Die Auseinandersetzung um den Volksentscheid für die entschädigungslose Enteignung der Fürsten (1926) im Kreis Achim
von
Reinhard Dietrich

Selten genug marschierten die Arbeiterorganisationen in der Weimarer Republik (1919-1933) gemeinsam. Eine der wenigen gemeinsamen Aktionen war die Initiative für eine entschädigungslose Enteignung der deutschen Fürsten im Jahr 1926.

In einer tiefen Krise der deutschen Wirtschaft, ein Großteil der Bevölkerung litt als Folge des 1. Weltkriegs noch Not, es gab noch zahlreiche Kriegsversehrte und in bitterer Armut lebende Hinterbliebene, beanspruchten die in der Novemberrevolution gestürzten deutschen Fürsten horrende Entschädigungszahlungen für die beschlagnahmten Ländereien und Besitztümer. Obwohl die ehemaligen Fürsten und andere Adlige bereits hohe finanzielle Zuwendungen bekamen - der 1918 nach Holland ins Exil vertriebene Kaiser und seine Familie erhielten z.B. neben zahlreichen Gütern und Landbesitz von 100 000 ha, mit denen er wieder der größte private Grundbesitzer im Reich wurde, immer noch eine monatliche Leibrente von 50 000, jährlich etwa 600 000 Goldmark - gab es zahllose weitere Forderungen.
1)

Während die Familie eines Arbeitslosen von 2,50 Mark Unterstützung pro Tag leben musste, erhielten der Ex-Kaiser Wilhelm II. und seine Familie vom gleichen Staat, den sie in einen vierjährigen, vernichtenden Krieg geführt hatten, 1 670 Mark pro Tag.

Der Gesamtwert der von den Fürsten geforderten Kapitalien - eine halbe Million Hektar Grundbesitz wie Ackerland und Wald, Schlösser, Kunstschätze, Geldeinkünfte u.ä. - belief sich auf etwa 2,6 Milliarden Mark.
2)

In dieser zugespitzten gesellschaftlichen Situation propagierten die Arbeiterparteien die entschädigungslose Enteignung der Fürsten mit Hilfe eines Volksentscheids.

Der Artikel 73, Absatz 3 der Weimarer Verfassung lautet: "Ein Volksentscheid ist ferner herbeizuführen, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten das Begehren nach Vorlegung eines Gesetzentwurfs stellt. Dem Volksbegehren muss ein ausgearbeiteter Gesetzentwurf zugrunde liegen. Er ist von der Regierung unter Darlegung ihrer Stellungnahme dem Reichstag zu unterbreiten. Der Volksentscheid findet nicht statt, wenn der begehrte Gesetzentwurf im Reichstag unverändert angenommen worden ist."
3)

Auf dieser verfassungsrechtlichen Grundlage beantragten am 25. Januar 1926 Vertreter der KPD und SPD beim Reichsminister des Innern die Zulassung eines Volksbegehrens für die entschädigungslose Enteignung der Fürsten.

Der vorgelegte Gesetzentwurf:

                                             "Artikel I
Das gesamte Vermögen der Fürsten, die bis zur Staatsumwälzung im Jahre 1918 in einem der deutschen Länder regiert haben, sowie das gesamte Vermögen der Fürstenhäuser, ihrer Familien und Familienangehörigen werden zum Wohle der Allgemeinheit ohne Entschädigung enteignet. Das enteignete Vermögen wird Eigentum des Landes, in dem das betreffende Fürstenhaus bis zu seiner Absetzung oder Abdankung regiert hat.

