Gedenkblatt
aus Anlass der Trennung von Rechtspflege und Verwaltung im Jahre 1852:
150 Jahre Amtsgericht Achim
(1852 - 2002)
Amtsgericht Achim um 1900
Amtsgericht Achim um 1900
Von Norden kommend überschreiten die Sachsen im dritten Jahrhundert die Elbe und breiten sich in Nordwestdeutschland aus. Das Stammesgebiet wird in Gaue unterteilt. Die eingesessenen Hofinhaber wählen aus ihrer Mitte einen Gohgrefen und einen Vorsprecher sowie zwei Worthalter (Geschworene). Dreimal jährlich treffen sich die Freien zu einem
Gerichtstag und regeln gemeinsam alle rechtlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Eine solche Gerichtsstätte soll in Achim ein von einer mächtigen Linde überschatteter Steinsitz nahe der St.-Laurentius-Kirche auf der Lindenwurth gewesen sein.

Unter Karl dem Großen ändern sich die altsächsischen Gaue. Aus der Stiftungsurkunde des Hochstifts Bremen ergibt sich, dass zehn Gaue zu zwei Provinzen zusammengefasst und diese Provinzen "Wigmodia" und "Lorgoe" heißen. Zweifellos gehörte Achim zum Wigmodia-Gau, möglicherweise war Achim einer der zehn Gaue oder sogar der Sitz des Landtags der sächsischen Landschaft Engern.

Mit der beginnenden Herrschaft des Adels ändert sich die "Gerichtsverfassung" der Gohgerichte. Von der "Jurisdiction des Gohgrefen" ausgenommen waren seit dem 10. Jahrhundert die Geistlichen, alle Kirchenbediensteten sowie der grundbesitzende Adel. Für den Adel gab es im Gohgerichtsbezirk zwei sogenannte Patrimonialgerichte, eins in Sagehorn
und ein weiteres in Cluvenhagen. Zum Gohgericht Achim gehören die Kirchspiele Achim, Daverden und Mahndorf. Neben den bereits genannten Gerichten gab es weiter Holz- und Deichgerichte.

Um die Macht der Herzöge einzudämmen, stattete Kaiser Otto der Große Bischöfe und Erzbischöfe mit Sonderrechten aus. Erzbischof Adaldag von Hamburg-Bremen erhielt 937 und 965 die Gerichtsbarkeit seiner Besitzungen. Da Geistliche keine weltlichen Amtshandlungen vornehmen durften, ernannte der Erzbischof einen Vogt oder einen Grafen, der für ihn diese Amtsgeschäfte versah.


15. - 16. Jahrhundert
Nach Streitereien des Erzbischofs zu Bremen - der um die Erweiterung seiner Landeshoheit bemüht war - und dem Domkapitel, dem eingesessenen Adel und der Stadt Bremen kommt es zu einem Kompromiss. Alverich Clüver wird Mitte des 15. Jahrhunderts Gohgrefe von Achim. Damit war das Gohgericht zunächst dem Einfluss der immer mächtiger werdenden Stadt Bremen entzogen.

Über mehrere Jahrhunderte stellen die Clüver fortan den Gohgrefen. Ab dem 16. Jahrhundert wird das Gohgericht im Volksmund "Clüvergericht" genannt.


17. Jahrhundert
Erst Mitte des 17. Jahrhunderts werden die Clüver nach vielen Auseinandersetzungen mit weltlichen und geistlichen Herrschern von ihrer Vormachtstellung als Gohgrefe verdrängt.

Durch den Westfälischen Frieden von 1648 kommen die Herzogtümer Bremen und Verden in
schwedischen Besitz. Bereits am 03. Dezember 1646 setzt Königin Christine von Schweden Otto Clüver als Gohgrefen ab und überträgt das Amt dem schwedischen Generalkriegskommissar Peter Brandt, der allerdings bereits zu Beginn des Jahres 1648 verstirbt. Vergeblich klagt Otto Clüver gegen den Verlust seiner Grefenrechte vor dem höchsten schwedischen Gericht für deutsche Gebiete zu Wismar.

