Aus dem Achimer Kreisblatt vom 31. August 2004:

Größere Einschnitte schon von Beginn an
Vor 65 Jahren begann der Zweite Weltkrieg / "Bezugsscheine" für Lebensmittel, Seife und Kohle verteilt
Von Jürgen Siemers

VERDEN. Vor 65 Jahren, am 1. September 1939, um 5.45 Uhr, begann der Zweite Weltkrieg, dessen Vorgeschichte, Verlauf und Ausgang allgemein bekannt ist. Aus diesem Grunde wird hier nicht auf das "große" Geschehen eingegangen.
Eine Tageszeitung, die "Verdener Neueste Nachrichten" ermöglicht es, zu erfahren, welche Maßnahmen des beginnenden Kriegs sich auf den Alltag in der Stadt besonders ausgewirkt haben.
Ein großer Teil der wehrfähigen Männer war schon in den letzten Augusttagen zum Wehrdienst einberufen worden. Und bereits am Montag, 28. August 1939, hatte die Bevölkerung die ersten "Bezugsscheine", so die offizielle Bezeichnung, in den Händen. In einer Blitzaktion waren diese allen Haushaltungen am Sonntag überbracht worden. Jede Person erhielt eine Ausweiskarte, die vier Wochen galt, an der sich Bezugsscheine für "gewisse Lebensmittel, Seife und Kohle" befanden. Die Karten, so ist es zu lesen, waren vorsorglich seit längerer Zeit bereit gehalten worden!
Brot, Mehl und Kartoffeln fielen anfangs nicht unter diese Regelung, das änderte sich bereits vier Wochen später. Zum Einkauf der bewirtschafteten Waren mussten die Verbraucher sich bei Einzelhändlern in Kundenlisten eintragen lassen. Eine freie Wahl des Fleischers oder ähnliches war nur nach Ablauf der jeweils vier Wochen dauernden Zuteilungsperiode möglich. Am Kriegsanfang erhielten die Normalverbraucher wöchentlich unter anderem 700 Gramm Fleisch, 235 Gramm Butter, Käse und Fette, 280 Gramm Zucker und 110 Gramm Marmelade. Bis zum Kriegsende 1945 änderten sich die Rationen aber gravierend (Heimatkalender 1984).

Verdener Neueste Nachrichten

In den "Verdener Neuesten Nachrichten" wurde die Bevölkerung über den Krieg und die Folgen informiert.

Ab der zweiten Periode, 25. September, wurden Einzelkarten für jede Nahrungsmittelgruppe ausgegeben. Für Bekleidung, Stoffe und Schuhe wurden auf Antrag Bezugsscheine ausgestellt, ab November gab es die Kleiderkarte. Die Benutzung von Kraftwagen war stark eingeschränkt. Nur mit Sondergenehmigungen, das Nummernschild wurde mit einem roten Winkel versehen, durfte das Auto benutzt werden.
Bürgermeister Dr. Lang als örtlicher Luftschutzleiter erließ umfangreiche Anordnungen für diesen Bereich. Mit besonderer Strenge wies er auf die absolute Verdunklung hin. Ob Wohnungen, Geschäfte, Werkstätten oder Ställe, nirgends durfte ein Lichtschein nach außen dringen. Straßenlaternen waren größtenteils ausgeschaltet oder besaßen ein notdürftiges, nur nach unten gerichtetes Licht, die Scheinwerfer von Autos und Lampen der Fahrräder waren bis auf einen Schlitz zugeklebt. Verstöße zogen Gefängnisstrafen nach sich. Die Dachböden waren geleert worden und "Alle verfügbaren Behälter (Badewannen, Kessel, Eimer und Kannen) sind mit Trink-und Löschwasser zu füllen und ständig bereit zu halten..."
Luftalarm wurde durch Sirenen auf der Kolberg-Kaserne und dem Rathaus ausgelöst. Dass es nicht reichte, zeigt die Meldung vom 4. September: "In letzter Nacht um 2 Uhr wurde in Verden Fliegeralarm ausgelöst. Eine Stunde später folgte das Entwarnungszeichen. Die Sirene wurde infolge der Windrichtung in Teilen der Süderstadt nicht gehört, doch werden diese Mängel schon beim nächsten Fliegeralarm durch eine Großanlage behoben sein".
Jeder hatte bei Alarm sofort den Schutzkeller, der fast in jedem Hause war, aufzusuchen. Bei Tagesalarm standen für Passanten öffentliche Schutzräume zur Verfügung: Obere Staße (Dr. Hesse) für 200 Personen, Große Straße 86 (Eingang Bruckstraße) für 50 Personen, Große Straße 100 für 30 Personen und Schleppenföhrer Straße (Weinhandlung Schröder) für 45 Personen. Außerdem waren Schutzgräben auf dem Domplatz, dem Schulhof der Pestalozzischule und auf dem Böselagerschen Garten angelegt worden. Während in beiden Kinos die Progamme weiter liefen, waren Tanzveranstaltungen bis Mitte Oktober verboten.
Natürlich ist an Hand der wenigen Angaben die reale Situation nicht darzustellen. Wenn auch zu Beginn des Krieges für Verden kaum eine Bedrohung bestand, gab es doch sofort größere Einschnitte. So mussten die Arbeitsplätze der einberufenen Männer größtenteils durch Frauen besetzt werden. Die Jugend wurde sofort in der Ernte eingesetzt, der Schulbetrieb wurde erst Ende September wieder aufgenommen. Zum Teil hatte man in Schulen vorsorglich Lazarette eingerichtet. Die Einschränkungen nahmen zu, und der Krieg war erst am Anfang.

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