Beruf / Stellung Baumann Köthner Sonstige / Pastoren Häusling / Handwerker Kuhhirte nicht zuzuordnen
Anzahl der betroffenen Familien 2 2 2 8 1 Rest
Zahl der Pesttoten 3 6 2 24 3 8

Waren die weniger Privilegierten mehr von der Ansteckungsgefahr betroffen? Waren möglicherweise Wohnungs- und hygienische Verhältnisse (Ratten-, Flohverbreitung) entscheidend? Waren verstärkte Kontakte zwischen den Familien der weniger privilegierten Schichten von Bedeutung für die Verbreitung der Pest?

Fest steht nur eines, die Krankheit machte vor niemandem halt!

Sogar die Familie des damals in Achim amtierenden Pastors war betroffen:

Schlichthorst 13) lobt den Pastor Johann Helfrich Willemer, der sich offenbar vorbildlich um die Pestopfer kümmerte.

Windel 14) beschreibt den Pastor unter Verwendung von Schlichthorsts Angaben folgendermaßen:

"M. Johann Helfreich Willemer wurde den 16. Octobr. 1651 zu Frankfurt am Mayn geboren. - Nach der Angabe seines erreichten Alters im Kirchenbuche, wäre sein Geburtstag der 26. October gewesen. Der Familienname ist von ihm selbst stets Willimer geschrieben; erst sein Sohn hat sich, wie noch jetzt die Familie, "Willemer" genannt. - Bernhard Willemer, ein Bürger u. Bäckermeister daselbst, u. Maria Margaretha Thomä, eines Frankfurtischen Predigers Tochter, waren seine Eltern. In dem Gymnasio zu Frankfurt wurde er zur Academie vorbereitet. Er hatte damals schon einen vertrauten Umgang mit dem berühmten Dr. Spener, stand auch nachher mit demselben in fleißigem Briefwechsel. Seit dem Jahre 1671 studirte er zu Wittenberg, wo er bei Quenstedt einige Jahre im Hause u. am Tische war. Ao. 1767 erhielt er daselbst unter Schurzfleischens Decanat die Magisterwürde u. Ao. 1679 im October ist er Adjunctus der philosophischen Facultät daselbst geworden u. hat verschiedene philosophische u. philologische Collegia daselbst gelesen. Ao. 1681 wurde er von der Königl. Schwed. Regierung zum Conrector an der Königl. Domschule in Bremen berufen. Den 29. Januar 1683 hat er sich mit Arend Mehnens, eines Bremischen Bürgers Tochter, Margaretha, verehelicht, aus welcher Ehe er 10 Kinder sah. Der älteste Sohn, Johann Daniel, der 3 Jahre in Wittenberg, u. 2 Jahre zu Greifswalde studirt hatte, Ao. 1710 in Stade war examinirt und inter Candidatus Ministerii aufgenommen worden u. von seinen Reisen ins Reich eben wieder zurückgekommen war, starb den 24. Octobr. 1712, u. es mußte der Vater ihm, weil Achim damals der Pest wegen gesperrt war, selbst die Leichenpredigt halten. Ao. 1691 wurde er von dem Conrectorate zu Bremen ab u. zum Pastorate in Achim berufen. Zu dieser Zeit wurde, wie schon oben bemerkt, das noch übrige fünfte Fach der Kirche gewölbt, eine Orgel angeschafft, ein Wittwenhaus erbaut, u. sonst viel Gutes durch ihn gestiftet. Er starb den 22. Nvbr. 1729 alt u. Lebenssatt, nachdem er 10 Jahre vorher noch das Vergnügen hatte, daß ihm sein Sohn, Christian Hinrich Willemer, auf Fürbitte der ganzen Gemeinde adjungirt worden war. Sein zweiter Vorname soll eigentlich Helvius gewesen sein, weil er sich selbst zuerst Helwig, nachher Helfrich schrieb. Er verwandelte ihn nachmals in Helfreich, um dadurch seine Bereitwilligkeit, Jeden nach Vermögen zu helfen, an den Tag zu legen. Dieses bewies er auch, als die Pest im Jahre 1712 in Achim viele Menschen wegraffte. Er zeigte sich dabei als ein eifriger Seelsorger, Tröster u. Pfleger der Kranken u. setzte sich muthig den größten Gefahren aus, ohne indessen selbst angesteckt zu werden. Er hatte den herrlichen 91sten Psalm, u. insbesondere die trostvolle Stelle:
"Daß du nicht erschrecken müssest vor der Pestilenz, die im Finstern schleichet, vor der Seuche, die am Mittage verderbet; ob tausend fallen zu deiner Seite u. zehntausend zu deiner Rechten, so wird er doch dich nicht treffen."
im Herzen und Gemüthe u. durfte deshalb sich nicht fürchten."

