Aus dem Achimer Kreisblatt vom 30. Mai 2006:

Nazis zerstörten auch Lust am Singen
Dr. Stephan Leenen hielt Vortrag über Entstehung und Entwicklung der Liederbücher / Ausstellung bei Geschichtswerkstatt

ACHIM (mm) . "Wo man singt, da lass dich ruhig nieder. Böse Menschen haben keine Lieder." Ein mündlich überlieferter Spruch, den Dr. Stephan Leenen an den Anfang seines Vortrags über Liederbücher bei der Geschichtswerkstatt Achim stellte. Damit wurde am Sonntag im Haus Clüver auch eine entsprechende Sonderausstellung eröffnet.
Rund 50 historische Liederbücher aus dem Bestand der Privatsammlung von Dr. Leenen sind in drei Vitrinen in dem von der Geschichtswerkstatt genutzten Raum zu sehen. Der zeitliche und thematische Bogen spannt sich von der Wandervogel-Jugendbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts über die Arbeiterbewegung mit ihrer sozialistischen und ihrer kommunistischen Ausrichtung bis hin zum Dritten Reich einschließlich des Liedguts der Soldaten und Burschenschaften.
Dieser Querschnitt durch die Geschichte der Liederbücher kann noch mal am Sonntag, 2. Juli, betrachtet werden. Dann wird die Ausstellung im Clüverhaus von 11 bis 13 Uhr letztmals geöffnet sein. Interessierte, die an dem Tag verhindert sind, können aber auch gern mit Karlheinz Gerhold (Telefon 04202/71805), Vorsitzender der Geschichtswerkstatt, einen Extra-Termin vereinbaren.

Eröffnung der Ausstellung

In drei Vitrinen im Haus Clüver sind rund 50 historische Liederbücher zu sehen, die aus der Privatsammlung von Dr. Leenen (Zweiter von rechts) stammen. Darüber freut sich auch Karlheinz Gerhold (r.), Vorsitzender der Geschichtswerkstatt. Foto: Mix

Die Leidenschaft für sein Steckenpferd war Leenen sozusagen in die Wiege gelegt. Schon die beiden Großväter hätten, unter anderem als Leiter verschiedener Liedertafeln, das Volkslied gepflegt, berichtete er eingangs des Vortrags. Seine Magisterarbeit zum Abschluss des Germanistikstudiums habe er dann über das "Liedgut der nationalsozialistischen Sturmabteilungen" geschrieben. Und als promovierter Historiker sei es ihm eine besondere Freude gewesen, neben seiner aufs Hier-und-Jetzt bezogenen Tätigkeit bei der Stadtmarketing mal wieder in vergangene Zeiten einzutauchen.
Über das Volkslied, hat der Forscher ermittelt, "gibt es keine völlig einheitliche Definition". Allen gemeinsam sei aber, dass die Autorenschaft zumeist nicht mehr nachzuvollziehen sei und diese Lieder eine lange Tradition mündlicher Überlieferung hätten.
Liederbücher gäben einen jeweils gültigen Liederkanon für die so genannte "herrschende Kultur" bzw. für eine gesellschaftliche Gruppe, eine religiöse Gemeinschaft, eine politische Bewegung wieder, informierte Dr. Leenen über die Entstehung. Sie drückten also die jeweilige gesellschaftliche Realität aus.
Das Sammeln und Aufschreiben der Lieder sei untrennbar mit Namen wie von Liliencron, Herder, von Brentano, Arnim, Uhland verbunden. Es führe zurück in die Zeiten der deutschen Nationalbewegung und der späteren Romantik. "Die Zusammenstellung eines Liederkanons machte diese Lieder zum herrschenden Kulturgut der Deutschen".
In enger Zusammenarbeit von Dichtern wie Matthias Claudius und Heinrich Heine sowie Musikern und Komponisten wie Friedrich Silcher und Karl Friedrich Zelter entstanden im 18. und 19. Jahrhundert noch heute bekannte Weisen. Beispielsweise "Der Mond ist aufgegangen", "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" oder "Am Brunnen vor dem Tore".
Um 1900, berichtete der Referent weiter, entdeckte die Wandervogelbewegung das Volkslied neu. So veröffentlichte Hans Breuer 1909 mit dem "Zupfgeigenhansl" das Liederbuch der Jugendbewegung.
Der Nationalsozialismus rückte die Jugendmusikbewegung dann aber ins Zwielicht. Dr. Stephan Leenen: "In dieser zwölfjährigen politischen Vereinnahmung der Jugendmusikbewegung gründete eine wesentliche Ursache der Voreingenommenheit breiter Schichten gegenüber gemeinsamem Singen im Allgemeinen und gegenüber dem deutschen Liedgut im Speziellen."

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