Achim in der Zeit des Faschismus (Seite 2)

Am 1.6.1933 teilt das Kreisblatt mit, daß die Arbeiter-Turn- und-Sportvereine aufgehoben wurden: "Ihre bisherigen Mitglieder dürfen infolgedessen weder auf den eigenen noch auf fremden Plätzen sich sportlich betätigen und Wettspiele austragen." Am 22.6.1933 erfolgte das Verbot der SPD. Schon am 12. Mai 1933 beschlagnahmte der Landjäger in Achim beim damaligen Kassierer der SPD-Ortsgruppe Achim Bargeld in Höhe von 23,65 RM. Die Macht der Nazis war in diesem Zeitpunkt bereits gefestigt. Zu den Methoden schreibt Wolfgang Griep in "Achim im III. Reich" [17]:
"Die NS-Politik richtet sich vor allem gegen die Arbeiterorganisationen. Tausende von Partei-und Gewerkschaftsfunktionären werden sofort nach den Verboten verhaftet, mißhandelt, in die KZ verbracht oder auch ermordet.
Bis 1935 hatten allein die ordentlichen Gerichte 20.883 Personen wegen illegaler politischer oder gewerkschaftlicher Tätigkeit zu meist langjährigen Freiheitsstrafen oder zum Tode verurteilt. In dieser Zahl sind nicht die Zehntausende enthalten, die ohne Gerichtsverfahren in Schutzhaft genommen oder in die KZ gebracht wurden.
Nach einem Gestapo-Bericht vom April 1939 befanden sich zu dieser Zeit 162.432 politische Gefangene in deutschen KZ, weitere 112.734 politische Häftlinge verbüßten in Zuchthäusern und Gefängnissen Freiheitsstrafen.
Und wieviel waren seit 1933 umgebracht worden?"
Vom Aufbau der NS-Organisationen in Achim kündet die Propaganda der NSDAP-Ortsgruppe im Achimer Kreisblatt vom 20./21. Mai 1944:
"Von Jahr zu Jahr strömten auf den Ruf der Bewegung neue Volksgenossen in die Partei hinein, von Jahr zu Jahr erneuerte sich aus der Hitlerjugend die Garde der überzeugten Nationalsozialisten, die über alle Klassen - und soziale Gegensätze hinweg im Geiste des Führers die verbindende Brücke zueinanderfanden, so daß am Tage der Machtübernahme Kampf und Ringen um die Heimat in einem jubelnden, befreienden Siegesmarsch der Alten Garde und der vielen neuen Parteigenossen ihre Krönung fanden.
Im Jahre 1934 übernahm der jetzige Ortsgruppenleiter Adolph Schulze das Erbe des Parteigenossen Rieke. Im Zuge des überall einsetzenden stürmischen Aufbauwerkes verankerte die Ortsgruppe ihre Arbeit auf immer breiterer Basis. SA-Sturm, Reitersturm, Motorsturm, Amt für Beamte, Deutsche Arbeitsfront, NS-Hago, Kriegsopferversorgung,
NS-Volkswohlfahrt, NS-Kulturgemeinde, NS-Frauenschaft, Hitlerjugend und BDM wuchsen in den Jahren zu der Gemeinschaft zusammen, die die Ortsgruppe Achim zu einem immer aktiven, zuverlässigen Instrument der politischen Führung werden ließ. So gab es im Verlaufe der
friedlichen Jahre des Aufbaues, nochmehr aber in den sturmvollen Tagen und Nächten unserer Zeit zahllose Beispiele dafür. Bei allen Sammlungen und Gemeinschaftsaktionen für des Reiches Freiheitskampf eroberte sich Achim, gemessen an seiner Einwohnerzahl, einen führenden Platz im Gau, beseelt von der Erkenntnis, daß wer im Geiste des Führers unbeirrbar der Volksgemeinschaft opfert oder dient, die Kraft des Reiches stärkt und mithilft an seinem Platz, alle Feindspekulationen am Wall und glaubensstarken Herzen zum Einsturz zu bringen."

Wenn hierbei auch vieles Propaganda ist, waren doch viele Achimer Bürgerinnen und Bürger in NS-Organisationen organisiert. Umso erstaunlicher, daß 1945 keiner dabei war und niemand etwas gewußt hat.

