Aus dem Achimer Kreisblatt vom 16. September 2005:
Keine Ahnung von Knipp und Kochwurst
Ein Erlebnisbericht: Kindheit in Achim in den späten 50er Jahren / Teil I
Von Hans-Jörg Eßler

ACHIM . Im August 1957 verschlug es mich - achtjährig - aus meinem Geburtsort Iserlohn, einer mittelgroßen Stadt mit 60.000 Einwohnern am Rande des Sauerlandes, in die Kleinstadt Achim in der norddeutschen Tiefebene.
Der erste Eindruck erzeugte in mir eher gemischte Gefühle als Begeisterung. War es doch eine gänzlich andere Welt, in die ich geraten war. Aus der westfälisch sauerländischen, durch viele metallverarbeitende Betriebe geprägten Kreisstadt kam ich in den kleinen, eher ländlich verschlafen wirkenden niedersächsischen Ort.
"Mama, da ist ein Neuer in der Klasse, der spricht ganz komisch", erzählte manch Mitschüler zu Hause, nachdem ich in die 2. Klasse der Volksschule am Markt aufgenommen war. Schon die eigene Sprache, der noch vorhandene sauerländische Tonfall mit dem vielen "woll", verriet den Mitmenschen, dass man kein Einheimischer war.
In Achim war alles anders. Die Müllabfuhr kam noch mit Pferd und Wagen. Staunend umringte der Müllmann unsere, aus der Stadt mitgebrachte metallene Tonne mit dem Verriegelungsbügel für die motorisierten Müllfahrzeuge. Es dauerte einige Minuten, bis der Mitarbeiter das Prinzip heraus hatte und die Tonne leeren konnte. Wie wir bald merkten, wurden von der "Müllabfuhr" auch noch Stückguttransporte für die Bahn sowie, natürlich mit einer anderen Kutsche, Beerdigungen durchgeführt.

Bahnhofstraße
Als Hans-Jörg Eßler 1957 mit acht Jahren nach Achim zog, sah es in der Bahnhofstraße noch so aus, wie auf diesem Bild.

Auch das Einkaufen beim Schlachter, (in Westfalen heißt der Metzger), geriet mitunter zum Abenteuer. Die Mettwürste hießen hier Kochwurst, Brühwurst war Gekochte, Hackepeter, Knipp oder Blutballen kannte ich überhaupt nicht und manche westfälische, bisher selbstverständliche Spezialität gab es erst gar nicht.
Aber mit acht Jahren ist man da ja noch so flexibel, dass man das schnell draufhat. Meiner Mutter ist das schon etwas schwerer gefallen. Im Gegensatz zur größeren Stadt waren die Wege in Achim immer viel kürzer. Außerdem fuhr man mit dem Fahrrad, im Sauerland aufgrund der Berge ein etwas mühseliges und deshalb wenig gebräuchliches Unterfangen. Waren es in meinem Alltag bisher Kinder gewesen, die das Fahrrad oder einen Roller als Spielzeug nutzten, wurde das Rad nunmehr zu einem der Hauptverkehrsmittel meiner Mitmenschen.
Wir sind in die Kleine Bahnhofstraße gezogen, die damals noch aus Feldsteinpflaster bestand. Rechterhand war die Hengststation, hinter uns die Post in der Bahnhofstraße und dann natürlich der Bahnhof mit dem damals noch beschrankten Bahnübergang.
In Achim hielten keine D-Züge. Lediglich Personenzüge und einige Eilzüge konnte man nutzen. Der Bahnhof hatte noch eine richtige Güterstation und Viehverladeanlage. Auf den Bahnsteig kam man nur mit einer Fahrkarte oder einer extra zu erwerbenden Bahnsteigkarte. Die Tür zu den Bahnsteigen war verschlossen, kurz vor Eintreffen eines Zuges schloss ein uniformierter Beamter die Tür auf, stellte sich in das dafür in der Mitte des Durchgangs gebaute Häuschen und kontrollierte die Fahrkarten der Fahrgäste auf das Genaueste. Auf dem Bahnhofsplatz war eine große Fahrradaufbewahrung, die von einem einarmigen Kriegsversehrten betrieben wurde und sich regen Zuspruchs erfreute.

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