Die Planung des Hansakanals

im Raum des Landkreises Verden mit Schwerpunkt
Achim und die durchgeführten Vorarbeiten
- Der Kanal, der nicht gebaut wurde -

Gerhard Bartel, Blender
(aus: 900 Jahre Achim, Sonderdruck aus dem "Heimatkalender für den Landkreis Verden 1991", Hrsg.: Landkreis Verden

Geleitwort
Dieser Artikel ist nur durch die Existenz eines Erläuterungsberichts "Technische Erläuterungen des Hansa-Kanal-Entwurfs" und "Untersuchung der Wirtschaftlichkeit des Hansa-Kanal", aufgestellt vom Preuß. Vorarbeitenamt für den Hansa-Kanal in V erden/Aller im März 1930 durch den Reg. Baurat Schulemann ermöglicht worden. (Der Bericht hat 520 Seiten Din A 4.)

Manch' Einwohner von Achim und Umgebung wird es nicht wissen: Zwischen dem 1. und dem 2. Weltkrieg gab es eine sehr umfangreiche Planung für einen Kanal, der durch Achim verlaufen und das Ruhrgebiet (Mittellandkanal bei Bramsche) mit dem Hamburger Hafen verbinden sollte. Dieser Kanal sollte den Namen Hansakanal tragen.
Die historische Entwicklung geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Die ersten Pläne für den Bau einer Wasserstraße zwischen Rhein und Nord- und Ostseehäfen gehen auf Friedrich II. d. Gr. zurück, der 1774 der Stadt Emden einen Kanal in Aussicht stellte, welcher die Ems mit der Weser und später mit der Elbe verbinden sollte. Zwischen 1802 und 1814 ließ Napoleon I. aus
militärischen Gründen Vorarbeiten für Wasser- und Heerstraßen zwischen Köln und Lübeck ausführen.
Die politische Zerrissenheit Deutschlands und seine Verarmung nach den Freiheitskriegen ließen diese Planungen für ein halbes Jahrhundert ruhen. Die Entwicklung des Eisenbahnverkehrs drängte sie durch den großen Aufschwung des Wirtschaftslebens zurück. Erst die Reichsgründung 1871 ließ die Menschen erkennen, daß die Eisenbahn nicht allen Verkehrsanforderungen, vor allem Massengütertransporten, gerecht werden konnte und daß
die Wasserstraßen billiger sind und damit erst der Massengüteraustausch ermöglicht wurde.
Schon während des Baus des Mittellandkanals (Ministerialdirektor Sympher) vor dem 1. Weltkrieg fanden die ersten Vorarbeiten für die Verbindung mit Weser und Elbe im Ministerium statt.
Der Ausgang des 1. Weltkrieges (u. a. fehlte dem Handel die Flotte) bewirkte, daß führende Männer der Wirtschaft in der Schaffung leistungsfähiger Wasserstraßen den Weg zum Wiederaufstieg sahen. Mit im Vordergrund stand der Hansa-Kanal, um durch billige Frachten den deutschen Handel zu beleben und eine Steigerung des Kohlenabsatzes in den Küstengebieten zu erreichen.
Umstritten war die Linienführung. Die Weser brachte einen Umweg von über 100 km, d.h. eine Wegeverlängerung von mehr als 1/3.
So entstand eine Reihe von Entwürfen, die die Öffentlichkeit beschäftigten. Die Bremer Baubehörde veröffentlichte 1919 einen Entwurf mit der Bezeichnung "Bramsche-Stade-Kanal".
Oberbaurat Höch aus Hamburg nannte seinen Entwurf "Hoya-Kanal" (Hoya-Seevemündung).
Ein anderer Entwurf vom Strombaudirektor Plate aus Bremen, genannt "Achim-Kanal", verlief von Bramsche bis zur Hunte, kreuzte die Weser bei Achim und erreichte das Elbetal bei Buxtehude (Einmündung bei Moorburg in die alte Südereibe).
Zu dieser Zeit hatten sich Kohlebergbau, Schwerindustrie, Großhandel und Schiffahrtsverbände sowie die Handelsplätze an der Küste zur "Zentralstelle der Hansa-Kanal-Vereine" zusammengeschlossen. Die Verhandlungen mit dem Verein führten dazu, daß der Strombaudirektor Plate 1922 einen neuen Entwurf aufstellte, der die Vorteile der verschiedenen Linienführungen vereinigte und die Billigung der beteiligten Kreise fand.
Dieser Entwurf wurde von den Senaten Hamburgs, Bremens und Lübecks dem Reichsverkehrsministerium mit dem Hinweis auf die große volkswirtschaftliche Bedeutung des Hansa-Kanals mit der Bitte vorgelegt, sich für die Schaffung einzusetzen.
Die Wasserstraßendirektion Hannover erhielt den Auftrag, zum Entwurf und der Wirtschaftlichkeitsberechnung Stellung zu nehmen. Das Ergebnis dieser Stellungnahme ließ die große wirtschaftliche Bedeutung des Hansa-Kanals erkennen und gab den Anlaß zur Inangriffnahme eingehender Vorarbeiten. Durch Erlaß des Preuß. Ministers für Landwirtschaft, Domänen und Forsten sowie des Reichsverkehrsministers vom 7. Januar 1927 wurde in Verden/Aller am 15. 1. 1927 das preuß. Vorarbeitenamt für den Hansa-Kanal
errichtet. Es sollte die Vor- und Entwurfsarbeiten ausführen.

