Aus dem Achimer Kreisblatt vom 21. Mai 2012:

Angst vor Totalitärem als Antrieb politischen Wirkens
Ex-Bundesminister Karl Ravens referierte / Lebendige Zeitgeschichte

ACHIM. Karl Ravens wurde 1927 in Achim geboren. Damit gehört der Bundesbauminister der Regierung Schmidt zu der Generation, die zwischen den beiden Weltkriegen und in der Weltwirtschaftskrise den Ausverkauf der Demokratie erlebten und die Folgen der Machtübernahme der Nazis. Im Kleinen wie im Großen.
Ravens erinnerte an diese Zeit am Freitagabend auf Einladung der Geschichtswerkstatt mit einem Vortrag im Cafe des Clüverhauses. Es war das erste von insgesamt drei Referaten und streifte die Jahre von 1927 bis 1945.
Quelle für Ravens' Aufzeichnungen waren eigene Erlebnisse, Gespräche mit Geschwistern, Freunden und Bekannten. Erkenntnisse über die aktuelle Berichterstattung in jener Zeit lieferte ihm dabei das Archiv des "Achimer Kreisblatt". Das dokumentiert gleichermaßen das Weltgeschehen und die örtlichen Begebenheiten, mithin auch den Hurra-Patriotismus, in der der Versailler Vertrag als Schande galt und der Machtzuwachs Deutschlands als oberstes Ziel. Schon vor dem Nazi-Regime stand die Demokratie auf tönernen Füßen: "Das Scheitern der Demokratie war nicht zu verhindern. Es fehlte an Demokraten", sagte Karl Ravens. Daran änderte auch nichts der Friedensnobelpreis, den der deutsche Außenminister Gustav Stresemann 1926 erhalten hatte.
Achim mit seinen 3200 Einwohnern war Ende der 1920er Jahre wirtschaftlicher Mittelpunkt des Kreises, feierte mit einem großen Umzug die erste Motorspritze der örtlichen Feuerwehr, danach noch größer die Fertigstellung der Weser-Brücke in Uesen oder - wieder kleiner - die Eröffnung des "Odeon", das erste Kino am Platz.
Noch hatten Menschen mit jüdischem Glauben keine Repressalien und schon gar nicht um ihr Leben zu fürchten. Mit dem Erstarken der NSDAP, die Hilfe aus wirtschaftlicher Not versprach, und ihrer Schergen verlor sich das friedvolle Miteinander. Der Stirnmungswandel und die Auswüchse deutscher Großmannssucht, diese Jahre sind nachzulesen im Kreisblatt, das damals mit seinen Jubel-Berichten keine rühmliche Rolle spielte "und seinen Weg erst fand nach 1945".

Karl Ravens und Karlheinz Gerhold

Karl Ravens (links) bei der Begrüßung durch Karlheinz Gerhold. Foto: häg

Im braunen Getöse blieben Recht und Würde auf der Strecke: "Deutschland hatte sich schnell dem Diktat des Reichskanzlers Hitler unterworfen", sagte Ravens, und fügte an: "Auch Achim hatte sich ergeben." Die Nazis bedienten sich aller propagandistischen Möglichkeiten und nutzten beispielsweise die Faszination des Fliegens für ihre Zwecke. Imposante Luftschiffe fuhren als Werbeträger für einen menschenverachtenden Unrechtsstaat.
Karl Ravens, der trotz Empfehlung nicht die Mittelschule besuchen durfte, weil seine Eltern das Schulgeld nicht aufbringen konnten, kurierte in den dreißiger Jahren eine Lungenentzündung bei "Tante Käthe" in Mülheim und spürte bei dieser Frau die Abkehr von einer Ideologie, die Freiheit nur der Herrenrasse gewährt. Ravens hatte in Achim zuvor den Brand der Synagoge erlebt und bei einer Veranstaltung einen Nazi, der seine Mutter anschrie, weil sie keinen Hitlergruß entbot. Auf dem Arm hatte sie Karl Ravens kleinen Bruder, der sich verletzt hatte: "Damals spürte ich große Angst", sagte der Sozialdemokrat. Diese Angst vor allem Totalitären hat ihn seitdem nie mehr ganz verlassen. Es ist der Antrieb für Ravens politisches und soziales Engagement.

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