Aus dem Achimer Kreisblatt vom 13. April 2006:

St. Bürokratius zieht ins Achimer Gasthaus ein
Wie Achim sein Finanzamt bekam und wieder verlor / Eine Serie von Günter Schnakenberg (Heimatverein Achim)
Von Günter Schnakenberg

ACHIM. 1918, ein mörderischer vierjähriger Krieg war zu Ende und hinterließ ein zerstörtes Europa. 1,8 Millionen deutsche Soldaten waren auf' den Schlachtfeldern gefallen und viele kehrten als Kriegsversehrte in die Heimat zurück. Das vor dem Krieg blühende deutsche Kaiserreich lag am Boden.
Neben dem großen menschlichen Leid war auch die deutsche Volkswirtschaft ruiniert. Die Schuldenlast des Reiches war von 5 Milliarden Mark (1913) auf 153 Milliarden Mark angestiegen, denn der Krieg wurde fast ausschließlich über Anleihen finanziert. Diese immense Verschuldung und die hohen Kriegsfolgelasten zwangen die Regierung der Weimarer Republik zu einer völIigen Neugestaltung der politischen Ordnung und vor allem einer grundlegenden Reform der Verteilung der Finanzen. Bisher waren die eingehenden Steuern überwiegend den Ländern zugute gekommen und das Reich war lediglich ein "Kostgänger der Länder".
Im Juli 1919 legte Reichsfinanzminister Matthias Erzberger der Nationalversammlung ein umfassendes Reformpaket vor. Danach sollte die neue Republik die ausschließliche Finanzhoheit erhalten und die Steuerverteilung auf Länder und Kommunen regeln. Die Nationalversammlung beschloss diese Vorlage und am 19. September 1919 wurde das "Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung" verkündet.
Nach diesem Gesetz stand nun die oberste Leitung der staatlichen Finanzwirtschaft dem Reichsminister der Finanzen zu. Damit war die Grundlage geschaffen, um mit neuen Steuergesetzen und Steuererhöhungen die Sanierung der Staatsfinanzen zu regeln.
Zur schnellen Umsetzung der neuen Steuergesetze musste aber auch die erforderliche Verwaltung neu aufgebaut werden. So waren in den Ländern Landesfinanzämter und in den großen Städten und Landkreisen Finanzämter einzurichten und, da es solche Einrichtungen bisher nicht gab, war man auf die Hilfe der Kommunen angewiesen. Diese wurden beauftragt, Büroräumlichkeiten bereit zu stellen und die Einrichtung der neuen Ämter In jeder Hinsicht zu unterstützen. Ein solcher Auftrag durch das Landesfinanzamt in Hannover erreichte im Dezember 1919 auch die Gemeinde Achim, die als Sitz der Verwaltung des Kreises Achim zur Einrichtung eines Finanzamtes aufgefordert wurde.
Gemeindevorsteher Pape und der Gemeindeausschuss sahen sich einer fast unlösbaren Aufgabe gegenüber. Woher sollte man so schnell annehmbare Büroräume nehmen, denn es gab in Achim noch nicht einmal ein ordentliches Rathaus?
Gerade hatte man das Nebenhaus des Kaufmanns Heinrich Stadtlander angemietet und dort das Gemeindeamt eingerichtet. Die Gemeindeausschusssitzungen mussten im Hinterzimmer eines Gasthauses abgehalten werden.
Doch es war Eile geboten. Schon hatte die Stadt Verden ihre Fühler ausgestreckt und dem Landesfinanzamt vorgeschlagen, Verden als Sitz eines Finanzamtes für die Kreise Verden und Achim vorzusehen. Dazu hatte die Stadt Verden das Gebäude der stillgelegten Steinigerschen Bürsten- und Pinselfabrik in der Windmühlenstraße zur Verfügung gestellt bekommen, es musste nur noch entsprechend umgebaut werden.
In Achim suchte man krampfhaft nach einer Lösung der Unterbringungsfrage. Um über die Größe und Anzahl der für Finanzamtsmitarbeiter benötigten Räume Aufschluss zu bekommen, schickte der Gemeindeausschuss drei seiner Mitglieder nach Hannover. Dort erfuhr man, dass 10 bis 12 Büroräume erforderlich sein würden und diese Räume in einem Gebäude vereinigt sein müssten.
Leider ist uns nicht überliefert, wer im Gemeindeausschuss die geniale Idee hatte, denn die Gemeinde Achim mietete kurzerhand die obere Etage von Gieschens Hotel zur Einrichtung der entsprechenden Diensträume. Dort, wo einst Durchreisende logiert hatten, sollte nun St. Bürokratius einziehen.

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