"Kreisweites Netzwerk zur Erinnerungskultur ist auf dem Weg"
Jahresbericht der Geschichtswerkstatt Achim e.V. 2014/2015

von Karlheinz Gerhold, Achim-Baden

Runde Jahrestage bedeutender historischer Ereignisse ließen sich für 2014 und 2015 etliche ausmachen: Vor 75 Jahren: Der Zweite Weltkrieg (1939-1945) stürzt die Welt des 20. Jahrhunderts in eine Katastrophe nie gekannten Ausmaßes - und das nur 2l Jahre nach dem ersten Weltenbrand, dem Ersten Weltkrieg, der vor 100 Jahren begann. Vor 300 Jahren gelangte mit Georg Ludwig, dem Kurfürsten von Hannover, der erste Hannoveraner als King George I. auf den britischen Thron - die Personalunion währte von 1714 bis 1837. Vor 1200 Jahren - am 28. Januar 814 - starb Kaiser Karl der Große, der große Karolinger, den einige Forscher als den Vater Europas ansehen, in Aachen. Und vor 2000 Jahren starb Augustus, der legendäre Begründer des römischen Prinzipats. Dass schließlich vor 200 Jahren Napoleon Bonaparte abdankte und vor 150 Jahren Ferdinand Lassalle, der zu den Gründervätern der Sozialdemokratischen Partei Deutschland zählt, infolge eines Duells verstarb, verblasst dabei schon fast zu Randnotizen der Geschichte.
Die Geschichtswerkstatt Achim widmete im 29. Jahr ihres Vereinsbestehens bei dieser Vielzahl bedeutender historischer Ereignisse mehrere Veranstaltungen und einen Hauptteil ihrer regionalhistorischen Forschung dem Beginn und den Folgen des Ersten und des Zweiten Weltkrieges und den Auswirkungen aufAchim und Umgebung. Gilt es doch eines aus der Geschichte zu lernen: Kriege lösen keine Probleme!
Das Vereinsjahr 2014/15 begann am 3. August 2014 mit einer Führung durch die Sonderausstellung zum "1. Weltkrieg" im Museum Domherrenhaus in Verden. Die traditionelle Exkursion führte die interessierten Mitglieder der Geschichtswerkstatt am 14. September 2014 nach Jork ins Alte Land inklusive Besichtigung eines Obsthofes und der Kirche in Steinkirchen und eines Stopps am Elbdeich. Dem folgte am 16. September 2014 ein Vortrag des Baden-Forschers Heinz Kuhlmann über "Baden damals - Erinnerungen an meine Kindheit". Am 9. November präsentierten Mitglieder der Geschichtswerkstatt und Gäste im Rahmen eines "Historischen Stammtisches" in Gieschens Hotel Dokumente und Begebenheiten aus ihren Familiengeschichten zum Thema: "Vor 100 Jahren: der 1. Weltkrieg und seine Auswirkungen auf Achim". Gleichzeitig konnte Heft 19 derAchimer Geschichts-Hefte als neueste Publikation des Vereins vorgelegt werden, das sich auch diesem wichtigen Thema widmete: Die Juli-Krise 1914, jene Situation vor 100 Jahren, als militärische und wirtschaftliche Interessenskollisionen der Großmächte und die aufgeheizte Lage auf dem Balkan sich zu einem explosiven Gemisch verdichteten, das sich im Ersten Weltkrieg (1914-1918) entlud, gilt heutigen Historikern als bestens dokumentiert, jedoch auch als extrem komplex. Ob man, wie der britische Historiker Christopher Clark in seinem Buch "Die Schlafwandler - Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog" den Kriegsbeginn als Verkettung unglücklicher Umstände beschreiben kann, mag dahin gestellt bleiben. Fest steht, dass das deutsche Kaiserreich wegen seiner Großmachtträume die Hauptverantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkriegs trug.
