Aus dem Achimer Kreisblatt vom 29. Januar 2005:

"Dieses Elend ist unvorstellbar"
Der heute 80-jährige Heinz Osmers aus Oyten überlebte die größte Schiffskatastrophe der Geschichte
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on Manfred Brodt

OYTEN . Den 30. Januar vor 60 Jahren wird der Oytener Heinz Osmers (80) nie vergessen. Er ist einer der wenigen Überlebenden beim Untergang der "Wilhelm Gustloff" in der Ostsee, der bisher größten Schiffskatastrophe bei der 9343 Menschen den Tod fanden.
Das Kreuzfahrtschiff, benannt nach einem umgebrachten Nazi, war das größte und komfortabelste seiner Zeit und zunächst unter Regie der Deutschen Arbeitsfront unter dem Motto "Kraft durch Freude" auf Urlaubsreisen für die Volksgenossen unterwegs, von Norwegen bis Tripolis. Zu Beginn des Weltkrieges hatten die Nationalsozialisten das Luxusschiff zu einem schwimmenden Lazarett umbauen lassen. Ab 1940 war das in Gotenhafen (Gdingen) liegende Schiff auch Ausbildungsplatz und Wohnstätte für zukünftige U-Boot-Fahrer. Wegen eines U-Boot-Lehrgangs war auch der damals 20-jährige Mechaniker-Maat Heinz Osmers, damals aus Achim, auf der "Gustloff".
Ende Januar 1945 - die Niederlage der nationalsozialistischen Eroberer rückte näher - war die "Gustloff" dann mit verwundeten Soldaten, Flüchtlingen, Frauen, Kindern und Greisen beladen, die aus Westpreußen, Ostpreußen, Danzig und Pommern vor der Roten Armee geflüchtet waren.

'Wilhelm Gustloff'

"Kraft durch Freude" auf der "Gustloff" vor ihrem Untergang: 44 Urlaubsreisen mit 65.000 Urlaubern in 17 Monaten.

Bei Eis und Schnee gelangten die Flüchtlingstrecks mit Wägelchen und Schlitten zum vermeintlich rettenden Hafen, um auf dem Seeweg den Westen zu erreichen.
Heinz Osmers und Kameraden hatten den Fliehenden bei der Unterbringung im überfüllten Schiff zu helfen. Als die "Gustloff" ausgelaufen war, oblag es Osmers, vom Oberdeck aus mögliche Angriffe zu beobachten und sofort der Brücke zu melden.
Kaum hatte er gegen 21 Uhr an jenem 30. Januar auf hoher Ostsee seine Wache angetreten, traf auch schon der erste von insgesamt drei sowjetischen Torpedos den Dampfer. In Sekundenschnelle entstand eine riesige Feuersäule, schreiend aufs Oberdeck rasende, spärlich bekleidete Frauen, entsetzliches Chaos und zunehmende Schieflage des Schiffes.
Menschentrauben, die sich an der oberen Reeling vor Kälte nicht mehr halten können, rutschen unter Schreien übers vereiste Oberdeck, schlagen hart vor die untere Reling oder gehen über Bord. Heinz Osmers hilft einer Frau in Panik mit Baby auf dem Arm, nimmt ihr den Säugling ab. Die Frau stürzt, rappelt sich wieder hoch und erhält von Osmers das Kinderbündel zurück. Erst da sieht er, dass oben die Füße und unten der Kopf sind.
Kleine Boote reißen Passagiere weg oder klemmen sie ein. Auch Heinz Osmers wird durch eine ins Rutschen geratene Barkasse eingeklemmt und dann durch ein weiteres Boot mit der Barkasse über Bord in die eiskalte Ostsee katapultiert.
Sein Wachmantel hängt an der Barkasse, die leckgeschlagen ist. Osmers kann sich losreißen, zu einem überbelegten Floß schwimmen und dann bei 16 Grad Minus in der Luft, zwei Grad Wassertemperatur, Sturm und hohem Seegang paddelnd und schwimmend, vorbei an Leichen und ertrinkenden Menschen in I Schwimmwesten und dicken Mänteln, völlig unterkühlt und entkräftet die rettende Strickleiter des deutschen Torpedobootes T 36 erreichen. Er sieht, wie sich die "Gustloff" weiter auf die Seite legt, wie kurz vor dem endgültigen Untergang wohl durch einen Kurzschluss das Schiff hell erleuchtet wird und die Sirene anfängt zu heulen.
Heinz Osmers ist einer von 1239 Uberlebenden. 9343 Menschen, darunter 8956 Flüchtlinge und mehr als 8000 Kinder und Frauen, finden den grausigen Tod.
Heinz Osmers hat bald seinen Eltern auf 15 Seiten Feldpostbriefen von dem schrecklichen Ereignis berichtet. Die Nazi-Medien hatten die Katastrophe am zwölften Jahrestag der NS-Machtergreifung verschwiegen und statt dessen über Erfolge an der Ostfront und den kommenden Endsieg zusammengelogen.

Der 20-jährige Mechaniker-Maat Heinz Osmers.

Heinz Osmers hat als U-Boot-Fahrer viel Schlimmes erlebt, aber der Untergang der "Gustloff" war das Fürchterlichste.
Die Katastrophe erzählt er jetzt noch einmal, damit alle, insbesondere die Jugend, davon erfahren und damit wir keinen Krieg mehr bekommen. "Lasst die Finger davon", appelliert der 80-Jährige, "dieses Elend und dieses Leid, es ist unvorstellbar."

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