Jahresbericht der
Geschichtswerkstatt Achim
2006/2007

(von Karlheinz Gerhold, Achim-Baden)

Im Berichtszeitraum 2006/2007 hat die Geschichtswerkstatt Achim im 21. Jahr ihres Vereinsbestehens wieder mit Vortragsveranstaltungen, Exkursionen, Ausstellungen und Publikationen die Regionalgeschichte gefördert, wie es ja auch Vereins- und Satzungszweck ist. Das Veranstaltungsjahr begann am 6. August 2006 mit einer Exkursion nach Bremerhaven zum "Aufbruch nach Amerika" mit Besichtigung des Auswanderer-Museums. Dieser Ausflug erfolgte im Rahmen des städtischen Ferienspaßprogramms, an dem sich die Geschichtswerkstatt fast seit ihrer Gründung im Jahre 1986 mit wechselnden Angeboten beteiligt. Die Rückfahrt führte die geschichtsinteressierten Schülerinnen und Schüler dann nach Blexen mit einer spannenden Führung durch die St. Hippolyt-Kirche durch den dortigen Pastor Gödecke, der eindrucksvoll die Gebeine des Heiligen Benjamin sowie die sog. Grabkammer des Heiligen Hippolyt den staunenden Kindern präsentierte. Benjamin war ein Mönch des ersten Bremer Bischofs Willehad, der im Jahre 782 in Blexen zu Tode kam, genauso wie sieben Jahre später Willehad selber. Der Patron der Blexener Kirche ist der erste "Gegenpabst" in Rom, der im Jahre 236 im Zuge der Christenverfolgung durch den römischen Kaiser Maximinus Thrax im Exil auf Sardinien als Märtyrer umkam. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich in der aus dem 11. Jahrhundert stammenden Blexener Kirche eine Reliquie des Märtyrers befand. All das fand natürlich das ungeteilte Interesse der Achimer Ferienspaßgruppe.
Am Tag des Offenen Denkmals, dem 10. September 2006, veranstaltete die Geschichtswerkstatt eine Führung über den Kirchhof an der Achimer St. Laurentius-Kirche mit Elke Gerbers und Günter Schnakenberg. Am 24. September führte eine weitere Exkursion nach Soltau mit Besichtigung der Sehenswürdigkeiten der Stadt sowie des dortigen Spielzeugmuseums. Dr. Diether Bischoff aus Bonn referierte am 26. September 2006 im Haus Clüver über die aus Baden stammende Familie Bischoff: "Wie unsere Vorfahren lebten". Am gleichen Tage konnte der Verein eine Sondernummer der Achimer Geschichts-Hefte präsentieren, die auf 132 Seiten die Familiengeschichte der Bischoffs enthält. Am 26. November stand eine Besichtigung des Nordmende-Museums in Uphusen auf dem Programm. Die folgenden zwei Veranstaltungen standen im Zeichen des 20jährigen Vereinsbestehens: Am 7. November 2006 hielt Prof. Dr. Armin Schöne aus Langwedel einen viel beachteten Vortrag über "Das Gohgericht Achim", dessen Geschichte weit ins Mittelalter zurückreicht. Im Anschluss an den Vortrag konferierten Vertreter der Kreisverdener Heimat- und Geschichtsvereine auf Initiative der Geschichtswerkstatt Achim über Möglichkeiten künftiger Kooperation. Die Festveranstaltung "1986 - 2006: 20 Jahre Geschichtswerkstatt Achim" fand schließlich am 12. Dezember 2006 im festlich geschmückten Haus Clüver, dem Vereinssitz, statt. Eine Bilanz über die 20jährige Vereinsarbeit, die Höhen, aber auch gelegentlich Tiefen der Vereinsgeschichte, zog Vereinsgründer und 1. Vorsitzender Karlheinz Gerhold, bevor der Ehrenbürgermeister der Stadt Achim, Christoph Rippich, den Festvortrag über die "Höhepunkte der Stadtgeschichte der letzten Jahrzehnte" hielt.
Vom 26. bis zum 28. Januar 2007 zeigte der Verein im Haus Clüver eine kleine Ausstellung über "Achim in alten Ansichten". Die Vorstandswahlen während der Jahreshauptversammlung am 6. Februar 2007 hatte folgendes Ergebnis: 1. Vorsitzender Karlheinz Gerhold, 2. Vorsitzende Elke Gerbers, Schriftführerin Edith Bielefeld, Kassenverwalter Reiner Aucamp, Redaktionssprecher Karl Heinz Hildebrandt, Beisitzer Hartmut Nill, Heinz Kuhlmann und Gisela Galle. Zu Kassenprüfern bestimmte die Versammlung Manfred Drees und Werner Esdohr. Helmut Cyriacks, der nicht wieder für das Amt des Beisitzers im Vorstand kandidierte, wurde für seine langjährige Vorstandsarbeit geehrt.
Als Gast konnte die neue Stadtbibliothekarin Heike Pflugner begrüßt werden, mit der eine enge Kooperation vereinbart wurde: Schon 2008 soll eine historische Ausstellung in der Stadtbibliothek gezeigt werden. Zudem sollen die regionalhistorischen Buchbestände der Stadtbibliothek und der Vereinsbücherei vernetzt werden.
Am 1. April 2007 beteiligte sich der Verein mit einem eigenen Stand an der Vereinsbörse im Rathaus. Während der traditionellen "Badener Pfingstwiese" 2007 zeigte die Geschichtswerkstatt alte Fotos von Baden und seinen Einwohnern im Festzelt.
Vom 8. bis zum 18. Mai 2007 zeigte die Geschichtswerkstatt in der Kreissparkasse Achim aus Anlass der Befreiung vom Faschismus vor 62 Jahren (Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945) eine kleine Ausstellung über "Achim nach dem Kriege", die unter Federführung von Sieglinde Falkenstein erstellt wurde.
Schließlich beteiligte sich der Verein an einer Veranstaltungsreihe der Evangelischen St. Laurentius-Kirchengemeinde, die aus Anlass der erstmaligen urkundlichen Erwähnung der Achimer Kirche im Jahre 1257 - also vor 750 Jahren - organisiert wurde. Den Auftakt bildete ein Vortrag, den Prof. Dr. Bernd Ulrich Hucker aus Vechta am 27. April 2007 in der Kirche zu den Anfängen der Achimer Kirchengeschichte - "Wie der Heilige Laurentius nach Achim kam" - hielt.