Stempel und Schriftzug des Vorarbeitenamtes

Die Entwurfsbearbeitung begann mit Außenarbeiten zur Herstellung der Entwurfsunterlagen. Es mußten alle 500 bis 1000 m Höhenfestpunkte gesetzt werden, die durch Feineinwägung bestimmt wurden.
Das Gelände wurde dann in einem etwa 1 km breiten Streifen 500 m rechts und links der Kanalachse aufgenommen (Tachymetrie). Die eingemessenen Höhen wurden in Katasterkarten, die auf einen einheitlichen Maßstab gebracht waren und vielfach vor allem bezüglich der vorhandenen Gebäude ergänzt werden mußten, eingetragen und die Höhenlinien in Abständen
von 1 m gezeichnet.
Die Höhenaufnahmen, die örtlichen Besichtigungen und die Ergebnisse der (nachfolgend noch behandelten) Bohrungen zwangen mehrfach dazu, die Kanallinie zum Teil wesentlich, in einzelnen Fällen auf Längen bis 20 km, zu verlegen.
Nach der endgültigen Ausarbeitung der Kanallinie in den Karten und Plänen wurde die Achse im Gelände abgesteckt.
Danach folgte Längsaufmessung der Achse einschließlich Einwägung. Die Ausarbeitung war 1:2500 für die Längen und 1:100 für die Höhen.
Gleichzeitig waren Bohrungen zur Feststellung des Untergrundes und der Höhe des Grundwasserstandes auszuführen. Zur Beobachtung des Grundwassers wurden die Bohrlöcher mit Rohren versehen. Die Bohrung erfolgte wenigstens 6 m tief. Die tiefste Bohrung bei Harsefeld erreichte über 100 m. Insgesamt sind mehr als 1000 Bohrungen mit mehr als 10300 fallenden Metern niedergebracht worden.

Linienführung im Detail - Achimer Raum
Die örtlichen Gegebenheiten (Niederung an der Weser +6 bis +10 m über NN), schroffe Uferanhebung rechtsseitig bis zu 30 m über die Niederung und der Kreuzungsverkehr
führten zur Planung einer Überbrückung, die sich zwingend ergab und notwendig war, obwohl sie etwa 28 Mill. RM mehr kostete.
Die Kreuzungsstelle Achim ergab sich, weil das Wesertal an seiner engsten Stelle der Strecke Okel - Osterholz zu überqueren war (Kosten der Dammstrecke).
Bei Achim wird die Linienführung durch die Ortslage von Achim (damals 4000 Einwohner) und des Dorfes Uesen bestimmt. Die Bebauung beider Orte läßt zwischen sich das sogenannte Mühlenfeld frei, während an der Straße nach Baden die Bebauung ineinander übergeht. Das Hindurchführen des Hansa-Kanals an dieser Stelle hätte bewirkt, daß dem Bau 8 Wohnhäuser zum Opfer gefallen wären.
Ein besonderes Problem waren die vorhandenen Verkehrswege, die vom Kanal gekreuzt werden. Sie erfordern Unter- oder Überführungsbauwerke.
Geplant waren:
Art der Kreuzung
(Dibberser Abstieg)
Landwegunterführung
Landstraßenbrücke
(Hauptkanal)
Landstraßenunterführung
Landwegunterführung
Straße
Landstraßenbrücke
Landstraßenbrücke
Eisenbahnbrücke zweigl. Hauptbahn
Feldwegbrücke
Feldwegbrücke
Landwegbrücke
Feldwegbrücke
Feldwegbrücke
Landstraßenbrücke

Eisenbahnunterführung zweigl. Hauptbahn
Straßenunterführung

Feldwegbrücke

Verbindung von - nach

Riede - Dibbersen
Bremen - Thedinghausen

Bremen - Verden
Dibbersen - Eißel
Achim - Uesen
Achim - Verden
Achim - Baden
Bremen - Hannover
Borstel - Baden
Bassen - Baden
Achim - Schanzendorf
Bassen - Wümmingen
Bassen - Brammerhof
Bremen - Ottersberg
Bassen - Harburg
Bremen - Harburg
Quelkhorn - Ottersberg
Campe - Harburg
Quelkhorn - Otterstedt

Eine Planvariante des Hansa-Kanals

Eine Planvariante des Hansa-Kanals im Bereich der Gemarkung Uesen. (Zur Orientierung: Das Grundstück "Achimer Windmühle" (links) und der Bereich Ecke "Obernstraße", "Schifferstraße" und "Uesener Mühlenweg" sind rot markiert.

