"Seht den Narren mal, er will sich vorm lieben Gott verstecken!"

Die Pest in Achim im Jahre 1712

von

Karlheinz Gerhold
Die Pest.
Erzittre, Welt, ich bin die Pest;
ich komm' in alle Lande
und richte mir ein großes Fest;
mein Blick ist Fieber, feuerfest
und schwarz ist mein Gewande.
Ich bin der große Völkertod,
ich bin das große Sterben;
es geht vor mir die Wassernot,
ich bringe mit das teure Brot,
den Krieg tu ich beerben.
         Aus: Hermann Lingg, Der schwarze Tod.

Ob Pest, Lepra, Syphilis, Pocken, Malaria, Cholera oder AIDS - die Seuchen der Menschheit brachten und bringen nicht nur großes Leid für die Betroffenen und ihre Familien, sondern oft genug auch politische Umwälzungen mit sich.

Als Geißel der Menschheit schlechthin galt speziell im Mittelalter die Pest. Sie trat mit verschiedenen Gesichtern auf, war aber wohl immer dieselbe Infektionskrankheit:

  • Schwarzer Tod
  • Beulenpest
  • Beulenseuche
  • giftige Seuche
  • leidige Seich
  • großer Sterb
  • das Sterben an den Drüsen
  • Lungenpest
  • Brandbeulen

- alles Namen für diese Krankheit und ihre Symptome.


Was ist die Pest medizinisch?
Das Wort kommt von lateinisch pestis = anstreckende Krankheit, Seuche, Pest und bezeichnet die hochansteckende, akute, heute bereits bei Erkrankungsverdacht meldepflichtige bakterielle Infektionskrankheit. Erreger ist Yersinia pestis, ein unbegeißeltes, stäbchenförmiges Bakterium.

Ihrem Ursprung nach ist die Pest eine Krankheit wildlebender Nagetiere, insbesondere Wanderratten, die durch verschiedene Ektoparasiten, insbesondere den auf den Ratten schmarotzenden Flöhen übertragen wird, auch auf den Menschen, und zwar vorwiegend durch den infizierenden Flohstich. Befallen werden daher als erstes Haut oder Lymphknoten.

Einzelinfektionen beim Menschen können durch Tierkontakt mit toten Nagern hervorgerufen werden, menschliche Epidemien und Pandemien durch Verbreitung der Erreger über eine Infektionskette von Wanderratten und anderen wild lebenden Nagern auf Hausratten in menschlichen Siedlungsgebieten. Schließlich ist eine Übertragung von Mensch zu Mensch durch Tröpfcheninfektion und infizierte Gegenstände denkbar. Das Bakterium bleibt in Nagerhöhlen oder in Auswurf, Kot und selbst in eingetrocknetem Eiter über mehrere Monate infektionsfähig. Nach Übertragungsform und Verlauf unterscheidet man
- Beulen- oder Bubonen-Pest (nach Rattenflohbiss) und
- Lungenpest nach Tröpfcheninfektion.

Bei der Beulenpest bildeten sich ausgehend vom Flohstich am nächstgelegenen Lymphknoten in der Ellenbogenbeuge, Achselhöhle, Kniekehle oder im Nacken die Beulen.

Den Namen "schwarzer Tod" erhielt die Pest durch die blauen oder schwarzen Flecken auf der Haut, die entstanden, indem Blutfarbstoff aus den Gefäßen unter die Haut trat.

Symptome der Beulen-Pest: nach einer Inkubationszeit von 2 bis 6 Tagen entstehen Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Benommenheit, Lymphknotenentzündung mit schmerzhafter Schwellung bis zu 10 cm Größe und blutig-eitriger Einschmelzung.
Die Lungenpest tritt nach 1 bis 2 Tagen Inkubationszeit mit Husten, Luftknappheit, schwarz-blutigem Auswurf, Atemnot und meist dann Tod durch Lungenödem und Kreislaufkollaps auf.

Noch heute ist die Krankheit verbreitet in pestverseuchten Reservoiren wildlebender Nagetiere in Zentralasien, Ost- und Zentralafrika, Madagaskar, USA (Rocky Mountains) und Südamerika. Noch 1989 erkrankten 770 Personen mit 55 Todesfällen.