Hier die Hintergründe: Als Achim noch Haghem hieß!
"Natürlich gibt es sie viel länger - die Achimer Kirche, die zumindest in Form von Vorläuferbauten (vielleicht aus Holz) wahrscheinlich schon vor 1000 Jahren auf dem heiligen Standort in der Nähe der Lindenwurt existierte. Aber gemeinhin werden runde Geburtstage nach der ersten urkundlichen Erwähnung berechnet und gefeiert. Daher ist es durchaus von Interesse, dass die Achimer Kirche - nach allem, was wir heute wissen und bestätigt durch Recherchen des Kreisarchivs Verden - in einer Urkunde des Bremer Erzbischofs Gerhard II aus dem Jahre 1257 erstmals genannt wurde - also vor 750 Jahren!

Die in lateinischer Sprache verfasste Urkunde selbst ist auf uns gekommen durch ein Notariatsschreiben vom 26. Juni 1557 (sog. Transsumt), in dem sie wörtlich übernommen und zitiert wird. Schon damals sei die Urkunde in einem schlechten Zustand gewesen, jedoch "die Schrift unversehrt". In seinen 1796 erschienenen "Beyträgen zur Erläuterung der ältern und neuern Geschichte der Herzogthümer Bremen und Verden" hat der evangelische Theologe und Pastor in Visselhövede Hermann Schlichthorst (1766 - 1820) dieses Notariatsschreiben abgedruckt. Nachzulesen sind Einzelheiten zudem in den Regesten der Erzbischöfe von Bremen (1937) sowie im Bremischen Urkundenbuch (1873).