Achim im III. Reich
Nach der Gleichschaltung der Verbände ging es darum, auch die Gehirne und Herzen der Menschen gleichzuschalten. Ein Netz faschistischer Unterorganisationen vom Reitersturm über die Deutsche Arbeitsfront bis zur NS-Frauenschaft sorgte dafür, daß jeder in allen Lebensbereichen ständig unter Kontrolle war. Besonderes Augenmerk richtete man dabei auf die Jugendlichen - Hitlerjugend und der "Bund Deutscher Mädel" (BDM) wurden zur
Staatsjugend, kirchliche und andere Jugendverbände aufgelöst oder in die HJ eingegliedert. Am 1. Januar 1936 wird das "Jahr des deutschen Jungvolks" proklamiert - zum ersten Mal sollte ein Jahrgang geschlossen in die HJ eintreten. Um dies möglich zu machen, arbeiteten HJ und Schule eng zusammen, Lehrer reichten Klassenlisten an die örtlichen HJ-Führer weiter, Schulleiter warben auf Elternabenden, Werbebüros wurden eingerichtet, Transparente und Sprechchöre auf den Straßen mahnten zum "freiwilligen" Eintritt. Drei Jahre später, im März 1939, verkündete die Reichregierung die "Jugenddienstpflicht" - Eltern, die ihre zehnjährigen Kinder jetzt nicht zur HJ anmeldeten, mußten "mit Geldstrafen bis zu 150 Reichsmark oder mit Haft" rechnen. Was den Christen Kommunion oder Konfirmation, war den Nazis die "Verpflichtung auf den Führer", mit der jedes Frühjahr ein Jahrgang von Vierzehnjährigen nach der Entlassung aus der Schule feierlich in BDM und HJ aufgenommen wurde.
Eine einige Volksgemeinschaft erhält man am besten durch einen gemeinsamen Feind. Am besten eigneten sich hierfür - neben Kommunisten, Zigeunern und Behinderten - die Juden. Die jüdische Gemeinde hatte in Achim eine lange Tradition. Bereits 1864 war sie so groß, daß eine eigene Synagoge und ein Friedhof angelegt wurden, 1913 wurde die jüdische Schule als öffentliche Schule zugelassen - zu dieser Zeit waren knapp 2 Prozent der Einwohner Achims, das heißt etwa 70 von 3682, jüdischen Glaubens - weit mehr als im Reichsdurchschnitt. Anspacher, Alexander, Baumgarten, Friedemann, Kaufmann, Heilbronn, Pels, Rothschild und Simon, Seligmann und Süßkind, so hießen die jüdischen Achimer mit Familiennamen, und
nicht selten fand man sie an vorderster Stelle, wenn es darum ging, sich im öffentlichen Leben zu engagieren. So gründete und leitete Adolph Rothschild, Lehrer in der Schule, den Achimer "Volksbildungsverein", deren Theateraufführungen, Konzerte und bunte Abende von den Achimern gern besucht wurden. Andere, etwa der Schlachter Seligmann, taten sich
durchaus mit nationalem Stolz und militärischem Pomp hervor - Seligmann hatte aus dem 1. Weltkrieg eine Brust voller Orden mitgebracht und marschierte stolz im Schützenverein mit.
Juden waren also in Achim durchaus angesehene Bürger, dennoch blieben sie immer fremd - sie feierten andere Festtage, hatten merkwürdige Bräuche, eine fremde Religion und meist noch die traditionellen Handels- und Gelehrtenberufe - der Antisemitismus hatte in Achim wie in ganz Deutschland Tradition. Nach dem ersten Weltkrieg hatte sich eine Reihe von stramm rechten Organisationen gebildet: So gründete, wie erwähnt, Gastwirt Adolph Schulze im Januar 1924 eine Ortsgruppe des Deutschen Herold, Wilhelm Rieke vier Monate später eine Ortsgruppe der Deutschen Völkischen Freiheitsbewegung, aus der sich später die Achimer NSDAP konstituierte. Der antisemitisch-nationalistische Boden war also bereitet, um schon
zwei Monate nach der Machtübernahme Hitlers in Achim mit Erfolg die erste Boykottwelle gegen jüdische Geschäfte gemäß den Anweisungen der NSDAP-Führung zu organisieren. Am Sonnabend, dem 1. April 1933, standen ab 10 Uhr morgens SA-Leute mit Plakaten als "Wachen" vor den Geschäften - ihrem Apell "Kauft nicht beim Juden!" hatte sich auch der