Eine Behandlung ist heute mit Antibiotika (Tetracycline und Streptmycin) möglich. Die Schutzimpfung ist wegen starker Nebenwirkungen umstritten.

Die Geschichte der Pest ist fast so alt wie die Geschichte der Menschheit selbst. Berichte liegen seit der Antike vor, u.a. für folgende Bereiche:

  • 430 vor Chr. im belagerten Athen (?)
  • 6. Jahrhundert in Konstantinopel
  • 1347 bis 1352 in Europa (bis zu 25.000.000 Tote, rund 1/3 der Bevölkerung)
  • 1665 - 1666 London
  • 1712 - 1713 Europa
  • 1720 - 1722 Marseille/Provence/Toulouse (letztes epidemisches Auftreten der Pest in Europa)
  • 1896 Asien
  • 1936 Malta

Nach einer neuen Theorie sollen Händler im 6. Jahrhundert die Pest nach Europa eingeschleppt haben. Die Ratten als Träger der Krankheit gelangten auf byzantinischen Schiffen mit Elfenbeinschnitzereien aus Afrika in die Mittelmeerländer. 2)


Was waren die Folgen, speziell im Mittelalter?
Die Folgen der Pestpandemien waren Hungersnöte, ein Kollaps von Handel und Wirtschaft, insbesondere der Landwirtschaft und verbreitete Endzeit- und Weltuntergangsstimmung. Diese Ereignisse hatten tiefgreifende Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben und die Weltanschauung der damaligen Zeit.


Was hielten die Menschen damals für die Ursachen der Pest?
Man vermutete:

  • Veränderungen der Luft
  • giftige Dünste und Wolken von unsichtbar kleinen Insekten, deren Eindringen in den Körper Blutvergiftungen hervorrufen sollte
  • ein Strafgericht Gottes oder
  • die Juden als Brunnenvergifter, was sogar zu Pogromwellen führte.

Also alles völlig irrationale Ursachen mussten als Erklärungsmuster herhalten.

Erst im Jahre 1894 wurde der Erreger von A.E.Yersin und S. Kitasato entdeckt und die wichtigste Infektionskette Ratte -> Floh -> Mensch erkundet.


Was wurde im Mittelalter und in der frühen Neuzeit gegen die Pest unternommen?
Medizinische Behandlungsmaßnahmen beschränkten sich auf Anwendung von schweißtreibenden Mitteln, Auftragen von Salben und Ölen und das Auf- und Ausschneiden von Pestbeulen und das Ausräuchern der Krankenzimmer. Daneben wurden bereits seuchenhygienische Maßnahmen ergriffen, wie Quarantäne und Isolierung.

Die Pestärzte trugen teilweise spezielle Schutzkleidungen mit Masken (im 16. und 17. Jahrhundert).

Im Übrigen gab es zahllose irrationale Reaktionen, weil die Menschen dem Geschehen völlig hilf- und verständnislos gegenüberstanden: So entstanden Pestblätter mit Gebeten und Holzschnittillustrationen von Pestpatronen, wie Rochus und Christophorus.


Nun aber zur Pest in Achim im Jahre 1712 und den Folgen

Wie war die politische Großwetterlage jener Zeit?
Seit dem Ende des 30-jährigen Krieges gehörten weite Teile Norddeutschlands zum Königreich Schweden, der protestantischen Groß- und Schutzmacht. Sogar das traditionelle Amt des Achimer Gohgrefen wurde von 1648 bis 1694 von vier Angehörigen des schwedischen Adelshauses von Königsmarck ausgeübt. Dem alten Haudegen Feldmarschall und Generalgouverneur Hans Christoph Graf von Königsmarck (1648 - 1663) folgten seine Söhne, der Generalmajor und Vizegouverneur Konrad Christoph Graf von Königsmarck (1663 - 1672), und der Feldmarschall Otto Wilhelm Graf von Königsmarck (1672 - 1686) sowie sein Enkel Philipp Christoph Graf von Königsmarck (1686 - 1694), der nach einer außerehelichen Liaison mit der hannoverschen Kurprinzessin Sophie Dorothea unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Nachfolger im Amt des Gohgrefen wurde der schwedische Etatsrat in Bremen Christoph Heinrich von Weissenfels. Nur von 1675 bis 1679 geriet Achim während der Reichsexekution gegen Schweden unter katholischen Einfluss des Bischoffs von Münster, die sogenannte Münstersche Zeit. Die Herzogtümer Bremen und Verden waren von den Truppen des Bischoffs von Münster besetzt, die Chronisten bezeichnen diese Jahre einhellig als schrecklichste jener Jahrzehnte.3)