Doch worum genau ging es im Jahre 1257 und was war Anlass für die Beurkundung? Erzbischof Gerhard II übertrug den von der Pfarrgemeinde in Achim dem Herrn Henricus Mulle zu Verden abgekauften und dann ihm aufgelassenen Zehnten zu Önigstedt im Kirchspiel Lunsen der Kirche St. Laurentii in Achim. Diesen wichtigen und für die Achimer Kirche sicher wirtschaftlich bedeutsamen Rechtsakt bezeugten im Jahre 1257 unter anderen die Milites Bernhardus de Sledensen und Johannes de Segele, die Bremer Bürger Bernhardus de Mercele, Segebade und Hieronymus de Honstede sowie Johannes Claviger.

Was wissen wir über den Aussteller der Urkunde? Gerhard II zur Lippe wurde um 1190 geboren als Sohn des Bernhard zur Lippe. Bevor er im Jahre 1219 Erzbischof von Bremen wurde, war er Probst zu Paderborn. Die Unterwerfung der Stedinger Bauern betrieb er kreuzzugartig mit Unterstützung des Grafenhauses Oldenburg: Bekannt ist die Schlacht bei Altenesch im Jahre 1234. Er starb am 28. August 1258, also kurze Zeit nach Ausstellung unserer denkwürdigen Urkunde aus dem Jahre 1257. In ihr werden Achim "Haghem" und Verden "Vherde" genannt. Das Patrozinium der Achimer Kirche wird mit "S. Laurentii" angegeben. Als Patrozinium bezeichnet man die Schutzherrschaft eines Heiligen (Patron) über die ihm geweihte Kirche. Bereits in frühchristlicher Zeit wurde eine Kirche nach einem Märtyrer benannt, später auch ihm geweiht, wenn sie über dessen Grabstätte errichtet worden war oder Reliquien von ihm besaß. Das jährliche Gedächtnis des Patron wurde festlich im Patronatsfest begangen.
Der Heilige Laurentius war Diakon in Rom, er starb als Märtyrer in Rom im Jahre 258. Nach der Legende wurde er auf einem glühenden Rost zu Tode gefoltert. Schon Anfang des 4. Jahrhunderts gehörte er zu den berühmtesten und meistverehrten römischen Märtyrern, sein Fest (10.August) war nach "Peter und Paul" das höchste in der altrömischen Liturgie. Über seinem Grab ließ Konstantin der Große die Basilika "San Lorenzo fuori le Mura" bauen, die zu den sieben Hauptkirchen Roms gehört.

Doch wieso war die Achimer Kirche, deren Turm nach einer Entdeckung des Vechtaer Historikers Prof. Dr. Bernd Ulrich Hucker eine Weiheinschrift aus dem Jahre 1091 enthält, dem Heiligen Laurentius geweiht?

Hier mag ein Exkurs zum Leben und Wirken Kaiser Ottos des Großen (936-973) weiterhelfen. Nach dem Zusammenbruch des Karolingerreichs einigten fünf Herrscher aus dem sächsischen Geschlecht der Ottonen im 10. und 11. Jahrhundert die deutschen Stämme und legten damit das Fundament für die europäische Staatenwelt. Ihre Regentschaft begann im Jahre 919 mit der Wahl des Sachsenherzogs Heinrichs I zum ersten deutschen König, dessen ostfränkisches Reich im Krönungsjahr erstmals Deutsches Reich, "regnum teutonicum", genannt wurde. Heinrichs Sohn Otto I der Große wurde 936 in Aachen zum deutschen König gekrönt. Während seiner Regentschaft erreichte das Reich nach Ansicht der Historiker einen hohen Grad an innerer Stabilität und Einheit. Als äußere Bedrohung sind allerdings die Angriffe der noch nicht sesshaften Ungarn zu nennen, die im Sommer 955 unter ihrem Feldherrn Bulcsu eine Invasion gegen das Deutsche Reich begannen. Die Ungarn hatten auf dem Lechfeld südlich von Augsburg ihr Lager aufgeschlagen und belagerten die Stadt. Otto wählte offenbar den bevorstehenden Tag des heiligen Laurentius am 10. August für den Hauptkampf gegen die Ungarn aus, der vormittags in der Lechniederung nördlich von Augsburg außer Sichtweite der Stadt stattfand. Vor Beginn der Kampfhandlungen hatte Otto das Gelübde abgelegt, zu Ehren des Tagesheiligen Laurentius ein Bistum über seine Merseburger Pfalz zu errichten, falls Christus ihm an diesem Tag aufgrund der Unterstützung durch den Heiligen Sieg und Leben zu geben geruhe.

