Achim in der Zeit des Faschismus

Christian Just und Karlheinz Gerhold, Geschichtswerkstatt Achim

Auschwitz, Buchenwald, Warschau - Ortsnamen, die unauslöschlich mit der Erinnerung an Nazi-Terror verbunden sind. Warum also ausgerechnet ein Beitrag über Achim während des Nationalsozialismus? Hier gab es kein Konzentrationslager, kein Massaker und als am 9. November 1938 (Reichspogromnacht) überall im Reich die SA auf Befehl hin den Volkszorn gegen jüdische Mitbürger inszenierte, ging die Synagoge nicht einmal in Flammen auf. Die Nazis traten als brave Bürger auf, der Übergang zur faschistischen Diktatur vollzog sich fast reibungslos. Achim war eine vollkommen normale Stadt, die Geschichte des Nationalsozialismus zeigt für Achim das typische Bild einer mittleren Kleinstadt: Der Aufstieg der NSDAP von einer rechten Splittergruppe zur herrschenden Macht, die Selbstverständlichkeit, mit der der größte Teil der Gesellschaft den Übergang von Demokratie zu Faschismus machte, während Andersdenkende verfolgt und in den Tod geschickt wurden. Erntedankfest wurde weiter gefeiert, nur daß 1938 an erster Stelle des Festumzuges der "Bauernleiter" marschierte, weiter hinten der Ortsgruppenführer, NS-Frauenschaft, BDM, HJ...
[1]. Der Nationalsozialismus äußerte sich eben nicht immer durch offensichtlichen Terror und Grausamkeit, der "gewöhnliche Faschismus" funktionierte ganz unspektakulär - weniger menschenverachtend wurde er dadurch nicht. Andersdenkende wurden auch in Achim verfolgt, die jüdische Bevölkerung Achims, 1913 immerhin 2 Prozent der Einwohner, wurde von den Nazis ausnahmslos in die Vernichtungslager oder ins Exil getrieben [2]. Das Beispiel Achim beweist, daß die Zeit von 1933 bis 45 kein gräßlicher Ausrutscher oder "Betriebsunfall" der deutschen Geschichte war. In diesem - notwendigerweise unvollständigen - Beitrag geht es nicht darum, irgendjemanden anzuklagen oder schuldig zu sprechen, sondern den Blick darauf zu richten, wie Faschismus in einer ganz normalen Stadt wie Achim aussah.
In den Dreißigern war Achim eine Kleinstadt mit einigen tausend Einwohnern - gewerblicher Mittelstand, Arbeiter, Angestellte -, geprägt durch ihre Lage vor den Toren Bremens. Bei Wahlen waren sowohl die Sozialdemokraten, als auch die Nazis relativ stark - das typische Bild eines kleinstädtischen Vororts mit organisierter Arbeiterschaft und starkem Mittelstand. An den Wahlergebnissen in den verschiedenen Gemeinden des Landkreises gemessen, war Achim die Hochburg der Nazis. "Bei allen Sammlungen und Gemeinschaftsaktionen für des Reiches Freiheitskampf eroberte sich Achim, gemessen an seiner Einwohnerzahl, einen führenden Platz im Gau.", hieß es zum 20jährigen Bestehen der NSDAP-Ortsgruppe Achim
[3].

Von den Anfängen bis zur Etablierung der nationalsozialistischen Macht in Achim
Auch in Achim, der Stadt in der Norm des alltäglichen Faschismus bis 1945, fiel der Nationalsozialismus nicht mit der Machtergreifung am 30. Januar 1933 vom Himmel. Antisemitismus und Rechtsextremismus hatten auch in Achim eine lange Tradition
[4].