                                             Artikel II
Das enteignete Vermögen wird verwendet zugunsten
a) der Erwerbslosen,
b) der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen,
c) der Sozial- und Kleinrentner,
d) der bedürftigen Opfer der Inflation,
e) der Landarbeiter, Kleinpächter und Kleinbauern durch Schaffung von Siedlungsland auf dem enteigneten Landbesitz.
Die Schlösser, Wohnhäuser und sonstigen Gebäude werden für allgemeine Wohlfahrts-, Kultur- und Erziehungszwecke, insbesondere zur Errichtung von Genesungs- und Versorgungsheimen für Kriegsbeschädigte, Kriegshinterbliebene, Sozial- und Kleinrentner sowie von Kinderheimen und Erziehungsanstalten, verwendet….
"
4)

Der Aufruf wurde unterstützt von KPD, SPD, Allgemeinem Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB - Vorläufer des DGB), Allgemeinem freien Angestelltenbund, Allgemeinem Deutschen Beamtenbund und zahleichen Unterorganisationen, einer großen Arbeitereinheitsfront.

Den Fürsten keinen Pfennig!

Den Fürsten keinen Pfennig! Schreibt Euch ein für das Volksbegehren
Plakat der SPD zur Fürstenenteignung, 1926. 5); Entwurf: Hans Adolf Baltzer

Auch bei uns wurde für das Volksbegehren geworben. Es gab mehrere "Öffentliche Volksversammlungen" zum Thema "Fürstenabfindung und Fürstenraub", z.B. am 03. März im Schützenhof in Achim, am 07.03. in Baden.

Oeffentl. Volksversammlung

Achimer Kreisblatt vom 02. und 03. März 1926

Der Titel dieser Versammlung war leider etwas irreführend gewählt. Es ging bei der gesetzlichen Initiative eindeutig um eine "entschädigungslose Enteignung der Fürsten". Da das Referatthema des Abends mit "Fürstenabfindung und Fürstenraub" angekündigt wurde, berichtet der Redakteur in dem folgenden Artikel auch fälschlicherweise vom "Volksbegehren über die Fürstenabfindung". Um "Fürstenabfindung" ging es ausdrücklich nicht. (siehe auch unten die Anzeige der SPD Achim)

Am 04. März wurde über diese Veranstaltung ausführlich berichtet: "Zum Volksbegehren über die Fürstenabfindung hatte die Sozialdemokratische Partei gestern Abend eine öffentliche Versammlung nach dem Schützenhofe einberufen… Der Referent sprach nahezu zwei Stunden über dieses Thema… über die Art und Weise, wie die einzelnen Länder sich entwickelt wie deren Fürsten es verstanden hätten, ihre Hausmacht und ihr Vermögen auf Kosten ihrer Untertanen zu vergrößern. Das Volk wolle mit den ehemaligen Fürsten nichts zu tun haben und hätte auch keine Ursache, ihnen nochmals Geld zu geben; mehr als 2 Milliarden Mark beanspruchen dieselben heute zu einer Zeit, wo ein großer Teil Deutscher arbeitslos sei und sich kümmerlich durchschlagen müsse. Die Forderungen der Fürsten seien ungerechtfertigt, unmöglich und unsittlich… Die Angelegenheit sei eine rein politische, keine rechtliche. Die Sozialdemokratie denke nicht daran, die Entscheidung den Richtern zu überlassen, das Volk selber solle entscheiden… Vom 4. - 17. März müsse sich jeder in die Listen einzeichnen; den letzten Mann gegen die unersättlichen Fürsten, für das Volk!"
6)

Am 12. März 1926 erschien im Achimer Kreisblatt diese Anzeige der Sozialdemokratischen Partei:

Fürstenenteignung!

Anzeige aus dem Achimer Kreisblatt vom 13. März 1926

Am 19. März heißt es im Achimer Kreisblatt: "Für das Volksbegehren haben sich hier in Achim 801 Wahlberechtigte in die ausgelegten Listen eingetragen. Man rechnet für das ganze Reich mit einer Unterschriftenzahl von rund 8 Millionen." 7)

Diese Schätzung war weit untertrieben. Tatsächlich trugen sich vom 04. bis 17. März 1926 von 39,42 Mio. Stimmberechtigten 12,52 Mio. (das sind 31,76 %) in die Listen für das Volksbegehren ein. Es hätten 10 % der Stimmberechtigten ausgereicht, also 3,94 Millionen; erreicht wurde das mehr als Dreifache der notwendigen Unterschriften.

Nach diesem sehr erfolgreichen Volksbegehren lehnte der Reichstag den vorgelegten Gesetzentwurf am 06. Mai 1926 dennoch mit 236 zu 141 Stimmen ab. SPD (131) und KPD (45) verfügten seit der Reichstagswahl am 07. Dezember 1924 eigentlich über insgesamt 176 Sitze, konnten also bei weitem nicht alle Fraktionsmitglieder (- 35) mobilisieren.

Nun konnte der Gesetzentwurf nur noch über einen Volksentscheid Rechtskraft erlangen. Artikel 75 der Weimarer Verfassung führt aus: "(1) Durch den Volksentscheid kann ein Beschluss des Reichstags nur dann außer Kraft gesetzt werden, wenn sich die Mehrheit der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt."
8) Dafür war die Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich, also knapp 20 Millionen.

Der Volksentscheid sollte dann am 20. Juni 1926 durchgeführt werden.

Obwohl die geplante Enteignung lediglich bei 23 gestürzten deutschen Fürsten
9) geplant war - bei dem König von Preußen als deutschem Kaiser, den Königen von Bayern, Württemberg und Sachsen, den Großherzögen von Baden, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Sachsen-Weimar-Eisenach und Oldenburg, den Herzögen von Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Anhalt und einigen weiteren Fürsten von kleineren Fürstentümern (Schwarzburg-Sondershausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Waldeck, Reuß j. L. und Reuß ä. L., Lippe und Schaumburg-Lippe) 10) - erhoben die konservativen Kräfte diese Frage zu einer System-Frage.

Am 08. Juni begann eine unglaubliche Medienkampagne im Achimer Kreisblatt gegen den Volksentscheid.

Im Leitartikel des Achimer Kreisblatts wird ein Brief des Reichspräsidenten Hindenburg auf fast der ganzen ersten Seite ausführlich zitiert. Zwar betont er am Anfang seines Briefes, dass er "aus staatsrechtlichen, sich aus der verfassungsmäßigen Stellung des Präsidenten des Deutschen Reiches ergebenden Gründen" in öffentlichen Kundgebungen nicht Stellung nehmen dürfe, um dann aber doch ordentlich und klar Stellung zu beziehen: "Dass ich, der ich mein Leben im Dienste der Könige von Preußen und der Deutschen Kaiser verbracht habe, dieses Volksbegehren zunächst als ein großes Unrecht, dann aber auch als einen bedauerlichen Mangel an Traditionsgefühl und als groben Undank empfinde, brauche ich ihnen nicht näher auszuführen… Es verstößt gegen die Grundlagen der Moral und des Rechts. Würde dieses Volksbegehren Annahme finden, so würde einer der Grundpfeiler, auf dem der Rechtsstaat beruht, beseitigt und ein Weg eröffnet, der auf abschüssigen Bahnen haltlos bergab führt, wenn es der Zuständigkeit einer vielleicht noch dazu leidenschaftlich erregten Volksabstimmung gestattet sein soll, verfassungsmäßig gewährleistetes Eigentum zu entziehen oder zu verneinen. Es könnte aus dem jetzt vorliegenden Einzelfalle die Methode entstehen, durch Aufreizung der Instinkte der Massen und Ausnutzung der Not des Volkes mit solchen Volksentscheiden auf dem Weg der Enteignung weiter zu gehen und damit dem deutschen Volke die Grundlage seines kulturellen, wirtschaftlichen und staatlichen Lebens zu entziehen."
11)

So weit das Demokratieverständnis des damaligen Reichspräsidenten. Zum besseren Verständnis: Hindenburg wurde im 1. Weltkrieg (Beginn 02. August 1914) bereits am 27. November 1914 Generalfeldmarschall und am 30. Juli 1916 Chef des Generalstabes, war also eine absolut tragende Säule für den herrschenden Kaiser Wilhelm II.

Auszüge dieses Textes wurden mit Hindenburgs Konterfei als Plakate in großer Anzahl verbreitet.
12)

Ebenfalls auf Seite 1 der Ausgabe vom 08. Juni wurde vermeldet, dass die Bischofskonferenz sich gegen den Volksentscheid ausgesprochen hat.

In einem Hirtenbrief wird klar formuliert wie "der liebe Gott" zum Volksentscheid steht: "Wer zum Volksentscheid geht, verletzt die obersten Gebote Gottes, verletzt die Grundsätze des natürlichen und christlichen Sittengesetzes, verletzt die obersten Gesetze eines Rechtsstaates, er versündigt sich an den Existenzgrundlagen unseres Volkes, er zerstört die christliche Familie… da er den Eckstein unseres ganzen Volkes, das Privateigentum aufhebt."
13)

Für die monarchistische Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP), die bei den Reichstagswahlen am 07. Dezember reichsweit immerhin 6,2 Mio. Stimmen (das waren 20,49 %, 103 Sitze) bekommen hatte (im Kreis Achim erhielt sie 1 423 Stimmen (= 9,64 %), ging es um die Alternative: Monarchie oder Republik.
14)
Sie machte besonders Stimmung. In einer Erklärung "Weshalb bleiben wir am 20. Juni zu Hause?" heißt es: "Ist erst mit dem feigen Raubzug auf das Eigentum der wehrlosen Fürsten der Grundsatz, dass das Eigentum heilig ist, einmal durchbrochen, dann wird die allgemeine Sozialisierung, die allgemeine Enteignung jedes Privateigentums bald folgen, einerlei, ob es sich um große Fabriken oder eine Tischlerwerkstätte, ob es sich um riesige Warenhäuser oder um einen Grünkramladen, ob es sich um ein Rittergut oder einen Vorstadtgarten, ob es sich um ein großes Bankinstitut oder das Sparkassenbuch eines Arbeiters handelt." "Jeder anständige Mensch", der sich der "bolschewistischen Revolution entgegenstemmen" wolle, müsse deshalb der Abstimmung fern bleiben.
15)

Am 15. Juni veröffentlichen "Evangelischer Bund" und "Stahlhelm" ihre ablehnenden Positionen. Der Stahlhelm äußert sich gewohnt militärisch: "… Der Stahlhelm bestimmt, dass alle seine Mitglieder am 20. Juni sich von der Beteiligung am Volksentscheid fern halten und darauf hinwirken, dass dieser Grundgedanke in allen vaterländischen Kreisen festen Fuß fasst."
16)

In derselben Ausgabe vom 15.06. wirbt eine - allerdings vergleichsweise kleine - Anzeige für den Besuch von "Öffentliche Versammlungen - Thema: Die Wahrheit über den Volksentscheid" am 16.06. in Fischerhude und Embsen, am 17.06. in Quelkhorn und Ottersberg, am 18.06. in Arbergen und am 19.06. in Achim (im Schützenhof).
17)

Am 16. Juni darf die monarchistisch orientierte Deutsch-Hannoversche Partei (Welfen-Partei), die im Kreis Achim am 07. Dezember 1924 zwar 2 687 (= 18,20 %) der Stimmen erhalten hat (reichsweit allerdings nur 0,87 % der Stimmen) auf nahezu einer Viertelseite (auf Seite 2) ihren Standpunkt darlegen. Vorab wird allen "Redlichen" empfohlen, sich nicht an der Volksabstimmung zu beteiligen. Dann folgt die Begründung:
"Woher ist der Besitz der Fürsten so groß geworden?
Jeder Bauer weiß, dass in einer ordentlichen Familie der Besitz meist gewachsen ist, wenn er vom Großvater auf den Vater und von dem Vater auf den Sohn überkommen ist.
Ist das Diebstahl, wenn jeder danach strebt, hier und dort ein Stück dazu zu kaufen, wenn er nach jeder guten Ernte, nach jedem guten Geschäft Taler auf Taler weise anlegt, statt sie zu vertuen?
In den Familien unserer Fürstenhäuser hat sich der Besitz durch 500 Jahre und länger vom Vater auf den Sohn vererbt.
Er ist ebenso rechtmäßig angewachsen wie jeder andere!
Wer für die entschädigungslose Enteignung des Fürstenvermögens stimmt, erkennt an, dass eine entschädigungslose Enteignung seines eigenen Vermögens ebenfalls gutgeheißen werden könnte….
"
18)

Am 18. Juni erschienen gleich vier (!) große Anzeigen gegen die Fürstenenteignung: der "Handwerker-Bund Achim", der "Hausbesitzer-Verein Achim" (der auch schon am 17. inseriert hat), die "Landleute" und eine anonyme Anzeige mit christlichem Bezug:

Anonyme Anzeige

Achimer Kreisblatt vom 18. Juni 1926

Auch der Aufruf an die "Landleute !" enthält eine klare, demagogische Sprache: "Sie (Kommunisten und Sozialdemokraten) wollen Euch dazu bereden am 20. Juni Euren ehrlichen Namen für ewige Zeit zu schänden (Hervorhebung im Achimer Kreisblatt), indem Ihr ihn hergebt, um diesen unerhörten Diebstahl zu ermöglichen, durch den die deutschen Fürsten all ihres Privateigentums beraubt und zu Bettlern gemacht werden sollen…. Welcher ehrliche Deutsche will und kann sich dazu hergeben?! Und gebt acht! (Hervorhebung im Achimer Kreisblatt) Es geht nicht nur um das Vermögen der Fürsten! Das wäre nur der Anfang. Die Roten machen gar kein Hehl daraus: Mit den Fürsten fangen sie an; dann wird die Kirche ausgeraubt; dann der Großgrundbesitz; dann der kleine Grundbesitz; zuletzt jeder, der ein Stück Vieh, ein Bett, einen Stuhl sein eigen nennt." 19)

Der Reichs-Landbund machte reichsweit Front gegen den Volksentscheid, der Kreis-Landbund bei uns vor Ort. Am 19. Juni schaltete der "Kreislandbund Achim" eine große Anzeige im "Achimer Kreisblatt": "Der morgige Volksentscheid wird darüber entscheiden, ob im deutschen Volke und Staate die Begriffe Treu und Glauben, Recht und Ordnung weiter bestehen werden, oder ob das Deutsch Reich der verderblichen Willkür des Bolschewismus ausgeliefert sein soll. Wer das letztere nicht (Hervorhebung in der Anzeige) will, der bleibe der morgigen Wahl fern. Kreislandbund Achim."
20)

Im Redaktionsteil des Achimer Kreisblatt finden sich in verschiedenen Ausgaben fünf ausführliche redaktionelle Ausführungen der Gegner (Reichspräsident Hindenburg, Deutsch-Nationale Volkspartei, Deutsch-Hannoversche Partei, Stahlhelm, Landbund, usw.). Nicht einer einzigen befürwortenden Gruppe (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund (ADGB), SPD, KPD, Intellektuelle, katholische Jugend usw.) wurde auch nur minimaler Platz für ihre Aufrufe oder Erläuterungen ihrer Positionen eingeräumt.
21)

Gegen diesen massiven Propagandafeldzug konnten die Befürworter des Volksentscheids mit ihren bescheidenen finanziellen Mitteln medial nicht mithalten. Die einzige (bezahlte) Anzeige für den Volksentscheid im Achimer Kreisblatt erschien am 19. Juni, umrahmt von Anzeigen des eben zitierten Kreislandbundes und einer erheblich größeren Anzeige des Landbundes des Kreises Achim:

Achimer Kreisblatt vom 19. Juni 1926

Der Boykottaufruf der großen konservativen Aktionseinheit mit eindrucksvoller medialer Unterstützung zeigte Wirkung: Reichsweit beteiligten sich von 39,73 Mio. Stimmberechtigten lediglich 15,60 Mio. (das waren 39,3 %). 558 995 Stimmen waren ungültig. Von 15,04 Mio. gültigen Stimmen gab es 14,46 Mio. Ja- und 583 714 Nein-Stimmen.

Nach normal üblichen demokratischen Regeln gab es eine eindeutige Mehrheit mit 92,7 % Ja-Stimmen aller abgegebenen Stimmen. Da aber lediglich 36,40 % Ja-Stimmen (aller Stimmberechtigten) abgegeben wurden, war der Volksentscheid gescheitert. (Zahlen zum Volksentscheid) Für einen Erfolg des Volksentscheids fehlten genau 5 437 741 Ja-Stimmen.
22)

Dennoch muss die Bewegung als großer Erfolg angesehen werden. Bei den letzten Reichstagswahlen am 07. Dezember 1924 erhielten die SPD 7 881 041, die KPD 2 709 086 Stimmen, insgesamt also 10 590 127 Stimmen. Bei dem Volksentscheid gelangen große Einbrüche (+ 3 819 481) in andere Wählerschichten.

In den ländlichen Gemeinden zeigte sich der Boykottaufruf als ein ausgesprochen geschickter Schachzug. Wer hier zur Volksabstimmung ging, outete seine Haltung mit großem Nachdruck, da die Wahl hier aufgrund der geringen Beteiligung nicht mehr als geheim durchgeführt werden konnte.


Das Ergebnis des Volksentscheids im Kreis Achim

Gemeinde Stimmberechtigte Abgegebene Stimmen
Ja % Nein Ungültig Beteiligung
Achim 2.587 967 37,38 26 75 41,28
Allerdorf 73 7 9,59 2 - 12,33
Arbergen 902 650 72,06 30 62 82,26
Baden 891 369 41,41 11 19 44,78
Badenermoor 123 80 65,04 2 6 71,55
Bassen 662 231 34,90 11 20 39,58
Benkel 46 3 6,50 1 - 8,70
Bierden 211 61 28,91 3 4 32,23
Bockhorst 142 46 32,39 2 1 34,51
Bollen 136 40 29,41 2 1 31,61
Borstel 104 8 7,69 1 1 9,62
Campe 81 5 6,17 - - 6,17
Cluvenhagen 267 145 54,31 - 10 58,05
Daverden 526 177 33,65 2 22 38,21
Eckstever 45 12 26,67 - 1 28,89
Embsen 425 75 17,65 4 9 20,71
Etelsen 478 117 24,48 9 17 29,92
Fischerhude 525 100 19,05 3 7 20,95
Giersdorf/Schanzendorf 152 19 12,50 1 - 13,16
Grasdorf 73 7 9,59 - 2 12,33
Hagen-Grinden 155 8 5,16 - - 5,16
Hemelingen 5.988 3.548 59,25 170 323 67,48
Hintzendorf-Stellenfelde 205 19 9,27 3 2 11,71
Mahndorf 779 457 58,66 15 33 64,83
Meyerdamm/Clüverdamm 94 26 27,70 - 1 28,72
Narthauen 114 11 9,65 1 - 12,77
Ottersberg 929 141 15,18 9 10 17,22
Otterstedt 374 51 13,64 4 1 14,97
Oyten 736 136 18,48 6 7 20,24
Oyterdamm 89 25 28,09 - - 28,09
Quelkhorn 362 53 14,64 10 3 18,23
Sagehorn 301 55 18,27 2 5 20,60
Schaphusen 159 22 13,84 - 3 15,72
Uesen 372 165 44,35 2 7 46,77
Uphusen 566 247 43,64 14 22 50,00
Wümmingen 203 18 8,87 - 4 10,84
Summe 18.875 8.101 42,92 346 678 48,34

Zahlen aus dem Achimer Kreisblatt vom 21. Juni 1926; Prozentberechnungen vom Autor

Je kleiner die Gemeinde, umso klarer konnte man erkennen, wer für die Fürstenenteignung stimmen wollte. Hier gab es kaum Gegenstimmen oder ungültige Stimmen. In Hagen-Grinden haben sich nur 8 Personen (= 5,16 %) an der Abstimmung beteiligt, in Campe 5 Personen (= 6,17 %), in Benkel 4 Personen (= 8,70 %) usw. In diesen und vielen anderen Dörfern erforderte es ein hohes Maß an Zivilcourage, zur Abstimmung zu gehen.

In größeren Gemeinden wie Achim, Arbergen und Hemelingen sah das schon wieder anders aus; in Hemelingen gab es z.B. 170 Nein- und 323 ungültige Stimmen.

In Arbergen (72,06 %), Badenermoor (65,04 %), Cluvenhagen (54,31 %), Hemelingen (59,25 %) und Mahndorf (58,66 %) wurden Mehrheiten bezogen auf die Zahl der Stimmberechtigten erreicht. (Fettdruck in der Tabelle vom Autor)

Im Kreis Achim lag die Beteiligung bei 48,34 %; die Zustimmung der Teilnehmenden lag bei 88,78 %. Mit 42,92 % Ja-Stimmen aller Wahlberechtigten war die Zustimmung um 6,53 % größer als reichsweit.

Zum Vergleich: Auch im Land Bremen wurde die notwendige Mehrheit verfehlt. Es stimmten zwar 89,53 % der Abstimmenden mit Ja, von den 229 297 Wahlberechtigten stimmten jedoch "nur" 103 987 zu, das waren 45,35 %; 4 141 stimmten mit "Nein", 8 021 Stimmen waren ungültig.
23)

Der 1918 gestürzte Kaiser kommentierte im holländischen Doorn das Abstimmungsverhalten von mehr als 14 Millionen seiner ehemaligen Untertanen mit den Worten: "Also gibt es 14 Millionen Schweinehunde in Deutschland."
24)

Anmerkungen:
1) Engelmann, Bernt: Das Reich zerfiel, die Reichen blieben, München 1975, S. 131
2) Karl, Heinz: Die deutsche Arbeiterklasse im Kampf um die Enteignung der Fürsten (1925/1926), Berlin 1957, S. 10-11
3) Verfassung der Weimarer Republik, Internet: http://www.documentarchiv.de/wr/wrv.html, gelesen am 06.04 2006
4) Pleyer, Hildegard: Politische Werbung in der Weimarer Republik, Witten (Ruhr) 1959, S. 12-13
5) Plakat der SPD zur Fürstenenteignung, 1926; Entwurf: Hans Adolf Baltzer
entnommen: Internet: http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/pli00572/index.html, gelesen am 06.04.2006
6) Achimer Kreisblatt vom 04. März 1926
7) Achimer Kreisblatt vom 19. März 1926
8) Verfassung der Weimarer Republik (siehe Anmerkung 3)
9) Jung, Otmar: Direkte Demokratie in der Weimarer Republik. Die Fälle "Aufwertung", "Fürstenenteignung", "Panzerkreuzerverbot" und "Youngplan", Frankfurt 1989, S. 52
10) Aufzählung aus Schüren, Ulrich: Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926. Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Band 64, Düsseldorf 1978, S. 21
11) Achimer Kreisblatt vom 08. Juni 1926
12) Plakat, abgedruckt in: Müller, Hartmut (Hrsg.): Bremer Arbeiterbewegung 1918-1945. Trotz alledem. Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Bremer Rathaus, Berlin 1983, S. 50
13) zitiert in Karl, Heinz (siehe Anmerkung 2), S. 44
14) Schüren, Ulrich (siehe Anmerkung 10), S. 161
15) zitiert nach Schüren, Ulrich (siehe Anmerkung 10), S. 206
16) Achimer Kreisblatt vom 15. Juni 1926
17) Achimer Kreisblatt vom 15. Juni 1926
18) Achimer Kreisblatt vom 16. Juni 1926
19) Achimer Kreisblatt vom 18. Juni 1926
20) Anzeige im Achimer Kreisblatt vom 19. Juni 1926
21) Die Aufrufe für einen Volksentscheid sind enthalten in: Karl, Heinz (siehe Anmerkung 2), S. 78-85 und 92-97
22) Schüren, Ulrich (siehe Anmerkung 10), S. 228, Anmerkung 184
23) Bremer Volkszeitung vom 21. Juni 1926
24) zitiert in Schüren, Ulrich (siehe Anmerkung 10), S. 234

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