Schwedens Herrschaft in Norddeutschland ging dann zu Beginn des 18. Jahrhunderts infolge des Großen Nordischen Krieges Schwedens gegen Dänemark, Rußland, Sachsen-Polen und andere (1700 bis 1721) zuende. Lediglich Stade als Festungs- und Residenzstadt war von den Schweden nicht kampflos aufgegeben worden. Nach langem Beschuss durch den dänischen Kriegsgegner fiel Stade schließlich am 6. September 1712 und wurde von den Dänen zusammen mit weiten Teilen des Herzogtums Bremen besetzt. Ebenfalls im Jahre 1712 waren das Herzogtum Verden und aus dem Herzogtum Bremen das Amt Ottersberg vom hannoverschen Kurfürsten Georg Ludwig besetzt worden, und zwar sogar mit Zustimmung des schwedischen Generalgouverneurs. Das hannoversche Bestreben, die unter schwedischer Herrschaft stehenden Herzogtümer auch gegen den Widerstand des dritten Interessenten Dänemark in welfischen Besitz übergehen zu lassen und damit Hannovers Einflussbereich an die Mündungen von Elbe und Weser auszuweiten, wird mehr als deutlich. Nach der Besetzung Verdens durch Hannover (1712) erfolgten nach zähen Verhandlungen mit den Beteiligten der Kauf des Herzogtums Bremen von den Dänen (1715) für rund 800.000 Reichsthaler und schließlich der endgültige Erwerb beider Herzogtümer von den Schweden (1719) für 1.090.000 Reichsthaler. So wurden auch die Achimer zu Hannoveranern, besser zu Untertanen des Kurfürsten von Hannover, wie der Volksmund den welfischen Kurfürsten von Braunschweig-Lüneburg nannte.

Achim befand sich also im Jahre 1712 im Spannungsverhältnis zwischen Machtansprüchen Schwedens, Dänemarks und des erstarkenden Kurfürstentums Braunschweig-Lüneburg (Hannover) unter dem welfischen Kurfürsten Georg Ludwig, der 1714 in Personalunion als Georg I. König von Großbritannien war. Eine Zeit des Umbruchs im europäischen Staatensystem.


Wie kam die Pest nach Achim?
Als Folge der militärischen Truppenbewegungen während des Nordischen Krieges wurde die Pest im Sommer 1709 in Ostmitteleuropa eingeschleppt 4). Betroffen waren bereits Preußen, Polen und Pommern, am stärksten Danzig und Königsberg. In Danzig sollen vom 24. August bis zum 21. September 1709 9.612 Menschen gestorben sein. Per Ratsverordnung vom 18. August 1709 durften nur Fremde und Güter nach Bremen kommen, für die durch schriftlichen Nachweis belegt ist, dass sie aus von der Pest nicht heimgesuchten Orten kamen. Diese Bestimmungen wurden aber offenbar wenig beachtet oder kontrolliert.

Der Rat der Stadt Bremen wiederholte die Verordnung daher am 22. Januar 1710 in verschärfter Form. Beim Bremer Pestforscher Klaus Schwarz lesen wir:
"Jeder Fremde müsse einen Gesundheitspaß vorlegen. Juden, Zigeuner "und anderes Gesindel" sollten gänzlich ausgeschlossen bleiben, alte Kleider, Bettzeug, Haare, Rauch- und Pelzwerk, Wolle, Flachs und Hanf sowie Federn, in denen die Seuche leicht haften und fortgepflanzt werden könne, seien besonders zu beachten. - Aber die Erfahrung lehrte, dass die Pest im Winter ihren Schrecken verlor. So blieb die Beachtung der Bestimmungen in der Öffentlichkeit weiterhin begrenzt. Sie wirkten eher wie eine Pflichtübung des Rates zur Beschwichtigung Auswärtiger."