Weiter führt Windel 15) aus:

"Zur Zeit wie in Achim die Pest wüthete, im Jahre 1712, soll sich ein Chirurgus namens Bartels hier befunden haben. Derselbe soll seine Pestkranken, wie damaliger Zeit bei Behandlung von Pestkranken noch üblich, in einem Anzuge von Wachstuch, worin nur Öffnungen für die Nase u. Augen gewesen, besucht haben, so daß der derzeitige hiesige Pastor, M. Joh. Helfreich Willemer, ein jovialer Mann, der stets die Pestkranken in seinem gewöhnlichen Anzuge, hellgrauen Rock mit schwarzen Aufschlägen, besucht hat, ihn ausgelacht u. gesagt hat: "Seht den Narren mal, er will sich vorm lieben Gott verstecken."


Wo wurden die Pesttoten beerdigt?
Ist schließlich noch die Frage zu stellen, wo die Pesttoten außerhalb des ordentlichen Friedhofes bei der Kirche beerdigt wurden. Soweit dazu Angaben im Kirchenbuch vorhanden sind, ergeben sich folgende 9 Plätze:

In folgender Anzahl wurden Pesttote nach den - lückenhaften - Kirchenbuchangaben an folgenden Plätzen beerdigt:

im Sand bei der Achimer Mühle (Pestfriedhof) im Garten Curd Wends im Sand an dem Achimer Bruch in Frau Parischin Garten in Henrich Puvogels Wiesen bei Achim in Henrich Lüllmanns Garten im Sand nahe bei der Scheune Christian Ludwig Oelkers unweit Herrn Dargemers Haus im Garten Hermann Mindermanns
10 Personen 1 Person 1 Person 1 Person 1 Person 6 Personen (einschl. Henrich Lüllmann) 6 Personen 1 Person 2 Personen

Relativ eindeutig zu lokalisieren sind der Pestkirchhof bei der Achimer Bock-Mühle und im Achimer Bruch, der sich auch im Verzeichnis der Flurnamen im Landkreis Verden 13) findet. Auch eine alte Karte im Stadtarchiv Achim aus dem Jahre 1818 bezeichnet ein Flurstück an der Achimer Mühle als "Pestkirchhof".

Die Übrigen wurden möglicherweise doch auf dem Friedhof bei der St. Laurentius-Kirche beerdigt oder deren Begräbnisstätte wurde nicht verzeichnet. So sind dem Stadtarchiv Achim Knochenfunde außerhalb des Friedhofs an der Friedhofsmauer bekannt. Die Scheune Christian Ludwig Oelkers, des damaligen Wirtes von "Gieschens Gastwirtschaft", dürfte im Bereich des Speichers Scherf gelegen haben.

Auffällig ist, dass die Kirchenbuch-Angabe über den abweichenden Grabplatz "mit Gebet bey dem Grab im Sand, bey der Mül", erstmals am 27. August 1712 beim Begräbnis von Anna Wacker auftaucht, nachdem ihre vier Enkeltöchter und ihre Schwiegertochter bereits an der Pest gestorben und in der Zeit vom 31. Juli bis zum 17. August 1712 beerdigt worden waren.

Nachdem in weiten Teilen Europas die Pest bereits seit längerem wütete, erscheint es unwahrscheinlich, dass das Hinraffen einer ganzen Familie nicht sofort mit dieser Seuche in Zusammenhang gebracht worden ist.

Vielmehr ist anzunehmen, dass die Todesursache wegen der befürchteten schlimmen Folgen für das Dorf - Absperrung, