Aus dem Sonntags-Tipp vom 15. August 2004:

Halbmond über Thedinghausen
Die spannende Geschichte der "Poggenburg"

THEDINGHAUSEN (kr). Thedinghausen ist bäuerlich-ländlich geprägt, ohne Zweifel. Gepflegte Anwesen, uralte Bäume, die eine oder andere Bürgervilla und die stimmig in die Ortsmitte passende Kirche Maria Magdalena machen einen gediegenen Eindruck. Diese Blickfänge sind jedoch nicht alles, wenn man sich schon auf Spurensuche begibt und die Historie der Gemeinde näher betrachtet.
Gegenüber von Maria Magdalena zieht ein bauliches Ensemble die Aufmerksamkeit auf sich, das im typischen Fachwerkstil den Mittelpunkt Thedinghausens darstellt. Ein mächtiges Gebäude mit Rotsteinklinkem und schwarzen Eichenbalken, mit einem Scheunentrakt, durch einen Zwischenbau miteinander verbunden, und ein weiteres, großbürgerliches Gebäude, das irgendwie wie ein ehemaliges Wohnhaus aussieht. Ein Turm komplettiert das Ensemble. Er rundet die Anlage ab, in der sich die Verwaltung, Heimatmuseum und Bücherei der Samtgemeinde befinden.

Die alte Poggenburg

Das Rathaus von Thedinghausen, die alte "Poggenburg", hat eine spannende Geschichte.

Ein kurioses Detail auf einem der Hauptgebäude zieht unweigerlich die Aufmerksamkeit auf sich. Es handelt sich um einen kunstvoll gearbeiteten, türkischen Halbmond mitten auf dem Dach auf einem kleidsamen Glockentürmchen - ungewöhnlich für die norddeutsche Tiefebene, aber durchaus schön.
Mit ansprechender Begrünung, üppigen Rosensträuchern und informativen Hinweistafeln wirkt dieser Ort herausgeputzt und einladend, die gute Stube der Ortschaft eben. Und genau das haben die Gemeindeväter aus der ehemaligen "Poggenburg" auch gemacht.

Der Halbmond auf dem Packhaus.

Der Halbmond auf dem Packhaus der Poggenburg bringt seit 1835 orientalisches Flair nach Thedinghausen.

Nach der Gebietsreform und der Entstehung der Samtgemeinde genügte das alte Rathaus des Ortes nicht mehr. 1973 wurde die Poggenburg (Krötenburg) erworben und zum neuen Rathaus umgebaut. Eine "Burg" ist die Poggenburg nie gewesen, aber ein mit einer Wehranlage versehenes Hofgebäude. Wie oft die Poggenburg verfallen war und am gleichen Ort wieder aufgebaut wurde, kann heute niemand mehr sagen. Sicher ist jedoch, dass sie im direkten Zusammenhang mit dem Bau der Burg Thedinghausen steht, die 1285 von Erzbischof Giselbert von Bremen errichtet wurde.
Ein Burglehen liegt ihrer Errichtung zugrunde, wie der Historie zu entnehmen ist. Die Anlage war im Besitz verschiedener Rittergeschlechter, ehe sie 1580 von einem Amtmann erworben wurde und schon damals als Verwaltungssitz diente. Einer wechselvollen Geschichte als landwirtschaftliches Gut folgte die Inbesitznahme durch den vermögenden Lunsener Pastor Gudewill. Einer seiner Söhne errichtete in der Poggenburg ein Handelshaus, das viele Jahre wirtschaftlich florierte.
Dieser Gudewill war um 1800 der reichste Mann von Thedinghausen. Damals wurden Packhaus, Scheune und das repräsentative Wohnhaus erbaut. Mit dem Tode des Kaufmanns waren die üppigen Zeiten aber vorbei. 1843 wurde Dr. Grimm, dessen Frau den Gudewillschen Besitz geerbt hatte, Herr der Poggenburg. Er war es, der auf dem Packhaus ein Uhrentürmchen anbringen ließ. An dessen Spitze war ein Halbmond gesetzt, der sich noch heute auf dem Gebäude befindet.
Dieser türkische Halbmond erinnert an die Großmutter des Besitzers Grimm, die ein ungewöhnliches Schicksal hatte. Sie wurde vermutlich 1722 in der türkischen Stadt Oszakow am Schwarzen Meer geboren und wuchs dort reich und begütert auf. Im russisch-türkischen Krieg wurde die Stadt Oszakow 1738 völlig zerstört. Der auf russischer Seite kämpfende, braunschweigische Prinz Anton Ulrich suchte sich aus einem Haufen türkischer Gefangener unter anderem das hübsche Mädchen Abbas Cachiane Rhebisch als Kriegsbeute aus und brachte sie nach St. Petersburg.
Man fand dort Gefallen an dem schönen, klugen Mädchen, gab ihm Unterricht in verschiedenen Sprachen, auch in Deutsch. Sie wurde in St. Petersburg getauft und erhielt den wohlklingenden Namen Anna Charlotte Rhebisch. Prinz Anton Ulrich nahm die Türkin mit nach Blankenburg, um sie seiner Großmutter, Herzogin Christine Louise als Gesellschafterin zur Verfügung zu stellen. Anna Charlotte entzückte die Herzogin durch ihre Schönheit und Anmut und genoss ihr uneingeschränktes Vertrauen. Um die Zukunft ihrer Schutzbefohlenen sicherzustellen, begünstigte sie deren Verbindung mit dem Pastor Moritz Grimm und versprach, das junge Paar zu unterstützen.
Unglücklicherweise starb die Herzogin wenige Tage vor der Vermählung des Paares. Damit änderte sich alles. Hofintrigen verhinderten die Auszahlung der als Aussteuer gedachten Schenkungen. Dennoch wurde in aller Stille geheiratet. Mittellos folgte die junge Pastorenfrau ihrem Mann in den Harz nach Zorge, wo sie ein entbehrungsreiches Leben führen musste. Neun Kinder brachte sie zur Welt. 1766 starb Anna Charlotte im Alter von 44 Jahren. Ihr Enkel ist der Arzt Dr. Theodor Grimm, der 1835 nach Thedinghausen kam und mit dem türkischen Halbmond auf dem Packhaus seiner Großmutter, die er nie gesehen hatte, posthum seine Zuneigung erweisen wollte.

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