Im Sommer 1710 kamen aber erneute Hiobsbotschaften aus Hinter- und Vorpommern, Polen, Preußen und Schlesien. Die schwedische Regierung der Herzogtümer Bremen und Verden stationierte Ende November 1710 Postierungen zum Schutz der Herzogtümer in Vegesack, Hastedt, Achim, Langwedel, Scheeßel und Verden 5). Die Posten sollten Reisende, Händler und fahrendes Volk kontrollieren und Gesundheitspässe prüfen. Am 3. Dezember 1710 beging man in Bremen einen Fasten-, Buß- und Bettag, da "man Ursache hätte, Gott alle Strafen abzubitten und demselben in die Ruhte zu fallen." Es hat aber nichts genützt.

Am 18. September 1711 wurde in Bremen bei Leib- und Lebensstrafe die Beherbergung verdächtiger Fremder verboten und am 12. Oktober 1711 der Ausschluss von Lumpen und alten Kleidern vom Verkauf auf dem Freimarkt angeordnet. Bei Klaus Schwarz lesen wir:
"Juden, die über die Elbe gekommen waren, sollten von ihm ebenso ferngehalten werden wie Bettler, Bestrafte und Deserteure, nicht jedoch Ochsenhändler und Kramer aus unverdächtigten Orten. Federn, Bettzeug, Wolle und Hanf mussten vor der Hereinbringung genau untersucht werden. Um den während der Freimarktzeit stark anschwellenden Zustrom von Fremden und Gütern unter Kontrolle zu halten, hatten alle Ratsherren im Wechsel am Oster-, Ansgari-, Bunten- und Hohentor Aufsicht zu führen. Die übrigen Stadttore blieben Auswärtigen verschlossen."

In Dänemark war die Pest zwischenzeitlich ausgebrochen. 1711 grassierten in Bremen dafür die Pocken!

Die Handelsbeschränkungen und die Quaratänezeiten für Schiffe behinderten ganze Wirtschaftszweige. Und die Pest kommt näher! Im Juli 1712 hatte sie das Westufer der Elbe erreicht und in Stade, der schwedischen Residenzstadt, gewütet. Stade und Holstein wurden vom Verkehr mit Bremen ausgeschlossen.

Ab 31. Juli 1712 nutzten die Dänen die Schwächung Schwedens durch die Pest, überschifften die Elbe und leiteten damit die Besetzung der schwedischen Herzogtümer Bremen und Verden ein. Am 4. August 1712 reagierte der zweite Interessent auf schwedisches Gebiet: Georg Ludwig, Kurfürst von Hannover ließ seine Truppen vom Süden her in das Verdener Gebiet bis zur Wümme vorrücken unter dem Vorwand, er wolle nur das eigene Territorium vor der Seuche schützen! Die Dänen waren sehr verärgert, dass Hannover den Eindruck erwecke, in der dänischen Armee herrsche die Pest, der Kurfürst solle mit der üblen Nachrede aufhören.

Und die Pest kommt näher!

Die hannoversche Regierung - nach der Besetzung weiter Teile der Herzogtümer Bremen und Verden einschließlich Achims jetzt zuständig für den Schutz des Landes vor der Seuche - war zu schwach, um ein Vordringen der Pest über Stade hinaus über die Wümme hinweg zu verhüten.

In Achim waren vom 31. Juli 1712 bis zum 17. August 1712 die Frau eines Häuslings und seine vier Kinder verstorben. Dabei handelt es sich um die Familie des Häuslings Arend Wacker: Erstes Pestopfer in Achim war die 13-jährige Anna Margaretha Wacker, die am 31. Juli 1712 begraben wurde. Ihr folgten am 13. August 1712 ihre Schwester Maria, 2 Jahre alt, am 15. August 1712 die 11-jährige Schwester Lucca, am 17. August 1712 die 6-jährige Schwester Beka sowie die 40-jährige Mutter Cecilie Wacker, des Häuslings Arend Wackers Ehefrau. Am 27. August 1712 wurde die 70-jährige Witwe Anna Wacker, des Häuslings Mutter, beerdigt "mit Gebet bey dem Grab im Sand, bey der Mül", wie es im Achimer Kirchenbuch heißt 7).

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