Aus dem Wochen-Tipp vom 26. Februar 2004:
Aus Nachbarn wurden Feinde
Neues Buch über jüdisches Leben in Achim
ACHIM (kr). Wenn der Arbeitskreis Jüdischer Friedhof Ottersberg übermorgen, 28. Februar, im KulturCafe seine Ausstellung präsentiert, ist auch der Achimer Lehrer Andreas Voß mit von der Partie. Er stellt sein Erstlingswerk "Die jüdische Gemeinde in Achim von 1742 bis 1942" vor, ein Buch, in dem die Tinte im wahrsten Sinne noch nicht trocken ist.
Eigentlich sollte es zum Klezmerfest schon für Leser zu haben sein, doch leider hat sich der Druck um etwa zwei Wochen verzögert, wie der Autor bedauerte. So können Interessierte noch nicht in dem umfassenden Werk im Taschenbuchformat blättern, sondern müssen sich zunächst
mit einer Lesung aus dem Manuskript begnügen.
Andreas Voß, seit 2002 Realschullehrer in Schwanewede, beschäftigt sich seit 1991 mit der Historie der jüdischen Gemeinde in Achim, war Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Regionalgeschichte des Achimer Gymnasiums, Teilnehmer des Wettbewerbs "Deutsche
Geschichte" und verhalf der Arbeitsgemeinschaft zur Auszeichnung des Israelischen
Ministeriums für kulturelle Angelegenheiten für engagierte Forschungsarbeit.
Mit seinem Werk unternimmt der Autor den Versuch, die Geschichte der jüdischen Mitbürger Achims zu rekonstruieren und darzustellen. Weitgehend chronologisch wird die Entwicklung der Gemeinde, angefangen bei der Ansiedlung erster Schutzjuden, bis hin zu ihrer Vernichtung und Vertreibung aufgearbeitet. Damit analysiert der Autor im Wesentlichen einen Zeitraum von 200 Jahren, um zu klären, unter welchen Bedingungen sich die ersten Juden in Achim niederließen.
Inwiefern es ihnen möglich war, ihre Religion zu praktizieren, ob ihr Glauben möglicherweise ihre Integration verhinderte und welche Umstände zu einem Auslöschen der jüdischen Gemeinde im
Dritten Reich führten, geht Voß auf den Grund. Er versucht, die Veränderungen bezüglich der Rechtsverhältnisse und Lebensbedingungen der Juden im Königreich Hannover, später in der Provinz Hannover, und im Deutschen Reich, direkt auf die Gemeinde Achim zu beziehen und
durch ortsbezogene Beispiele zu verdeutlichen.
Andreas Voß
Andeas Voß, Jungautor aus Achim, stellt sein erstes Buch zum Thema "Jüdische Gemeinde in Achim" vor.
Photo: kr
Gegenstand des ersten von insgesamt fünf Kapiteln ist der Zuzug von Schutzjuden nach Achim und deren Etablierung. Im Folgenden wird die Entstehung einer Synagogengemeinschaft und ihrer Institutionen Synagoge, Schule und Friedhof beschrieben. Zunächst wurde von der Obrigkeit im 18. Jahrhundert lediglich ein jüdischer Haushalt pro Gemeinde genehmigt, aber immerhin wurden nach
Achim auch Nachbarorte wie Hastedt, Arbergen und Ottersberg als Wohnorte für Juden zugänglich.
Jüdische Familien und ihre wirtschaftlichen Tätigkeitsfelder werden vorgestellt, wobei der Autor bestimmte Entwicklungen beleuchtet und begründet. Ein umfangreicher Teil ist dem Verhältnis von Juden und Christen gewidmet, sowie den Integrationsbemühungen beider Seiten. Darüber hinaus
werden frühe Formen des Antisemitismus und erste nationalsozialistische Vorboten dargestellt. Historische Quellen wie Tageszeitungen, Zeitzeugeninterviews und Vereinsschriften werden bemüht, um dem Leser ein Bild zu erstellen, das dem gesellschaftlichen Leben der Juden gerecht wird.
Alle diese Quellen vermitteln den Eindruck, dass die Achimer Juden ihre eigene Identität nicht geleugnet oder gar aufgegeben haben, sondern ihre Religion gelebt und dennoch weltoffen und modern waren. Sie waren als Geschäftsleute, Nachbarn oder Mitschüler gleichermaßen beliebt und angesehen. In Anbetracht dieser Erkenntnisse überrascht das Verhalten der christlichen Einwohner Achims in den Jahren 1933 bis 1945, als sich aus Freunden und Nachbarn plötzlich
Menschen entwickelten, denen das Schicksal ihrer jüdischen Mitbürger scheinbar gleichgültig war. Und wenn es ihnen nicht gleichgültig war, warum schauten sie tatenlos zu, als die Juden deportiert
wurden? Trotz der umfangreichen Recherchen, die für dieses spannende Buch aufgewendet wurden, bleiben die Fragen unbeantwortet.
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