Bereits im Jahre 1924 gründete der Gastwirt Adolph Schulze eine Ortsgruppe des Deutschen Herold
[5]. Im gleichen Jahr, im Mai 1924, wurde von Wilhelm Rieke eine Ortsgruppe der Deutschen Völkischen Freiheitsbewegung gegründet, aus der sich dann die Achimer Ortsgruppe der NSDAP entwickelte. Das Achimer Kreisblatt vermeldete in seiner Ausgabe vom 20./21. Mai 1944 [6] unter der Überschrift ,,20 Jahre Ortsgruppe Achim der NSDAP"
"Am morgigen Sonntag begeht die Ortsgruppe Achim der NSDAP ihre 20-Jahrfeier. Sie ist eine der ältesten Ortsgruppen des Gaues. 1924. Wie viele von uns haben vieles vergessen, wie manche überhaupt alles! Man muß sich erinnern, daß die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei damals in Preußen, später im ganzen Reich verboten war! An der Ruhr und in Mitteldeutschland raste der bolschewistische Massenstreik. 1m Rheinland tobte sich die Besatzungsmacht gegen deutsche Frauen und Kinder aus. Im Hannoverland, ebenso wie im
Rheinland und in Bayern erhob der Separatismus sein Haupt und schickte sich an, der Einheit des Reiches den Gnadenstoß zu geben. Im Reichstag haderten und keiften 32 Parteien gegeneinander an. Von den 471 Mandaten entfielen auf die Völkische Freiheitsbewegung ganze 5 Mandate! "Und dabei phantasierten die Nazis vom Endsieg!" höhnten die Gegner! In dieser Zeit, da alle wahrhaft nationalen Herzen in Scham und Trauer an das deutsche Schicksal denken konnten, zogen die ersten Sendboten Adolf Hitlers, an der Spitze der heutige Gauleiter Otto Telschow, durch unseren Gau und verbreiteten in verqualmten
ländlichen Klubzimmern, in dunklen Sälen vor winzig kleinen Besucherziffern die Lehre des Führers.
Anscheinend ein hoffnungsloses Unterfangen; aber der Wille triumphierte schließlich. In diese Zeit fällt auch das erste öffentliche Auftreten der völkischen Bewegung in Achim, Mahndorf und Ottersberg. Die erste Versammlung am 28. Mai im Hotel Stadt Bremen stand unter dem Thema: "Nationaler Sozialismus oder internationaler Marxismus?" Sie war unter maßgeblicher Beteiligung des jetzigen Ortsgruppenleiters Adolph Schulze zustande gekommen und wurde ein voller Erfolg. Sie ist somit als Gründungsversammlung der Ortsgruppe Achim
der NSDAP zu betrachten. Ihr erster Ortsgruppenleiter war der Ehrenzeichenträger Wilhelm Rieke, Achim, dessen unerschütterlicher Einsatz für den Führer, und dessen jugendlicher Elan bald zum Mittelpunkt der Aufklärungsarbeit in unserem Ort wurde.
Zu ihm gesellte sich die kleine Schar der Altgardisten, die das Ideengut der neuen Lehre zu einer Kampf- und Glaubensgemeinschaft zusammgeschweißt hatte, die allen Belastungen, Rückschlägen und Widerwärtigkeiten nicht nur standhielt, sondern getreu dem Willen des Führers diese nur zum Anlaß nahm, nun erst recht den Tugenden der Treue und Hingabe unbeirrt nachzuleben und dafür zu sorgen, daß die Gedankenwelt Adolf Hitlers in immer weiteren Herzen Wurzeln schlug, durch und durch überzeugt, daß, wenn überhaupt, nur durch ihn die Rettung des deutschen Volkes vor dem drohenden Untergang möglich sein
würde. "
Die NSDAP selbst sah also die Veranstaltung am 28. Mai 1924 als ihre Gründungsversammlung an.
In der Broschüre "Jahresbericht der NSDAP, Ortsgruppe Achim 1934"
[7] ist sogar der Tag des Erwerbs der Hakenkreuzfahne der Achimer NSDAP-Ortsgruppe vermerkt: "Am 28. September konnten wenige Parteigenossen unserer Ortsgruppe auf eine zehnjährige, ununterbrochene Tätigkeit für die Nationalsozialistische Bewegung zurückblicken. An diesem Tage jährte sich der Tag zum 10. Male, an dem die noch jetzt von der Ortsgruppe geführte Hakenkreuzfahne käuflich erworben wurde und zum ersten Male vor einer kleinen Schar Verwegener auf offenem Lastwagen voranflatterte. Aus diesem Anlaß beging die Ortsgruppe am 13. Oktober eine Mitgliederversammlung mit dem Pg. Hugo Kühn, die unter dem Motto "Zehn Jahre Hakenkreuz über Achim" stand."