Die weitere Planung verlief so: Von Uesen aus ist der nächste die Linienführung bestimmende Punkt die Kreuzung des Wümmetales, das wegen der hohen Dammkosten an der engsten Stelle zwischen Bassen und Ottersberg in Richtung auf das Walletal überschritten werden muß.
In diesem Verlauf ist das Land fast unbesiedelt. Im Schaf- und Hollenmoor wird das 1 - 2 m mächtige Moor beseitigt, damit die Dämme auf mineralischen Boden geschüttet werden können.
In den Talsenken des Bassener Mühlengrabens und des Petershollengrabens wird Boden auf rd. 2 bzw. 1 km Länge aufgetragen.
Für die Stadt Achim ist ein Wasserbauamt und ein Wasserbausekretärsgehöft vorgesehen.
Die (noch vorhandenen) sehr umfangreichen Erdmassenberechnungen (Ausbaggerung und Auftrag an anderer Stelle) umfassen immerhin 16 Millionen m3!
Ein wesentlicher Teil der Entwurfsarbeiten war die "Untersuchung der Wirtschaftlichkeit des Hansa-Kanals".
Dieser im März 1930 in Verden aufgestellte Bericht (Reg. Bauräte Schulemann und Bollmann) untersucht Berechnung der Schiffsfrachten, Fahrzeiten, Verkehrsaufkommen für 1927, Kohlenverkehr im Küstengebiet, Eisenbahntarife, Seefracht von England, Preis der englischen Kohle usw.
Das Ergebnis der Wirtschaftlichkeitsberechnung, die bis in das Jahr 1951 vorgreift (!), ist, daß Verzinsung und Tilgung im Laufe der Jahre steigt, um bei dem entwickelten Verkehr des Jahres 1951 5,4% zu erreichen und bei weiterer Verkehrssteigerung noch zuzunehmen (lt. Kostenanschlag nachgewiesene Bausumme von 370 Mill. RM, Gesamteinnahme 1951 nach Abzug
der Unterhaltung 19.887.000,- RM).

Kosten
Die Baukosten des Hauptkanals wurden 1930 mit 370 Millionen Mark veranschlagt. Darin waren Grunderwerb (15,7 Mill.), Erdarbeiten (139,1 Mill.), Bauwerke (153,8 Mill.), Nebenanlagen (4,7 Mill.) und anderes sowie Bauleitungs- und Verwaltungskosten (21 Mill.) enthalten.
Frühere Entwürfe sollten in Vorkriegspreisen kosten:
Plate (1922)
Tincauzer (1925)
Wasserstraßendirektion Hannover (1926)
Vorarbeitenamt Verden (1930)
nach Jetztpreisen 1930

133,0 Mill.
160,5 Mill.
222,2 Mill.
257,5 Mill.
370,0 Mill.

(Es geht weiter nach Heraklits "Alles fließt".)
In einem Erläuterungsbericht ist zu lesen:
Mit Erlaß des Reichsverkehrsmin. vom 19. 4. 1938 wurde am 1. Mai 1938 die
Vorarbeitenabteilung für den Bau des Hansakanals in Hamburg-Harburg errichtet ... Es sollte untersucht werden, welchen Einfluß ein Ausbau für 1.500-t-Schiffe auf Linienführung und Kosten haben würde. Zwischen Weser und Elbe schienen hinsichtlich der Streckenführung nur geringfügige Änderungen notwendig. Wohl wesentlich kriegsbedingt kam es aber nicht mehr zu einer Verwirklichung des Projekts.
"Nach dem Kriege wurden im Jahre 1950 die Bebauungsbeschränkungen in der Trasse des Hansa-Kanals westlich der Weser aufgehoben, als feststand, daß die Arbeiten an der Mittelweser-Kanalisierung weitergeführt werden sollten. 1955 wurde auch die Trasse des Ostflügels freigegeben, nachdem man zu der Überzeugung gelangte, daß die Abzweigungen des Kanals aus Weser und Elbe wegen des zwischenzeitlichen Ausbaues dieser Flüsse
änderungsbedürftig seien."
Etwa 1960 gab es neue Untersuchungen in Sachen Hansakanal, allerdings nur unter der Voraussetzung, "daß es sich nach Fertigstellung der Mittelweserkanalisierung nur noch um eine Verbindung zwischen Weser und Elbe handeln kann."
Ob der Kanal vielleicht doch noch irgendwann gebaut wird?

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