"Landbund Achim-Thedinghausen" angeschlossen, der im Achimer Kreisblatt einen Aufruf "an das Landvolk" richtete: "Ein Aufleben der deutschen Wirtschaft ist nur möglich, wenn, nachdem die Trabanten des jüdischen Händlertums und des internationalen Kapitals vernichtend geschlagen sind, auch der jüdische Händlergeist restlos geschlagen wird." Nach Zeitungsberichten hatten die jüdischen Geschäfte an diesem Tag ihre Türen von sich aus erst gar nicht geöffnet. Geleitet wurde der Boykott jüdischer Läden, Arzt- und Rechtsanwaltspraxen praktischerweise von den geschäftlichen Konkurrenten der jüdischen Selbständigen, den Gauführern des "Kampfbundes für den gewerblichen Mittelstand" (ab 1934 "NS-Hago"). Jetzt konnten Achimer Nazis und Antisemiten ungehindert gegen Juden hetzen, pöbeln - ein ebenso beliebtes wie wirksames Mittel war die Denunziation. Ein Zeitzeuge: "Einer traute dem anderen nicht. Wer kein Nazi war, wer nicht dafür war, der wußte ja nicht, mit wem er sprach; ob nicht auch sein Nachbar Nazi war. Und wenn er irgendetwas Verkehrtes gesagt hatte, dann mußte er damit rechnen, dann kamen sie nachts an und holten ihn stillschweigend ab." Als erste waren die Kommunisten in Haft genommen worden, doch mit Denunziationen konnte jeder angeschwärzt werden. Einer, den es auf diese Weise erwischte, war der jüdische Schlachter Albert Seligmann. Am 1. August 1933 [18] meldete das Kreisblatt, hier noch im sachlichen Mitteilungsstil: "In Schutzhaft genommen wurde heute gegen Mittag der hiesige Schlachtermeister Albert S., der sich der Verächtlichmachung der Reichsregierung und des Reichskanzlers schuldig gemacht haben soll. Die Inhaftierung geschah auf Veranlassung mehrerer Angehöriger des hier neu errichteten
Arbeitslagers, die von den Äußerungen des S. Kenntnis erhalten und sich vor dem Hause des S. angesammelt hatten. Wie verlautet, ist S. bereits nach Verden abtransportiert worden."
Ein Jahr später wurde der jüdische Achimer Viehhändler vom Schöffengericht Verden zu einem Monat Gefängnis verurteilt - sein Vergehen: Er habe die arische Abstammung des Achimer SA Obersturmführers Kuckuck angezweifelt. Strafmildernd berücksichtigte das Gericht, daß "der Angeklagte als alter Frontkämpfer dem Vaterland gegenüber seine Pflicht getan" hatte. Das Kreisblatt zu dem Fall [19]: "Infolge hier umlaufender Gerüchte, die anscheinend ganz systematisch (...) über den Obersturmführer Kuckuck in der letzten Zeit verbreitet worden sind, sammelte sich gestern abend gegen 20 1/2 Uhr auf dem Schmiedeberg eine größere Anzahl von Volksgenossen, die mit Protestrufen gegen den verdächtigen Verbreiter der
Gerüchte, einen jüdischen Viehhändler, Stellung nahmen und ihrer Empörung über solche Brunnenvergiftung, von der man annimmt, daß sie aus persönlichen und geschäftlichen Gründen erfolgt, in unmißverständlicher Weise Luft machten. Die Gruppe begab sich vor das Haus des verdächtigen Verleumders und forderte dessen Inschutznahme."

Die Hetze gegen jüdische Geschäftsleute und all die, die noch bei ihnen kauften, zeigte Wirkung: Bei Seligmann und dem Bekleidungsgeschäft Heilbronn kaufte kaum noch jemand, der Viehhändler Anspacher konnte mangels Konkurrenz sein Geschäft noch weiterführen. 1935 kamen die "Nürnberger Gesetze", die den Juden die letzten staatsbürgerlichen Rechte
- inklusive einer Heirat mit "arischen" Partnern - entzogen. Gerade noch rechtzeitig verkaufte Heilbronn im Juni 1937 nach dem Tod seiner Frau sein Geschäft an Erich Froboese und wanderte nach England aus. Albert Seligmanns Laden wurde im März 1937 nach Denunziation wegen angeblicher Steuerhinterziehung polizeilich geschlossen. Trotz aller Angriffe der Nazis glaubte Seligmann immer noch an den Rechtsstaat - seine Klage gegen die
Geschäftsschließung ist ein seltenes Dokument dafür, daß viele Juden Ausmaß und Konsequenz des Nazi-Terrors noch 1937 nicht begreifen wollten. Albert Seligmann beschwerte sich beim Landrat, schrieb ans Reichsinnenministerium und ließ schließlich seinen Sohn die Gründung eines neuen Betriebs beantragen, der von der Handwerkskammer unter Rückgriff auf eine
weitere Denunziation "wegen der notorischen Unzuverlässigkeit des Wilhelm Seligmann" abgelehnt wurde. Wegen eines Formfehlers konnte Seligmann Klage einreichen, doch kurz vor dem Verhandlungstermin zog Seligmann seine Klage zurück - sein Sohn hatte sich Ende 1937 mit Frau und Kind nach Amerika aufgemacht. Albert Seligmann blieb und hoffte auf bessere Zeiten.