Der Gerneralgouverneur der Herzogtümer Bremen und Verden, Graf Hans Christopher von
Königsmarck, übernahm selbst das Amt des Gohgrefen. Königin Christine von Schweden verfügt am 01. Mai 1649 aufgrund der Verdienste Königmarcks die erbliche Gohgrefenwürde "bis zum Aussterben im Mannesstamm". Allerdings segnete der letzte Königsmarck bereits in der Nacht des 01. Juli 1694 das Zeitliche, als er bei dem Versuch die hannoversche Kurprinzessin Sophie Dorothea aus dem Leineschloss zu entführen von Höflingen des
Kurprinzen ermordet wurde. Das Gohgericht Achim sowie die Ämter Rotenburg und Verden fielen an die Krone zurück. Der Schwedische König Karl XII. ernennt Christoph Heinrich von Weissenfels zum Gohgrefen.


Die Gohgrefen des Gohgerichts Achim ab 1646 im Überblick
1646 - 1648 Peter Brandt, Generalkriegskommissar
1647 - 1663 Hans Christopher Graf von Königsmarck , Generalgouverneur
1663 - 1672 Curt/Cord Christoper Graf von Königsmarck, Vizegouverneur und Generalmajor
1672 - 1686 Otto Wilhelm Graf von Königsmarck, Feldmarschall
1686 - 1694 Philipp Christoph Graf von Königsmarck
1695 - 1715 Christoph Heinrich von Weissenfels, königl. Schwed. Etatsrat in Bremen
1717 - 1769 Christian Friedrich von Weissenfels
1769 - 1791 von Danckwerth, Oberamtmann und Intendant

Nur selten hielten sich die Gohgrefen im Gohgericht auf. Die Verwaltung des Gohgerichts erfolgte durch Beauftragte. Die Clüverschen Gohgrefen hielten wie seit alters her, mehrmals jährlich auf der Lindenwurth Gericht. Die nunmehr beauftragten Beamten hielten in der Regel eimnal wöchentlich im Posthaus (Wichmannsches Haus) Gericht. Auch die Form der
Verhandlungen änderte sich. Nur noch die Parteien und Zeugen waren zugelassen. Der Beamte entschied allein den Rechtsstreit.


18. Jahrhundert
Im Jahre 1715 werden die Herzogtümer Bremen und Verden durch Verkauf an das Kurfürstentum von Hannover abgetreten. Die Achimer wurden Hannoveraner. Zu dieser Zeit ist Christian Friedrich von Weissenfels Gohgrefe in Achim, der nach 54 Dienstjahren 1773 in Achim stirbt. Sein Nachfolger ab 01. März 1769 wird Intendant von Danckwerth aus Bremen. Seit dem 20. Januar 1769 führt von Danckwerth die Titel Oberamtmann und Intendant.
Dr. Windel schreibt in seiner Chronik: Danckwerth ließ sich wöchentlich am Mittwoch durch Bauleute des Gohgerichts aus Bremen abholen in einer Kutsche, die so schwer war, dass kaum vier Pferde sie ziehen konnten. Donnerstags und freitags hielt er Gericht im Posthaus, sonnabends fuhr er wieder nach Bremen.

Von Danckwerth stirbt im Jahre 1791. Nach dessen Tode wurde der Gohgrafentitel nicht mehr geführt. Sein Nachfolger wird der erste Beamte Intendant Dr. Theodor Olbers. Es folgen während der Franzosenzeit Maire des Cantons Achim von der Decken und ab 1814 der Amtmann Heinrich August Wilhelm von Chüden.


Übersicht der Amtmänner desAmtes Achim
1792 - 1803 Intendant Dr. Theodor 0lbers
1803 - 1811 Maire des Cantons Achim von der Decken
1814 - 1815 Amtmann, später Oberamtmann Heinrich August Wilhelm von Chüden
1815 - 1819 Amtsassessor, später Amtmann Jordan
1819 - 1835 Amtsassessor, später Amtmann Erxleben
1835 - 1836 Amtmann Koch
1836 - 1854 Amtmann Meyer


19. und 20. Jahrhundert
Bereits 1792 erwarb die königliche Kammer zu Hannover das Gebäude des späteren Landratsamtes, um es als Amtshaus umzubauen. Das Pforthaus wurde 1789 als neues Gefängnis gebaut und im Jahre 1835 aufgestockt, fortan erfolgten die Gerichtsverhandlungen hier.

Wie überall in Deutschland hatte in Hannover die Revolution von 1848 das Bürgertum auf Kosten des Adels gestärkt. Zu den zentralen politischen Forderungen der Revolutionsbewegung gehörten die Einführung von Mündlichkeit und Öffentlichkeit als
Grundprinzipien des Verfahrensrechts und die Einrichtung von Schwurgerichten.