Auf einer Anstecknadel mit der Aufschrift "10 Jahre N.S.D.A.P. Achim" [8] dagegen steht als Zeitangabe der 26. Mai 1935. Am 26. Mai vollzogen die Nazis am Schlageter-Gedenkstein Feierstunden [9] zu "Ehren" von Leo Schlageter (1894 - 1923), der als deutscher Offizier während der Besetzung der Ruhr durch französische Truppen Anschläge auf Verkehrswege verübte und deshalb standrechtlich erschossen wurde.
Die Anfänge der nationalsozialistischen Bewegung in Achim gehen also wie auf Reichsebene bis in die erste Hälfte der 20er Jahre zurück. Auch der stetige Zuwachs der Stimmenanteile der NSDAP verlief in Achim parallel zur Reichsentwicklung. Bei der Neuwahl der Gemeindevertretung am 12. März 1933 wird die NSDAP im Kreis Verden als Liste 1 stärkste Fraktion
[10]: "NSDAP 43,4 % (in Achim selbst sind es fast 50 %), SPD 31,3 %, KPD 5,2 %
und die Kampffront Schwarz-weiB-rot der Deutsch-Nationalen 16,6 % der Stimmen". Bei den Gemeinderatswahlen sieht es ähnlich aus. Die NSDAP wird stärkste Partei, die KPD erhält keinen Sitz.
Wesentlich beigetragen zur Etablierung der nationalsozialistischen Macht hat die katastrophale Fehleinschätzung der braunen Gefahr durch die Organisationen der Arbeiterbewegung, sei es in der KPD, der SPD oder den Arbeiter-Schutzformationen, wie dem sozialdemokratisch orientierten Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und der Eisernen Front. Ein übriges tat die Spaltung der Arbeiterschaft in Kommunisten und Sozialdemokraten. Am 25. Januar 1931 weilte der Bundesführer der sozialdemokratischen Schutzformation "Reichsbanner" persönlich, Otto Hörsing, in Achim. Im Schützenhof hielt er eine viel beachtete Rede
[11]: "Die Modekrankheit des Hitlerismus, die augenblicklich das ganze Volk erfaßt hat, berge nicht zu verkennende Gefahren, und es wäre Wahnsinn, wenn man verkennen wollte, daß die innenpolitische Situation recht gefahrdrohend ist... 1m Bewußtsein meiner Verantwortung sage ich Ihnen: Wir, die republikanische Front, wir, das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, wünschen den Bürgerkrieg nicht, wir lehnen ihn ab als Kulturschande. Wir wünschen den Kampf der Geister, die freie Entwicklung. Wir sind zwar gerüstet, aber wir stehen defensiv. Wenn aber die Feinde der Republik sich erdreisten, uns und die Republik anzugreifen, dann werden wir sie zurückdrängen. Wir werden sie, wenn es sein muß, niederschlagen, und wenn das Interesse der deutschen Republik, der deutschen Nation es erfordert, werden wir sie erbarmungslos vernichten bis auf den letzten Mann."
Während hier der Kampfgeist noch ungebrochen schien, zeigt eine weitere Stelle der im Achimer Kreisblatt wiedergegebenen Rede deutlich den historischen Fehler der Gleichsetzung von Kommunisten und Faschisten als Feinde der sozialistischen Arbeiterbewegung. Otto Hörsing erwähnte "tiefe, brutale Wunden, die dem Volke von einer Minderheit, bestehend aus
Deutschnationalen, Nationalsozialisten und deren politischen Helfershelfern, den Kommunisten, versetzt wurden."
Obwohl sich die Lage in den folgenden Monaten weiter zugunsten der Nazis verändert hatte, war der Siegeswille der Arbeiterbewegung noch im Jahre 1932 vorhanden. Davon zeugt eine Veranstaltung [12] der Eisernen Front, einem Zusammenschluß der Kampforganisationen der SPD, des Reichsbanners, des Arbeitersportbundes und des Allgemeinen Deutschen
Gewerkschaftsbundes, die am 9. Februar 1932 im Schützenhofsaal stattfand. Als Referent sprach Alfred Faust, Bremen, zum Thema "Das 3. Reich - eine Seifenblase". In dem dazugehörigen Presseartikel heißt es optimistisch: ,,Die Eiserne Front bringt neue Aktivitäten in die Massen; der Wall gegen die braune Pest schließt sich enger. Diese erste imposante, völlig ruhig verlaufene Kundgebung hat bewiesen, daß dem Nazispuk auch in Achim das Ende
winkt."
Doch die Nazis waren wohl nicht mehr aufzuhalten. Das Reichsbanner
konnte praktisch ungestraft von den Nazis provoziert werden. Von einem
Zwischenfall berichtet der Oberlandjägermeister dem Achimer Landrat [13]:
"Am 17. 7. 1932 fand in Achim ein Aufzug unter freiem Himmel und anschließend eine Versammlung im Schützenhof der SPD statt. Die Teilnehmer, ungefähr 600 Personen, waren von Bassen kommend gegen 16 Uhr in Achim eingetroffen. Gegen 16.30 Uhr gingen fünf
Aufmarsch der Achimer Nationalsozialisten
Aufmarsch der Achimer Nationalsozialisten in der Obernstraße vor dem Speicher Scherf in den 30er Jahren.
Nationalsozialisten in Uniform von der Gastwirtschaft Brockmann nach dem Hitlerheim. Sofort liefen die auf der Obernstraße umherstehenden Reichsbannerleute diesen nach. Vor dem Hitlerheim sammelten sich mindestens 100 Reichsbannerleute. Nur durch das Erscheinen der Landjäger und eines Unterführers der SPD und durch deren Einschreiten wurden Gewalttätigkeiten verhindert. Die im Hitlerheim versammelten Nazileute wollten mit einem Lastwagen fortfahren, was sie dann gegen 16.45 auch getan haben.
Um 17 Uhr erfolgte der angemeldete Aufzug. Derselbe erfolgte ohne Störung bis kurz vor Beendigung desselben. Der Achimer Kaufmann Rieke stand in Uniform der NSDAP in seiner Haustüre und photografierte fortwährend. Hierbei lachte er und erwiderte auch an ihn gerichtete Zurufe. Dieses Verhalten sahen die Reichsbannerleute als Provokation an. Viele Teilnehmer lösten sich vom Aufzuge und stürzten nach der Haustüre, um den Kaufmann zu verprügeln. - Es gelang uns sechs Landjägern mit Mühe unter Anwendung der körperlichen Gewalt, die anstürmenden Leute zurückzudrängen. Die Störer der Ordnung waren die
Reichsbannerleute. Die Ursache dazu war das Verhalten des Kaufmanns. Deshalb habe ich ihm die mündliche polizeiliche Verfügung gegeben, er solle sich, solange das Reichsbanner in Achim anwesend ist, nicht mehr vor der Haustür und am Fenster sehen lassen, dies wurde auch befolgt. Andernfalls wäre es sicher zu größeren Ausschreitungen gekommen. Der Abmarsch erfolgte gegen 20 Uhr ohne Störung. Der Gummiknüppel ist nicht gebraucht worden."

