Aus dem Wochen-Tipp vom 3. Februar 2005:

Mit Tabak zum Wohlstand
Zigarrenmacher brachten Achim voran
Von Wilfried Palm

ACHIM (Eig. Ber.) Gewissermaßen in letzter Minute wurden die wenigen verbliebenen Zeugen eines der wichtigsten Abschnitte der Achimer Geschichte vor dem "Feuertod" bewahrt. Der damals junge Klaus Bischoff fiel seiner Tante spontan in den Arm, als sie die Axt an die im Hause noch verbliebenen Zigarrenmachertische und -werkzeuge zwecks Gewinnung von Brennholz legen wollte.
Damals war es weniger die Kenntnis über die wirtschaftliche Bedeutung der Zigarrenproduktion für seine Heimatstadt als Familienbewusstsein, das Klaus Bischoff veranlasste, der Tante zum Heizen Abfallholz aus der väterlichen Tischlerei zu besorgen und im Gegenzug die alten Tische und Zigarrenwerkzeuge sicherzustellen. Denn sein Großvater Hinrich Klenke war Achims letzter Zigarrenmacher. Mit ihm verschwand ein Wirtschaftszweig, der das einst kleine Achim wachsen ließ und zu wirtschaftlicher Blüte führte.
Die Rettungsaktion hatte nicht nur zur Folge, dass es seit dem Achimer Stadtfest im Rathaus eine kleine Dauerausstellung über das Achimer Zigarrenmacher-Handwerk gibt, die zuvor im Haus Clüver untergebracht war. Sie löste auch das Interesse von Klaus Bischoff an der Heimatgeschichte aus und führte dazu, dass er zusammen mit anderen den Heimatverein Achim gründete, der heute auf vielfältige Weise die Historie der Stadt erforscht und dokumentiert.

Klaus Bischoff

Klaus Bischoff rettete die letzten Überbleibsel des Achimer Zigarrenmacherhandwerks.

Doch zurück zu den Zigarrenmachern. Die verdanken ihre Existenz der Gründung des Deutschen Zollvereins am 1. Januar 1834. Dem Ziel, die innerdeutschen Zollgrenzen aufzuheben, verweigerte sich die Hansestadt Bremen ähnlich wie Hamburg wegen ihres Freihafens lange Zeit. Das Königreich Hannover und damit Achim waren dem Zollverein 1854 beigetreten, Bremen stieß erst 1888 hinzu. Bis dahin nutzten die Bremer die Vorteile dergestalt, dass sie im eigenen Hoheitsgebiet weitgehend nur für den Eigenbedarf und den wichtigen Export produzierten und im übrigen viele Produktionen, so auch die der Zigarren, in das preisgünstigere Umland und damit auch nach Achim verlagerten.
So gründeten vorausschauend Dreyer & Pollius bereits 1853 die erste Zigarrenfabrik in Achim, 1854 folgten bereits drei weitere, und 1914 zählte Achim gar 19 Zigarrenfabriken.
Dazu kamen ungezählte Heimarbeiter, die Zigarren oft unter Einsatz aller Familienmitglieder in kleinen Werkstätten oder sogar in der heimischen Küche rollten. Um die recht eintönige Arbeit etwas aufzulockern, las dabei einer aus der Zeitung vor. Das blieb nicht ohne Folgen, denn so waren die Tabakarbeiter gemessen an ihrem sozialen Stand bemerkenswert gut informiert.
Das war wohl auch einer der Gründe, warum sie zu den Vorreitern der Arbeiterbewegung gehörten. Bereits 1854 gründeten sie in Achim eine "Kranken- und Sterbekaße für Cigarren und Tabaks Arbeiter" sowie den 1866 erstmals erwähnen "Hülfsverein vür verheiratetet Cigarren und Tabaksarbeiter" und schlossen sich in großer Zahl bereits 1866 dem von Ferdinand Lasalle 1863 gegründeten "Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein" an, was zur Gründung einer eigenen Ortsgruppe im Jahr 1868 führte.
1865 waren es auch die Zigarrenarbeiter, die mit dem "Allgemeinen Cigarrenarbeiterverein" die erste deutsche Gewerkschaft gründeten, und die Achimer waren von Anfang an dabei.
Das trotz allen politischen und wirtschaftlichen Wandels noch 100 Jahre später in Achim Zigarren hergestellt wurden, war Hinrich KIenke zu danken. Als letzter Vertreter seiner Zunft hat er laut Presseberichten noch bis 1965 und damit im Alter von 80 Jahren in Achim Zigarren "gerollt". Heute erinnert an jene Zeit neben der Zigarrenmacherstube im Rathaus vor allem das Kunstwerk "Zigarrenmacher" des Bildhauers Christian Huber vor dem Verwaltungsgebäude an die glorreichen Zeiten - während seiner Planung und Realisierung übrigens stark umstritten.
Dass etliche Achimer zu ihrer Geschichte auch sonst nicht immer den rechten Bezug haben, belegt ein Ereignis, das sich anlässlich des Stadtfestes ereignet hat. Da wurde KIaus Bischoff, der den Passanten vor dem Rathaus zeigte, wie einst von vielen Achimern Zigarren hergestellt wurden, mehrfach der Vorwurf gemacht, das sei politisch ja doch nicht korrekt. Rauchen sei schließlich gesundheitsschädlich. Der heute 66-Jährige nahm es gelassen.
Andererseits freut er sich immer wieder über Menschen, die sich für diesen Teil der Achimer Geschichte und für die Geschichte des Tabaks allgemein interessieren. Und er ist gerne zu zusätzlichen Informationen und Demonstrationen für Gruppen bereit, wenn man unter Telefon 04202/3339 einen Termin mit ihm vereinbart.
Wer sich für die Geschichte der Achimer Tabakmacher interessiert, konnte früher auch zu einem inzwischen nicht mehr erhältlichen Buch des in Fischerhude lebenden Autors Joachim Teubert greifen. Der passionierte Nichtraucher hatte sich für einen Forschungsauftrag auf die Spuren der Achimer Geschichte gemacht und 1990 im Verlag Atelier im Bauernhaus das Buch "Cigarrenmacher - Ein Handwerk bewegt Achim" herausgebracht. Dieses Buch gibt reich bebildert einen umfassenden Einblick in einen Zeitabschnitt, in dem Achim vom Dorf in der Marsch zu einer sich wirtschaftlich und damit einwohnermäßig schnell entwickelnden Stadt wurde.
Zudem erinnert es mit Blick auf die Geschichte des Tabaks daran, dass die zur Zeit wieder aktuelle Verteufelung des Rauchens keine Erfindung unserer Zeit ist. Kirche wie Staat inszenierten schon im 17. Jahrhundert einmal einen groß angelegten Feldzug gegen das Rauchen. Trotz des daraus resultierenden öffentlichen Rauchverbots, das erst mit der Revolution von 1848 wieder fiel, wurde übrigens weiter geraucht. Und die Zigarre, vor Pfeife und Zigarette die erste, von den Indianern erfundene Art, das einstige Heilkraut Tabak zu rauchen, gilt ja auch heute noch als die höchste Form des Tabakgenusses.

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