Die Nazis jedoch arbeiteten systematisch an der "Endlösung". 1938 mußten Juden die Zusätze "Sarah" und "Israel" im Namen führen, sämtliche Zulassungen jüdischer Ärzte, Rechtsanwälte, Apotheker, Hebammen und Krankenpfleger erloschen, Juden bekamen keine öffentliche Fürsorge mehr, durften ihr Abitur nicht mehr gemeinsam mit den "arischen" Mitschülern ablegen - den vorläufigen Höhepunkt erreichte der antisemitische Terror jedoch mit der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 ("Kristallnacht"). Nachdem man mit dem Attentat auf den Pariser Gesandtschaftssekretär Ernst von Rath einen geeigneten Anlaß gefunden hatte, erging noch in der Nacht des 9. Novembers der Befehl an die SA: "Sämtliche jüdische Geschäfte sind sofort von SA-Männern in Uniform zu zerstören. ... Jüdische Synagogen sind sofort in Brand zu stecken. ... Die Feuerwehr darf nicht eingreifen." Die Gestapo-Stellen wurden angewiesen, "in allen Bezirken so viele Juden ... festzunehmen, als in den vorhandenen Hafträumen untergebracht werden können" und unverzüglich mit den zuständigen Konzentrationslagern wegen schnellster Unterbringung der Juden in Lagern
Verbindung aufzunehmen."
Das angeblich spontane Pogrom schildert das Kreisblatt vom 10. November 1938: "In Achim zogen zahlreiche Volksgenossen im Morgengrauen vor die Wohnungen der hiesigen Juden. Vorher hatte sich vor der hiesigen Synagoge eine empörte Menge angesammelt, um ihren Abscheu über die neue abgrundtiefe Niedertracht der Methoden, mit denen immer wieder Deutsche von Juden gemeuchelt werden, auszudrücken. In wenigen Augenblicken war dies verfluchte Symbol Jehovas, das Prinzip des ewig Bösen, zerstört. Es wäre wahrscheinlich in
Flammen aufgegangen, wenn nicht für die unmittelbar angrenzenden Häuser Gefahr bestanden hätte. Von dem flammenden Zorn unserer Achimer Volksgenossen erhält man ein Bild, wenn man die Überreste dieses schmierigen Judentempels sieht: es blieb buchstäblich kein Stück aufeinander und daß unser Ort niemals wieder durch ein ähnliches 'Kleinod' verbrecherischer Giftmischerei verschandelt wird, das sind wir den Gemordeten der Bewegung schuldig. ... Die Menge bewegte sich dann zu den Wohnstätten der übrigen, noch im Orte ansässigen Juden. Die Wohnungssuche förderte die unglaublichsten Dinge zu Tage, die eine beredte Sprache sprechen. Die Abbejörderung des Materials allein beim Juden Anspacher nahm mehrere Stunden in Anspruch. Ganze Wäschekörbe voll von Schriftstücken werden beschlagnahmt. ..."

Viele Achimer machten mit bei den Plünderungen oder profitierten davon später bei Versteigerungen jüdischen Besitzes.
Was der Artikel verschweigt: Für die noch in Achim lebenden Juden bedeutete die Reichspogromnacht das Ende: Im Morgengrauen des 10. Novembers holte die Achimer SA alle jüdischen Mitbürger aus ihren Häusern, und verfrachtete sie in einen Zug Richtung Konzentrationslager. Die Ehefrau des Schlachters Seligmann soll Gerüchten zufolge schon tot gewesen sein, als der Zug in Mahndorf hielt - die Familie Anspacher landete in Minsk.
"Dort sind am 28. und 29. Juli 1942 insgesamt 10.000 Juden liquidiert worden, 6.500 aus Rußland, der Rest aus deutschen Städten wie Berlin und Bremen. Nur sechs der Verschleppten überlebten das Massaker von Minsk [20]" Einer der Überlebenden: Curt Anspacher, der Sohn des Achimer Viehhändlers.
"Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!", hatten Achimer Sozialdemokraten noch am Vorabend der letzten Reichstagswahl geklebt - sie sollten Recht behalten. Am 1. September begann der Überfall auf Polen, der Anfang des 2. Weltkrieges. Anfang 1943 dann das Desaster in Stalingrad, Reichspropagandaminister Goebbels proklamierte den "totalen Krieg", die Rohstoffe wurden knapp, die Bevölkerung zum Sparen und Sammeln von Rohstoffen verdonnert. Ein Erlaß des Regierungspräsidenten Stade vom 1. Oktober 1942 verfügte angesichts der "volkswirtschaftlichen Bedeutung der Bucheckern, Hagebutten und Kastanien", "die Schüler und Schülerinnen haben sich vor allem bei der Bucheckernsammlung einzusetzen. Hagebutten und Kastanien sammelt die Hitlerjugend..." Im Krieg wurde auch die Jugend gebraucht, zunächst nur, um "das Wettrüsten der Hitler-Jugend für den
Weihnachtsmarkt" durch die Anfertigung von Spielsachen im Rahmen des Werkunterrichts zu unterstützen [21], später dann als letztes Kanonenfutter des untergehenden Reichs.
Während im März 1945 die deutsche Westfront zusammenbricht, werden im "Deutschen Volkssturm" Alt und Jung zum letzten Aufgebot gestellt. Per Zeitungsnotiz [22] werden im März 1945 die Kompanien des "Volkssturms" aufgerufen, im Sparkassengebäude ihren Wehrpaß vorzulegen.
Obwohl der NS-Staat für alle sichtbar kurz vor dem Zusammenbruch steht, werden selbst von den kleinsten Parteifunktionären noch schwülstige heroische Durchhalteparolen für den letzten Kampf ausgegeben. Am 26. März wird sogar noch ein Jahrgang auf den Führer verpflichtet [23] - zu der Feier im Schützenhof sammelten sich Hoheitsträger, politische Leiter, Familienangehörige und Lehrer der Vierzehnjährigen um die "fahnenflankierte Büste
des Führers". Obwohl es "kein Fest sorgenlosen Genießens und lauter Fröhlichkeit" war, führte NSDAP-Vertreter Rabe dem jungen Kanonenfutter in heroischem Tonfall die Hitlerjugend als leuchtendes Vorbild vor, "die in höchster Bewährung im Volkssturm heute das Eiserne Kreuz für ihren Kampf mit der Waffe in der Hand erhielten" und scheute sich nicht, den Jugendlichen das Motto "Frisch gewagt, ist halb gewonnen!" ans Herz zu legen.
Heute wirken diese Durchhalteparolen makaber oder lächerlich - doch die Achimer Nationalsozialisten schienen ihren eigenen Propagandaparolen vom Endsieg aufgesessen zu sein. Als am 21. April die britische Armee vor Achim steht und ultimativ die Kapitulation der Kleinstadt verlangt, bleiben Militär und Politiker hart - die Stadt wird für alliiertes Bombardement und Artilleriefeuer freigegeben. Am 22. April ist Achim befreit, am 8. Mai kapituliert Nazi-Deutschland.
Wie gesagt, Achim ist eine völlig normale Stadt.
Wenige Jahre später hat Achim die Erinnerung an seine braune Vergangenheit erfolgreich verdrängt: Nazis? Hat es hier kaum gegeben. Im Zeichen des kalten Kriegs konnte man schon bald wieder alle Schuld von sich weisen und gegen Antifaschisten und Sozialdemokraten wettern, wie eine Zeitungsnotiz, wahrscheinlich etwa aus dem Jahre 1949 [24], beweist, die über Kritik an den "Auswüchsen" des Kreisentnazifizierungsausschusses berichtet. Während in den Nachbarkreisen Rotenburg und Osterholz nur 5 bzw. 7 Personen als Aktivisten eingestuft worden seien, seien es im Kreis bereits 64. Empört über die "übertriebene Entnazifizierung" im Kreis hätte sich nicht nur der Bezirksinspektor für die Entnazifizierung, Josef Vollbach-Stade, sondern auch die Parteien-Vertreter Dietz (CDU Verden), Nodorp (DP Stade) und Willmsen (DP Verden) gezeigt - einzig und allein die SPD-Vertreter, so der Artikel in unterschwellig vorwurfsvollem Tonfall, hätten zu den Vorwürfen geschwiegen. Der stellvertretende Gauleiter Peper ist anderer Meinung [25]: "Achim ist eine alte Stätte des Kampfes der NSDAP aus den Anfängen der Bewegung. Es hat schon frühzeitig das Gedankengut unseres Führers aufgenommen und kämpferisch weitergetragen..."


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