In den § 9 des Landesverfassungsgesetzes vom 05. September 1848 fanden die justizpolitischen Anliegen der 48er Bewegung Eingang.
"Die Gerichtsverfassung soll nach den Grundsätzen der Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung, der Aufhebung des bevorzugten Gerichtsstandes, der Mündlichkeit und Öffentlichkeit in bürgerlichen und peinlichen Sachen und der Einführung von Schwurgerichten im letzten gesetzlich geregelt werden".
Am 08. November 1850 wurde das Gerichtsverfassungsgesetz verkündet, es trat aber erst 1852 in Kraft. Die lange Zeitspanne zwischen Verkündung und Inkrafttreten des Gesetzes erklärt sich aus der zögerlichen Haltung von Ernst August von Hannover. Erst nach seinem Tode am 18.11.1851 ordnet sein Nachfolger König Georg V. am 04. Mai 1852 das Inkrafttreten des Gesetzwerkes zum 01. Oktober 1852 an. Nach dem Verzeichnis der unteren
Verwaltungsbehörden und der Amtsgerichte umfasst das Amt Achim folgende Ortschaften:
Achim, Arbergen, Bierden, Bollen, Embsen, Hemelingen, Mahndorf, Meyer- und Clüverdamm,
Oyterdamm, Uesen, Uphusen, Baden, Bassen, Bockhorst, Borstel, Oyten, Sagehorn, Schaphusen, Giersdorf und Schanzendorf, Grasdorf, Hagen und Grinden; vom Amte Verden die Gemeinde Allerdorf und vom Amte Rotenburg die Bauernschaft Stellenfelde und Wümmingen. Die Weserinseln Wietsand und Korbinsel gehören nicht mehr zum
Amtsgerichtsbezirk.

Mit Verordnung über die Bildung der Amtsgerichte vom 30. September 1852 wird klargestellt, dass die dem Amte und Amtsgericht Verden beigelegten Bauernschaften Cluvenhagen, Daverden und Etelsen bei dem Amtsgericht Achim verbleiben.

Nicht unerwähnt bleiben soll die Tatsache, dass 1852 im Amt Ottersberg ein eigenes Amtsgericht eingerichtet wurde, das allerdings bereits 1859 aufgelöst wurde. Die Gemeinde Fischerhude und das Kirchspiel Otterstedt wurden dem Amtsgericht Achim zugelegt. Die restlichen Ortschaften gingen an das Amtsgericht Rotenburg oder Zeven.

Aufgrund der räumlichen Engpässe entschließt man sich 1862, an der östlichen Grenze des Landratsamtes ein Amtsgericht zu bauen. Im Jahre 1864 kann das Amtsgericht bezogen werden. Allerdings stehen der Justiz nur 1/3 der Räumlichkeiten zur Verfügung. 2/3 der Räumlichkeiten werden von der Verwaltung genutzt.

1879 wird der Gemeindebezirk Quelkhorn aus dem Amt Zeven dem Amtsgericht Achim zugelegt.

Das Landratsamt zieht 1927 aus dem Amtsgerichtsgebäude in das neue Kreisgebäude (heute
Kreissparkasse). Dafür zieht das Katasteramt in die freigewordenen Räumlichkeiten. Durch die Zusammenlegung der Katasterämter Verden und Achim in Verden, kann die Justiz ab
01.01.1938 das Amtsgerichtsgebäude alleine nutzen. Allerdings nicht für lange Zeit.
Mit Erlass über die Änderung von Gerichtsbezirken vom 09. Oktober 1942 werden die Gemeinden Hemelingen und Mahndorf der Stadt Bremen eingegliedert. Um das Jahr 1944 verliert das Amtsgericht Thedinghausen seine Selbständigkeit, es wird nunmehr vom Amtsgericht Achim mitverwaltet.

Aufgrund der Raumnot durch alliierte Luftangriffe auf Bremen werden im Oktober 1944 Teile der Landeshauptkasse Bremen in das Amtsgerichtsgebäude einquartiert. Es gibt technische Probleme, da der im Keller installierte Motor für die Buchungsmaschinen nicht verkabelt werden kann. Die notwendigen Kabel waren zu der damaligen Zeit nicht mehr zu beschaffen.