Noch ungehinderter konnten die Nazis nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 agieren. Wohl von einer der letzten offenen Konfrontationen zwischen Reichsbanner und Achimer Nazis zeugt ein Polizeibericht des Oberlandjägermeisters über eine Filmvorführung des Reichsbanners in Achim. Der am 9. 2. 1933 verfaßte Bericht [14] an den Landrat in Verden handelt von einem Vorfall vom 8. Februar 1933:
"Am 8. dieses Monats wurde in Achim im Lichtspielhaus Odeon der Tonfilm "Im Westen nichts Neues" gezeigt. Veranstaltet wurde die Vorführung von dem Reichsbanner, Ortsgruppe Achim. Am letzten Donnerstag - 2. - wurde im gleichen Lichtspielhaus von der NSDAP der Film "Hitler im Fluge durch Deutschland" gegeben. Letztere Vorführung wurde von keiner Seite gestört. Sobald in Achim die beabsichtigte Aufführung des erstgenannten Films bekannt wurde,
entstand ein Sturm der Entrüstung. Kriegerverein, Stahlhelm, Luisenbund und
Nationalsozialisten erhoben Protest und wünschten, daß der Film nicht vorgeführt werden sollte. Der Anzeiger fiir den Kreis Achim vom 6. Februar 1933 brachte unter "Eingesandt" einen Artikel, in welchem zur Verhinderung der Vorführung aufgefordert wurde. In Achim schwirrten allerlei Gerüchte. Z. B. sollte der Vorführer abgefangen werden, 300 SA(-Leute) sollten aufmarschieren und die Vorführung verhindern, auf Prügel käme es nicht an usw. Der Film "Im Westen nichts Neues" ist zur öffentlichen Vorführung zugelassen; Zensurkarte lag vor. Er konnte demnach nicht verboten werden, und die Vorführung mußte polizeilich geschützt werden. Auf Anraten des Stellvertreters des Landrats und auf meinen Rat hat dann der Vorstand des Kriegervereins, des Stahlhelms und des Luisenbundes von weiteren Maßnahmen abgesehen und ihren Mitgliedern durch die Zeitung abgeraten, die Vorführung zu besuchen. Die NSDAP hatte solche Erklärung nicht abgegeben. Am 8. gegen 15 Uhr traf ich den Kreisleiter der NSDAP in Achim. Dieser erklärte mir, daß er eingesehen habe, daß die
Vorführung gesetzmäßig sei und Anweisung erfolgt sei, keine Störung vorzunehmen. Es fand nachmittags von 16 - 18 Uhr und abends von 20 - 21.30 Uhr eine Vorführung statt, von denen jede etwa 250 Besucher hatte.

Das Reichsbanner Achim hatte seine Schutzformation von Hemelingen verstärkt (Schutzformation 100 Mann). Die Nachmittagsvorführung verlief störungslos. Auf der Straße in der Nähe des Kinos hielten sich etwa 100 Neugierige auf. Zur Abendvorführung waren hier etwa 300 Personen anwesend, bestehend aus Reichsbannerleuten, Nationalsozialisten und Neugierigen. Die Nationalsozialisten hatten sich in ihrem in der Nähe befindlichen Heim gesammelt - etwa 80 Mann - und tummelten sich von hier aus immer in der Nähe der Reichsbannerleute. Nach einiger Zeit standen sich letztere und die NSDAP-Mitglieder in
der Obernstraße gegenüber. Zurufe wurden laut. Darauf wurden die Parteien von uns auseinandergedrängt. Die Nationalsozialisten mußten sich vor ihrem Heim und die Reichsbannerleute vor dem Kino aufhalten. Weiter wurde die Obernstraße vom Publikum freigemacht, weil der Verkehr gestört wurde. Als die Abendvorführung 3/4 zu Ende geführt war, ging das elektrische Licht aus. Unbekannte hatten im Orte an zwei Stellen Drahtenden auf die Leitung geworfen, wodurch Kurzschluß entstanden war. Die Täter sind noch nicht ermittelt. Die Vorführung mußte abgebrochen werden. Hierdurch waren die Besucher und die Reichsbannerleute sehr erbost. Wenn die Landjägereibeamten nicht zur Stelle gewesen wären, wären die Hitlerleute bestimmt überfallen worden.
Gegen 23 Uhr hatte sich alles verlaufen.
Zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung hatte ich Landjägereibeamte der Abteilung zusammengezogen.
Zwangsmittel sind nicht angewandt worden.
Von den Reichsbannerleuten wurde geäußert, daß sie sich bei bietender Gelegenheit revanchieren werden."

