich eingefunden hatten. Vorsorglich war allerdings zur Unterstützung der Landjägerei ein Überfallkommando aus Bremen requiriert worden, dessen Tätigkeit aber darauf beschränkt blieb, kleinere Ansammlungen zu zerstreuen und den Verkehr zu regeln. Ein Demonstrant wurde in zeitweilige Schutzhaft genommen. Zu der Versteigerung, die im Sitzungssaal des Amtsgerichts stattfand, hatte sich zahlreiches Publikum eingefunden, das aber eine musterhafte Ruhe bewahrte. - Außerdem erfolgte am heutigen Vormittag die Abreise von Mitgliedern der Hitler-Jugend zum nationalsozialistischen Jugendtreffen in Potsdam. Die Teilnehmer wurden vorsichtshalber unter polizeilichem Schutz zum Bahnhof geleitet."

Und schon wieder Reichstagswahlen (6.11.1932):

Nationalsozialisten 11.713.788 195 Sitze
Sozialdemokraten 7.237.894 121 Sitze
Kommunisten 5.874.209 100 Sitze
Zentrum 4.228.633 69 Sitze
DNVP 3.064.977 51 Sitze

...und vor Ort:

Gemeinde NSDAP SPD KPD Zentrum DNVP rad. Mittelst. DVP
               
Achim 1.058 741 200 13 378 6 89
Baden 285 407 114 3 107 2 32
Bierden 64 73 31 2 33 - 11
Bollen 61 17 5 - 37 - 2
Embsen 113 37 5 - 37 - 4
Uesen 157 138 28 - 26 2 4
Uphusen 195 226 37 - 63 1 29
...              
ehem. Kreis Achim gesamt 6.243 6.138 2.095 303 2.260 55 501

Hitler lehnt den Auftrag zur Kabinettbildung ab.

Wie sehr die ständigen Neuwahlen, immerhin fünf Großwahlen im Jahre 1932, die Wahlkampfmöglichkeiten der SPD beeinträchtigten, ergibt sich aus einem Protokoll der SPD Uphusen/Arbergen/Mahndorf von der Sitzung am 25. Oktober 1925:
"Der Vorsitzende eröffnete die Versammlung um 20.15 Uhr. Nach Verlesung des Protokolls der letzten Versammlung gab der Gen. Kreye den Kassenbericht.
Hierauf bekam der Genosse Mester das Wort zu seinem Vortrag. Er führte zuerst aus, wie die Sozialdemokratie dasteht und was sie geleistet hat. Wie schwer es für die Partei ist, hauptsächlich in finanzieller Hinsicht, dass so viele Wahlen sind, denn bereits am 6. November findet die fünfte Großwahl dieses Jahres statt. Die Wahlen seit 1924 haben der SPD schon über 10 Millionen Mark gekostet. Er gab dann die Extrabeiträge und die Beiträge der besser bezahlten Mitglieder bekannt. Hierauf sprach er über die Parteien der Gegner, der Nationalsozialisten, Deutschnationale bis zu den Kommunisten. Besonders kritisierte er noch die Baronsregierung Papen. Er führte den Satz noch an, den unser Parteiführer Otto Wels geprägt hat: "Ohne Thälmann kein Hitler, ohne Hitler kein Papen."
Im Namen der Versammlung dankte der Genosse Schmidt dem Redner für seine vortrefflichen Ausführungen.
An der Aussprache beteiligten sich mehrere Genossen, die die Ausführungen meistens noch bekräftigten. Genosse Müller meinte, Deutschland müsste die Goldwährung fallen lassen, was die Partei unterstützen müsste. Genosse Mester trat in seinem Schlusswort dieser Ansicht aber entschieden entgegen.
Unter Verschiedenes wurde angefragt, ob Wahlversammlungen abgehalten werden sollten. Der Vorsitzende gab bekannt, dass davon abgesehen wird. Wir werden und müssen schriftliche und mündliche Propaganda zur Wahl machen. Mehrere Genossen führten dann noch aus, wie am besten Propaganda getrieben werden könnte. Hierauf schloss der Vorsitzende die Versammlung mit den Worten: Macht hauptsächlich mündliche Propaganda.
Schluss der gut besuchten Versammlung 23.15 Uhr, der Schriftführer: H. Lahrmann
" (11)

Zum Schluss noch einige kommunalpolitische Fundstücke des Jahres 1932:

* Am 31.3.1932 starb der letzte Gemeindevorsteher von Borstel, Hermann Jäger, der das Amt von 19.2.1908 bis zur Vereinigung Borstels mit Achim am 1.1.1929 ausübte.

* Im Juli 1932 wurde der neue Friedhof in Badenermoor eingeweiht.

* Die Kreise Achim und Verden werden zum 1.10.1932 zum Landkreis Verden mit Sitz der Kreisverwaltung in Verden zusammengelegt. Die Kreisbücherei des Altkreises Achim übernimmt die Gemeinde Achim.

Anmerkungen

(1) Achimer Kreisblatt vom 19.1.1932
(2) Achimer Kreisblatt vom 22.1.1932
(3) Achimer Kreisblatt vom 27.1.1932
(4) Achimer Kreisblatt vom 10.2.1932
(5) Achimer Kreisblatt vom 11.2.1932
(6) Achimer Kreisblatt vom 14.3.1932
(7) Achimer Kreisblatt vom 11.4.1932
(8) Achimer Kreisblatt vom 13. und 28. April 1932
(9) Achimer Kreisblatt vom 27.6.1932
(10) Achimer Kreisblatt vom 13.8.1932
(11) Protokollbuch der SPD Uphusen/Arbergen/Mahndorf im Archiv der Geschichtswerkstatt Achim
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