Das Amtsgericht ist im Jahre 1945 Luftschutzgebäude und Krankenhaus mit 12 Betten. Wie lange Gerichtsverhandlungen im Jahr 1945 noch stattgefunden haben ist nicht bekannt. Erst am 29. März 1946 wird das Amtsgericht wiedereröffnet. Mit Schreiben vom 14. September 1946 teilt der aufsichtführende Richter dem Landgerichtspräsidenten in Verden mit, dass zwar keine britischen Dienststellen das Gebäude nutzen, aber dass der Sitzungssaal, das
Beratungszimmer sowie das Gerichtsgefängnis nach wie vor als Krankenhaus benutzt werden. Aus einem schriftlichen Bericht des Justizinspektors Peters ergibt sich, dass das Krankenhaus mit 60 Patienten belegt ist. Acht Diphtherie- und Scharlachfälle sind im Gerichtsgefängnis untergebracht. Lange konnten diese chaotischen Zustände aber nicht mehr angehalten haben.

Durch Gesetz über die Aufhebung der Amtsgerichte Coppenbrügge, Lutter am Barenberge und
Thedinghausen vom 21. Juli 1956 wird dem Amtsgericht Achim der Bezirk des bereits verwalteten Amtsgerichtsbezirk Thedinghausen zugelegt.

Mit Gesetz über die Organisation der ordentlichen Gerichte vom 16. Juli 1962 umfasst das Amtsgericht Achim folgende Gemeinden:
Aus dem Landkreis Verden: Achim, Baden, Bassen, Benkel, Bierden, Bockhorst, Bollen, Cluvenhagen, Daverden, Eckstever, Embsen, Etelsen, Fischerhude, Giersdorf-Schanzendorf, Grasdorf, Hagen-Grinden, Hintzendorf, Meyerdamm, Narthauen, Ottersberg, Otterstedt, Oyten, Oyterdamm, Quelkhorn, Sagehorn, Schaphusen, Uesen, Uphusen, Wümmingen.
Aus dem Landkreis Braunschweig: Ahsen-Oetzen, Bahlum, Dibbersen-Donnerstedt, Eißel,
Emtinghausen, Holtorf-Lunsen, Horstedt, Thedinghausen, Werder.

Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Gerichte im Anschluss an die kommunale Gebietsreform vom 20. Februar 1974 werden die Gemeinden Cluvenhagen, Daverden und Etelsen dem Amtsgerichtsbezirk Verden zugelegt. Die Gemeinde Riede, früher Amtsgerichtsbezirk Syke, wird Achim zugelegt.

Bereits zu dieser Zeit herrscht im Amtsgericht große Raumnot. Mit Mietvertrag vom 27. September 1974 schließt das Land Niedersachsen (Justizverwaltung) mit dem Verwalter C.H. Marschhausen als Rechtsnachfolger der aufgelösten Fa. Rieke's Honigkuchenfabrik Marschhausen & Rieke KG, Achim, einen Vertrag über die Nutzung der Räumlichkeiten in der Obernstr. 59/61. Diese Räume werden im September 1981 aufgegeben.

Es folgt ein Mietvertrag zwischen dem Land Niedersachsen (Justizverwaltung) und Frau Luise
Hoppe über die Anmietung einer Zweigstelle des Amtsgerichts in der Bergstraße 1, Achim. In diesen Räumen verbleibt die Zweigstelle des Amtsgerichts bis 1993.

Nach Fertigstellung des neuen Rathauses in der Fußgängerzone steht das "alte Rathaus" in der Obernstraße 75 leer. Die Stadt Achim vermietet dieses Gebäude sowie das Nebengebäude mit Mietvertrag zum 01. Oktober 1993 an die Justiz, die diese Gebäude auch heute noch als Nebenstelle I und II nutzt.

Der heutige Amtsgerichtsbezirk Achim hat eine Größe von ca. 382 qkm. Die Zahl der
Gerichtseingesessenen ist von 18.692 im Jahre 1880 auf über 73.000 im Jahre 2001 gestiegen. Die vielfältigen Aufgaben des Amtsgerichts werden zurzeit unter Leitung der Direktorin Frau Sabine Reinicke mit 49 Beschäftigten bewältigt. Seit dem 01.01.2002 ist das
Amtsgericht Achim zentrales Registergericht für die Bezirke Achim, Osterholz-Scharmbeck und Verden.
Stempel des Amtsgerichts Achim
Gedenkblatt Nr. 10/2002, herausgegeben von der Geschichtswerkstatt Achim, Text: Bernd Hense, Repros: Karlheinz Gerhold, Achim 2002.
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