Der 1. Mai 1933 stand bereits ganz im Zeichen der Nationalsozialisten. Im Jahre 1933 wurde dieser Maifeiertag, der Kampftag des internationalen Proletariats, von der nationalsozialistischen Regierung per Gesetz zum Feiertag der nationalen Arbeit erklärt. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) begrüßte gewissermaßen als letzte Amtshandlung diese Maßnahme. Er rief die Arbeiterschaft zur Teilnahme an den Umzügen und
Kundgebungen am 1. Mai 1933 auf. Etliche Arbeiter aber dürften sich an dieser unter
NS-Vorzeichen stehenden Aktion schon nicht mehr beteiligt haben.
Das Achimer Kreisblatt [15] stilisierte die Kundgebung in Achim zu einem begeisternden Fest hoch, "auch hier ganz im Zeichen des Programms der Reichsregierung... Die Straßen Achims zeigten prächtigen Blumen- und Girlandenschmuck, Fahnen in den neuen Hakenkreuz- und den alten schwarz-weiß-roten Farben schmückten die Häuser; kaum ein Haus gab es wohl, dessen
Bewohner nicht durch den Schmuck ihre Verbundenheit mit den Zielen der neuen Regierung und dem Sinn des Tages Ausdruck gaben. Auch die Geschäftswelt hatte durch prächtige, auf die Bedeutung des Tages hinzielende Dekorationen, die das Interesse der Passanten erregten, für das äußere Gesamtbild das Ihrige getan... Um 3 Uhr versammelten sich die teilnehmenden Vereine, Handwerker, Fahnenabordnungen dortselbst zum Festumzug. Vor dem Abmarsch des Festzuges boten Turnerinnen des TV Achim ein prächtiges Fahnenschwingen,
das die beiden Reichsfahnen symbolisierte. An der Spitze des Zuges ritten die beiden Berliner Reiter aus dem ehemaligen Kreise Achim, die von Verden kommend, in Uesen von der Hitlerjugend empfangen und nach hier geleitet wurden. Dann folgten in bunter Reihe Vereine und Korporationen, Beamte der staatlichen Behörden und Betriebe, die Belegschaften der größeren Geschäfte, Gruppen aus allen Handwerksbetrieben, z. T in ihrer Arbeitstracht, die besonderes Interesse erregten usw. Es war ein imposanter Zug, in den mehrere Kapellen ein-
gereiht waren. Derselbe bewegte sich durch die im Fahnen- und Blumenschmuck prangenden und von einer großen Zuschauermenge umsäumten Hauptstraßen des Ortes nach dem Rathausgarten, wo die Zugteilnehmer vor dem Ehrenmal zur Gefallenenehrung, Gottesdienst und Pflanzung einer Hitler-Eiche Aufstellung nahmen.
Hier legte der Ortsgruppenleiter der SA, Heler, der auch die ganzen Veranstaltungen des Tages leitete, mit dem Gelübde, daß wir das Werk, wofür die Gefallenen des Weltkrieges ihr Leben opferten, mit aller Kraft schützen wollen, einen Kranz am Denkmal nieder... Sodann hielt Herr Rieke eine Ansprache, der er den Gedanken des nationalen Feiertages zugrunde legte. Die vielen Hunderte von Teilnehmern beweisen die Bedeutung, welche man demselben beilege."

Der Spielmannszug der Freien Turnerschaft trat, schon nicht mehr vollzählig, am 1. Mai 1933 zum letzten Mal auf, bereits unter Begleitung der SA. Am 2. Mai wurde der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund zerschlagen, die Büros und Einrichtungen besetzt und leitende Gewerkschaftsangestellte verhaftet. Am 28. Mai 1933 wurde den Vereinen des
Arbeiter-Turn-und-Sportbundes verboten, Veranstaltungen und Vereinsabende durchzuführen. Die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung war endgültig zusammengebrochen.
Das Achimer Kreisblatt [16] berichtet in der Ausgabe vom 28.2.1933 von Haussuchungen gegen Achimer KPD-Funktionäre. Im Zuge der Gleichschaltung wurden im März die
SPD-Beigeordneten im Achimer Gemeinderat beurlaubt. Durch Entlassungen und Schutzhaft wurden auch in Achim Oppositionelle schikaniert.


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