Die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gattin am 28. Juni 1914 in Sarajevo verschärfte jedenfalls die bestehende Konfliktlage, die dann in den Eintritt des Deutschen Kaiserreichs in das Kriegsgeschehen am 1. August 19l4 mit der Kriegserklärung Deutschlands an Russland und am 3. August 1914 mit der Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich kulminierte. Der lokale Krieg zwischen Österreich-Ungarn und Serbien war innerhalb weniger Tage zum Kontinental- und schließlich Weltkrieg geworden, an dem sich 40 Staaten (aus heutiger Sicht sogar 70 Staaten) beteiligten und der über die Kolonien auch in Übersee tobte. Nur 20 Staaten blieben neutral. Auf der einen Seite standen mit Österreich-Ungarn, Deutschland, Bulgarien und dem Osmanischen Reich die sogenannten Mittelmächte, auf der anderen Seite im Wesentlichen mit Frankreich, Großbritannien, Russland, Serbien, Belgien, Italien, Rumänien, Japan und schließlich den USA die Entente und Alliierten.
Der Erste Weltkrieg war die "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts", wie der Krieg von einigen Historikern zu Recht bezeichnet wird. Diese Kennzeichnung als Urkatastrophe geht auf den US-amerikanischen Historiker und Diplomaten George F. Kennan zurück, der den Krieg im Jahre 1979 als "the great seminal catastrophe of this century" charakterisiert hatte. Seine Folgen waren und sind zum Teil bis heute immens und unabsehbar. Hier einige "Zahlen des Grauens": Waren am Beginn des Krieges rund 20 Millionen Soldaten mobilisiert, steigerte sich diese Zahl im Laufe der Kampfhandlungen auf 70 Millionen. Der Erste Weltkrieg forderte fast zehn Millionen Todesopfer und etwa 20 Millionen Verwundete unter den Soldaten. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Frontsoldaten betrug zwei Wochen! Die Anzahl der zivilen Opfer wird auf weitere sieben Millionen geschätzt, wobei die Angaben zu den Verlusten Russlands und des Osmanischen Reichs unsicher sind. Nicht bezifferbar sind die Leiden der Verwundeten in einer Zeit, in der es keine medizinische Prothetik gab, die Folgen von Hunger, Mangelernährung, Krankheiten; insbesondere wütete die Spanische Grippe als Pandemie, die sicher nicht von ungefähr gegen Kriegsende ausbrach. Die Zivilbevölkerung litt im Laufe der Zeit zunehmend unter Versorgungsengpässen, die im Steckrübenwinter 1916/17 gipfelten und zu mindestens 700.000 Hungertoten in Deutschland führten. Die Liste der Schreckensdaten lässt sich noch ergänzen um den Völkermord an den Armeniern, um den erstmaligen Einsatz von Giftgas und schließlich um die Weichenstellungen, die letztendlich zum Erstarken des Faschismus und dem Zweiten Weltkrieg, den einige Historiker gar nicht, als neuen Krieg, sondern als Fortsetzung des 1. Weltkrieges deuten, führten. Doch wie wirkte sich all das aufAchim aus?
Es gelang der Geschichtswerkstatt, alte Fotos und Berichte über die Folgen des Kriegsausbruchs auf Achim und seine Bevölkerung zu beschaffen und zu veröffentlichen.
