Aus dem Achimer Kreisblatt vom 15. März 2012:

Drogentrips und "Milchraub"
Geschichtslehrer Dr. Joachim Woock referiert in Gieschens Hotel über Hexenverfolgung in Verden

ACHIM. Hexenverfolgung - da denkt man an fanatische Kirchenvertreter, die im finsteren Mittelalter reihenweise unschuldige Frauen auf den Scheiterhaufen geschickt haben. "Alles Humbug", sagt Geschichtslehrer Dr. Joachim Woock aus Verden. Am Dienstagabend referierte er bei der Achimer Geschichtswerkstatt in Gieschens Hotel.
Seinen Vortrag mit dem Titel "Die Hexenverfolgung im Stift Verden: Von Kristallguckern, Quacksalbern und Siebdrehern" begann der Pädagoge mit einem interaktiven Teil. Ringsum im Raum verteilte er Abbildungen von Hexenglaube und Zauberei aus verschiedenen Epochen. Diese Bilder sollten die rund 25 Teilnehmer in Gruppenarbeit interpretieren.
Wie sich herausstellte, war das nicht immer leicht. So sind Vorstellungen wie der Hexensabbath oder der Hexenflug auf dem Besen immer noch verbreitet. Andere angebliche Zauberpraktiken wirken heute rätselhaft. So etwa der "Milchraub": Während die Hexe die betreffende Kuh unangetastet ließ, soll sie in der Lage gewesen sein, deren Milch mithilfe einer Zauber-Axt aus einem Holzpfahl fließen zu lassen.

Interpretation der Bilder

Interaktiv wurde es zu Beginn des Vortrags über "Kristallgucker, Quacksalber und Siebdreher" bei der Geschichtswerkstatt in Gieschens Hotel. Foto: Duncan

Von altertümlichen Hexen-Mythen kam Woock zu heutigen Irrtümern über die Hexenverfolgung. Nicht im Mittelalter, sondern in der Zeit der Aufklärung habe es die meisten Hexenprozesse gegeben. Rund 60.000 Menschen in Europa starben infolge von Hexenprozessen, davon nur 3.000 während des Mittelalters. In Verden wurden 67 Menschen wegen Hexerei hingerichtet. Im Jahr 1683 gab es dort die letzten Anklagen wegen Hexerei.
Zudem waren die Verfolger der angeblichen Hexen größtenteils weltlicher Herkunft - und nicht, wie oft behauptet, Kirchenmänner. Der für Verden zuständige Bischof Sigismund verbot gar drei Prozesse.
"Hintergrund der Anklagen waren in fast allen Fällen Nachbarschaftsstreitigkeiten", sagt Woock. Begünstigt wurden die Hexenprozesse auch durch die kleine Eiszeit (1560-1640). Infolge der Missernten wurde das Brotgetreide mit Kräutern und Mutterkorn gestreckt, das halluzinogen wirkte. "Alle waren high. Da war der nächste Schritt zur Hexenverfolgung nicht weit", betont Woock.
Die von Hunger und Todessehnsucht geprägte Gesellschaft nutzte die Hexenjagd offenbar als Ventil. Opfer der Prozesse wurden stets die sozial Schwächsten: Also verarmte, allein stehende Frauen ab 50 Jahren. Daher stamme wohl auch das Bild von der Hexe als kräuterkundiger alter Frau. Dass sie aber wegen ihres geheimen Wissens verfolgt wurde, sei unwahrscheinlich: "ln der frühen Neuzeit war die Kräuterheilkunde überall in der Bevölkerung verbreitet. Die Kräuterfrau gab es nicht", sagt Woock.
In manchen Regionen fielen sogar mehr Männer der Wut der Bevölkerung zum Opfer: Im schweizerischen Luzern war der Anteil mit 80 Prozent besonders hoch. Ein Artikel von Joachim
Woock zu diesem Thema ist im Internet abrufbar unter www.historicum.net.

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