Aus dem Wochen Tipp vom 27. Juni 2004:

Ein Stück spannender Geschichte
Der Erbhof in Thedinghausen lohnt den Besuch

THEDINGHAUSEN (kr). Warum in die Ferne schweifen, wenn die wirklichen Kleinode der norddeutschen Region direkt vor der Tür liegen? Auf einer simplen, aber erholsamen Fahrradtour kann man ohne große Anstrengungen und ganz ohne finanziellen Aufwand Schätze entdecken, die einem die Schönheit unserer Region wieder einmal ins Bewusstsein rücken. Ein lohnenswertes Ausflugsziel - per Pedes - ist der Thedinghausener Erbhof, der durch aufwendige Renovierungsarbeiten vor einigen Jahren in seiner ganzen ursprünglichen Pracht wiederhergestellt wurde und nun für geschichtlich-architektonisch Interessierte im Sommer einen absoluten
Anziehungspunkt darstellt.
Von Achim aus ist man mit dem Rad über die Uesener Brücke nach einer kurzen Fahrt am Ziel und kann die baulichen Besonderheiten dieses Glanzstückes der Weserrenaissance hautnah bewundern. Als erstes sticht jedem Besucher die Fassade des Gebäudes ins Auge. Zwei imposante Erker (Utluchten) und ein dominanter Treppenturm gliedern das Bauwerk, schaffen
zu den horizontalen Linien senkrechte und fein ziselierte Schnittlinien, was dem Anblick lebendige Harmonie verleiht.
Fenster, Türbogen, Turmgiebel, Ziersäulen und Friese bestehen aus gelblichem Sandstein, der reich verziert ist. Die Sandsteinplatten in den Fensterbrüstungsfeldern zeigen große Medaillons mit Frauen- und Männerköpfen in Tracht und Mode der Zeit um 1620, als der Erbhof von dem
weltoffenen und galanten Kirchenfürsten Johann Friedrich, Erzbischof von Bremen, in seiner jetzigen Form errichtet wurde.

Der Erbhof in Thedinghausen

Der Erbhof, ehemalige erzbischöfliche Residenz, befindet sich heute im Besitz der Gemeinde Thedinghausen und gilt kulturhistorisch als eines der wichtigsten Gebäude des Landkreises Verden. Ein Ausflug dorthin lohnt allemal.

Der ursprüngliche Erbhof ist weitaus älter. Er wird zum ersten Mal in einer Urkunde des Jahres 1246 erwähnt und nennt den Ritter Amold Corlehake als Besitzer. Seither ranken sich romantische Überlieferungen um den inzwischen denkmalgeschützten Bau und dessen wechselvolle Historie, die für die Region ein Stück interessanter Sittengeschichte darstellt. Ein
Nachfolger dessen wurde Burgmann auf der ersten Thedinghausener Burg, die um 1285 vom Bremer Erzbischof Giselbert gegründet wurde.
Um 1600 befand sich der Besitz in Händen von Heinrich Corlehake, der mit der jungen und hübschen Gertrud von Heimbruch verheiratet war. 19 Jahre jünger als ihr Gatte, entspann sich eine Liebesgeschichte zwischen der jungen Dame und dem Kirchenfürsten, der sich 1613 den
Erbhof von seinem Besitzer schenken ließ und im Gegenzug Heinrich Corlehake zum Drosten der beiden Ämter Thedinghausen und Langwedel ernannte.
Ein Jahr später, 1613 starb Drost Corlehake-Hermeling, und der Liebe des Erzbischofs zu der Witwe stand nichts mehr im Wege. Der Lunsener Pastor Hütter, der 1612 vom Erzbischof persönlich ins Amt eingeführt wurde, sah diese Verbindung jedoch mit Missfallen. Er war ein sittenstrenger Geistlicher und furchtloser Gottesmann und notierte im Kirchenbuch, dass der Erzbischof mit der Witwe "seine Lüste büßte".
Jeden Sonntag geißelte er dieses von der Kanzel herab, allerdings ohne Namen zu nennen, obwohl jeder wusste, wer gemeint war. Die junge Frau Gertrud war in höchstem Maße verärgert. Sie setzte bei dem Erzbischof durch, dass die schon bestehende Kapelle in Thedinghausen mit einem eigenen Geistlichen besetzt wurde und betrat die Lunsener Kirche nicht mehr. Unbehelligt konnte sie nun an Gottesdiensten und Abendmahlsfeier teilnehmen, ohne sich den Vorwürfen des Lunsener Pastors ausgesetzt zu sehen.
In den Jahren 1619 bis 1620 ließ Erzbischof Johann Friedrich ein neues Wohngebäude auf dem Erbhof im Stil der ausklingenden Weserrenaissante errichten. Es sollte Residenz und gleichzeitig Wohnung sein, die seinen gehobenen Ansprüchen und dem Ansehen seiner Geliebten genügte. Mitten in den Bauarbeiten jedoch starb am 16. März 1620 Gertrud von Heimbuch. Der Erzbischof änderte seine Pläne: Statt eines Gebäudes im Stil eines ländlichen Herrenhauses ließ er einen repräsentativen Bau und eine fürstliche Residenz für sich errichten, um das Gebäude gleich
nach der Fertigstellung 1621 an seinen Sohn, bei dessen Tod seiner Tochter Christine
weiterzugeben.
Beide Kinder stammten aus einer Liebesbeziehung des Kirchenfürsten mit der bürgerlichen Anna Dobbel aus Bremervörde. Wie ein spannender Roman mutet die Geschichte des Erbhofs an, die
für Besucher, ausgeschmückt mit vielen Details bis in die heutige Zeit dokumentiert und auf einer Tafel im Innenhof zu lesen ist.

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