Am 26. Oktober 2014 referierte Vereinsmitglied Gisela Schnobbel-Ahnert über ihre Erinnerungen an die unmittelbare Nachkriegszeit in Hemelingen, insbesondere über die Lage der Kriegsflüchtlinge vor 70 Jahren. Am 16. Dezember 2014 fand wieder die traditionelle Feier zum Jahresausklang im Haus Clüver statt, wieder liebevoll von Elke Gerbers, Helmut und Monika Köhler organisiert. Die Jahreshauptversammlung bestätigte am 3. Februar 2015 Karlheinz Gerhold als 1. Vorsitzenden und Helmut Köhler als 2. Vorsitzenden; die Versammlung bestimmte zudem zum Kassenverwalter Helmut Maack, zum Schriftführer Werner Esdohr, zum IT-Verantwortlichen Hartmut Nill und zu Beisitzerinnen und Beisitzern Elke Gerbers, Karl-Heinz Hildebrandt und Gisela Galle; Kassenprüferinnen wurden Monika Köhler und Christa Petrek. Am 5. März 2015 folgte eine Führung im Haus des Reichs durch die Ausstellung "Ausplündern und Verwalten - das Finanzamt Bremen stellt sich seiner NS-Vergangenheit". Am 17. März 2015 veranstaltete der Verein eine Vortragsveranstaltung: "Erinnerung an eine schlechte Zeit" - Notgeld in Achim und Umgebung; es referierten Karlheinz Gerhold, Achim-Baden, und Karl-Heinz Hildebrandt, Langwedel. Und eine weitere Führung folgte am 29. März 2015 durch die Ausstellung "China unter Mao" im Überseemuseum Bremen. Am 21. April 2015 ging es während einer weiteren Veranstaltung in Gieschens Hotel um das Ende des 2. Weltkrieges: Vor genau 70 Jahren: Erinnerung an die Befreiung vom Faschismus; mit Zeitzeugenberichten zur Besetzung Achims durch die britische Armee. Schließlich trug Heinz Kuhlmann am 9 . Juni 2015 Erinnerungen an seine Schulzeit in Baden vor und am 21. Juni zeigte Marlies Migowsky im KASCH Fotos aus der 25-jährigen Geschichte des Kulturhauses Alter Schützenhof.
Mit befreundeten Geschichtsvereinen traf man sich zum Erfahrungsaustausch: Am 28. September 2O14 folgten Mitglieder des Heimatvereins Oythe e.V. und am 3. Mai 2015 Mitglieder der Ottersberger Geschichtswerkstatt einer Einladung der Gesichtswerkstatt Achim ins Haus Clüver, dem Vereinssitz.
Regelmäßige regionalhistorische Sprechstunden im Haus Clüver rundeten das vielseitige Veranstaltungsprogramm ab, von dem Vieles auch auf der Internetpräsenz der Geschichtswerkstatt Achim unter www.geschichtswerkstatt-achim.de" nachgelesen werden kann.
Im Jahre 2014 initiierte der Kreistag die Gründung eines kreisweiten Netzwerkes "Erinnerungskultur im Landkreis Verden", das die Regionalgeschichte des 20. Jahrhunderts im gesamten Kreisgebiet erforschen, dokumentieren und die Forschungsergebnisse pädagogisch-didaktisch aufbereiten soll. Gleichzeitig soll eine Infrastruktur geschaffen werden, die in allen Städten, Gemeinden und Ortsteilen im Landkreis sachgerechtes Archivieren der regionalhistorisch wertvollen Dokumente, Fotos und Zeitzeugenberichte und zielgerichtetes Interviewen von Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts gewährleistet. Fünf Arbeitsgruppen haben bereits ihre Arbeit aufgenommen, diese werden sicher garantieren, dass das Projekt unter der Federführung des Landkreises ein Erfolg wird. Die Geschichtswerkstatt Achim beteiligt sich an diesem wichtigen Prozess engagiert.


Publikationen
1. Geschichtswerkstatt Achim e.V. (Hrsg.), Achimer Geschichts-Hefte, Heft 19, Achim 2014,
60 Seiten (Schwerpunktthema: der 1. Weltkrieg und Achim)
2. Geschichtswerkstatt Achim e.V. (Hrsg.), Achim - Unsere Stadt vor 30 Jahren - ein Bildkalender für das Jahr 2015, Verden, Haus der Werbung, 2014
3. Geschichtswerkstatt Achim e.V. (Hrsg.), Grußkarte zum Neujahr 2015, Achim 2014
4. Gerho1d, Karlheinz, Vielfältige Regionalgeschichte: Jahresbericht der Geschichtswerkstatt
Achim 2013/2014, in: Jahrbuch für den Landkreis Verden 2015 (Heimatkalender), Verden 2014.

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