Aus dem Achimer Kreisblatt vom 17. September 2005:
Eine Tüte "Bruch" für 50 Pfennig
Bahnhof war ein "Abenteuerspielplatz" / Ein Erlebnisbericht: Kindheit in Achim in den späten 50er Jahren / Teil II
Von Hans-Jörg Eßler

ACHIM. Die Frühzüge brachten Pendler aus dem Achimer Umland in das Ausbesserungswerk der DB nach Sebaldsbrück, zu Borgward oder anderen Betrieben in Bremen und umzu. Die wenigsten konnten sich ein Auto leisten, man fuhr mit der Arbeiter-Monats-Karte, und dementsprechend voll waren die Züge morgens und am späten Nachmittag.
Über allem hing werktags immer der intensive Sauerteig-Geruch aus der, jenseits des Bahnhofs gelegenen, "Simons Brot-Fabrik", den man nie wieder aus dem Gedächtnis verliert. Daneben lag dann gleich "Riekes Honigkuchen-Fabrik", wo wir für 50 Pfennig immer eine große Tüte "Bruch" bekamen.
Für uns war die Gegend um den Bahnhof besser als ein Abenteuerspielplatz. Dieser Ausdruck war noch garnicht erfunden worden, da man sich um Spielplätze oder gar "Abenteuer"-Spielplätze nun überhaupt keine Gedanken machte.
Wir Kinder spielten auf der Straße, vor oder hinter dem Haus, an der Güterabfertigung, am Bahndamm oder in einer stillgelegten alten Schmelze am Paulsberg. Auch der Kamerun, damals noch eine Sandwüste, oder (strengstens verboten) das Öllager in Uesen erfreute sich bei den etwas älteren Kindern großer Beliebtheit.
Im Öllager waren noch etliche gesprengte Kanäle und offene große Tanks erhalten, die allerdings auch eine von uns nicht so richtig akzeptierte riesige Gefahr des Einsturzes und der Verschüttung in sich trugen.

Alter Marktplatz
Der alte Marktplatz in Achim, so wie ihn Hans-Jörg Eßler noch kennt.

Im Sommer badeten wir verbotenerweise in der Weser, obwohl die immer schmutziger wurde, oder man fuhr mit dem Rad zur "Moorkuhle", ein kleiner See in der Nähe von Embsen. Großer Luxus war es, wenn man zum Otterstedter See konnte. Da gab es einen billigen Jugendherbergs-Zeltplatz, so dass man auch schon mal ein paar Tage weg konnte.
Zu den Wochenenden ging man, wenn man es sich denn leisten konnte, für 50 Pfennig in die Jugendvorstellung einer der beiden Kinos "Corso" oder "Odeon". Die Vorstellung begann um 14.30 Uhr und dauerte bis kurz nach Vier.
Gezeigt wurden gerne alte Western, Fuzzy oder Monsterfilme wie Gorgo oder Godzilla. In den besseren oberen ersten drei Reihen für 1 Mark Eintritt saßen immer die "Halbstarken" mit ihren Mädels. Nach der Vorstellung begaben sich viele der "Halbstarken" in das Lokal von Heino Rühe neben dem Corso-Kino, dort wurde Rock 'n' Roll aus der Musikbox gespielt und etwas lauter debattiert als in gut-bürgerlichen Gaststätten. Dieses Lokal war für uns natürlich strengstens verboten ob der "Gefahren der Straße", die dort auf uns lauerten.
Abends knatterte dann die Jugend, sehr zum Unwillen der "anständigen" Bürger, mit heißgemachten Kreidler Florett und Victoria Vicky durch die Obemstraße. Dabei waren manche Maschinen, die höchstens 40 km/h schnell sein durften, so schnell gemacht, dass die Polizei mit dem 30 PS Käfer aufgeben musste.
Lesen Sie im dritten und letzten Teil der Serie "Kindheit in Achim in den späten 50er Jahren", wie die ersten Soldaten in die Kaserne am Öllager kamen.

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