Und tatsächlich: Unter persönlicher Führung Ottos wurde das ungarische Hauptheer in die Flucht geschlagen und schließlich völlig vernichtet. Der König hatte während der Schlacht die siegverleihende "Heilige Lanze" ergriffen, die bereits sein Vater Heinrich I als wunderkräftigen Reliquienträger einst aus Italien erhalten hatte. Sie zählt seitdem zu den Reichsinsignien. Die Heilige Lanze wird mit dem heiligen Mauritius in Verbindung gebracht, der bereits von den Franken als prominenter Kriegerheiliger verehrt wurde. Und tatsächlich siegt Otto über die Ungarn, was ihm bereits zu Lebzeiten den Ehrentitel "der Große" einbrachte.

Neben Laurentius hat Otto auch dem Mauritius für seine Sieghilfe danken wollen, nachdem die Heilige Lanze, die er im Gefecht ergriffen hatte und die als Mauritius-Reliquie galt, ihre siegverleihenden Kräfte bewiesen hatte. Nach seiner Kaiserkrönung im Jahre 962 in Rom hat Otto dann auch für die Erzbischöfe von Salzburg, Mainz, Trier und Hamburg-Bremen päpstliche Privilegien veranlasst, die es ihnen erlaubten, das Pallium auch an den Festtagen des Laurentius und Mauritius zu tragen. Beide Heilige wurden so zu den Schutzpatronen der kaiserlichen Familie. Was liegt näher als zu vermuten, dass in dieser Zeit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts Kirchen diesen beiden Heiligen geweiht wurden und unter das Patronat dieser Heiligen gestellt wurden?

Da also die Verehrung des heiligen Laurentius im 10. Jahrhundert sehr populär war, ist eine Benennung der Achimer Kirche nach diesem Patron zumindest wahrscheinlich. Somit wäre das Patrozinium der Achimer Kirche eine Folge des Sieges Ottos des Großen auf dem Lechfeld über die Ungarn."



Aufsehen erregte schließlich noch Vereinsmitglied Heinz Kuhlmann, der bei seinen Recherchen zur Geschichte des Dorfes Baden auf einen in der Erinnerung verloren gegangenen vierten adligen Hof in Baden stieß, den "Athelingschen Hof", den er anhand alter Dokumente im Bereich der heutigen Tankstelle an der Verdener Straße/Bahnhofstraße lokalisierte. Dadurch muss in der Tat die bisher veröffentliche Geschichte Badens ein klein wenig umgeschrieben werden.


Publikationen

1. Dr. Diether Bischoff, Die Geschichte der Familie Bischoff, In: Achimer Geschichts-Hefte, Sonderheft 2007, herausgegeben von der Geschichtswerkstatt Achim, 132 Seiten

2. Geschichtswerkstatt Achim e.V. (Hrsg.), Achimer Geschichts-Hefte, Heft XII, Achim 2006, 64 Seiten

3. Geschichtswerkstatt Achim e.V. (Hrsg.), Historisches Achim, Bildkalender 2007. Verden, Haus der Werbung 2006

4. Geschichtswerkstatt Achim e.V. (Hrsg.), Grußkarte zum Neujahr 2007, Achim 2006

5. Gerhold, Karlheinz, Jahresbericht der Geschichtswerkstatt Achim 2005/2006, In: Heimatkalender für den Landkreis Verden 2007, Verden 2006, S. 336ff.

6. Gerhold, Karlheinz, "Die Eiserne Front steht" - Schlaglichter aus der Geschichte der Achimer Arbeiterbewegung - Teil 12: 1932, In: Heimatkalender für den Landkreis Verden 2007, Verden 2006, S. 250ff.

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