Aus dem Achimer Kreisblatt vom 18. Oktober 2010:

Verkannt: Karl der Große
Clemens Burchhardt kritisiert verzerrte Geschichtsschreibung

ACHIM (häg) . Wenn Clemens Burchhardt über die Geschichtsklitterung der Nazis spricht, wird aus dem Verdener Altprobst und Pfarrer im Ruhestand ein zorniger Mann. Burchhardt referierte am Freitagabend auf Einladung der Achimer Geschichtswerkstatt im Clüverhaus über Karl den Großen in Verden. Seine Publikation im Verdener Karlsjahr - beim letzten seiner insgesamt fünf Besuche 810 war Karl schon Kaiser - ist mit "Fünf Sterne für Verden" überschrieben und geriet dem Autor zu einer Umdenkschrift.
Dafür war es offensichtlich hohe Zeit. Denn das Bild von Karl dem Großen, der gemeinhin als Wegbereiter einer europäischen Friedensordnung gilt, werde gerade in Verden immer noch vielfach verzerrt dargestellt, so Burchhardt. In der Kreisstadt sei der Frankenkönig vor allem in Erinnerung als "Sachsenschlächter", der im Zuge der Christianisierung 782 an der Aller Blutgericht hielt und angeblich 4 500 Männer köpfen ließ. Für Clemens Burchhardt ist diese Behauptung nicht zu halten ("Es wurden vermutlich nur einige Rädelsführer verurteilt und hingerichtet"), von Historikern widerlegt und eine Geschichte aus "Absurdistan".
Oder eine, die in eine Zeit passte, als der Hass auf alles Französische geschürt wurde und antijüdische Tendenzen sich deutlich schon zeigten. Eine Schrift des Heidedichters Hermann Löns spielte dabei eine unrühmliche Rolle, so Burchhardt. In einem Text zu Beginn des 20. Jahrhunderts skizzierte Löns das Bild eines blutrünstigen Regenten, das unverändert noch in den Schulbüchern der jüngeren Vergangenheit zu finden gewesen sei: "Das ist schlimm, weil es sich in den Köpfen junger Menschen festsetzt."

Im Vortragssaal

Clemens Burchhardt (rechts) mit seiner Umdenkschrift und Karlheinz Gerhold, dem Vorsitzenden der Achimer Geschichtswerkstatt. Foto: häg

Insbesondere die Gewaltherrscher des Dritten Reiches hätten sich das Zerrbild von Karl dem Großen für ihre Sache zu Nutze gemacht. Ein Beispiel dafür: 1935 wurde an Verdens Stadtrand der "Sachsenhain" angelegt. Das Naturdenkmal war der "SS" unterstellt. Im Sachsenhain sollten 4.500 Steine an ebenso viele hingerichtete Sachsen im Jahre 782 erinnern: "Alles Lüge. Jeder Stein ein Lügenstein", befand Clemens Burchhardt und fügte hinzu, "die nachfolgenden Vernichtungslager der Nationalsozialisten haben auch dort ihre Wurzeln."
Für Karl, mächtigster christlicher Herrscher des Mittelalters, war Verden tatsächlich ein vorgeschobener Stützpunkt von erheblicher Bedeutung. Es galt sowohl den aufsässigen Sachsen unter Führung von Herzog Widukind als auch dem Machtstreben der "Nordmänner" Einhalt zu gebieten. Als bei Herzog Widukind ein Sinneswandel eintrat und er Christ wurde, verhandelten der Herzog und König Karl längst schon "auf Augenhöhe". Karl der Große hatte "Vertrauen gewagt und gewonnen" und wurde sogar Taufpate seines ehemaligen Gegners.
Für Clemens Burchhardt ist die fälschliche Darstellung und Geringschätzung des Frankenkönigs in Verden in vielerlei Hinsicht eine vergebene Chance für die Kreisstadt. Dem pflichtete Karlheinz Gerhold, erster Vorsitzender der Geschichtswerkstatt, bei. Er versprach für das Karlsthema geschärfte Aufmerksamkeit aus Achim.

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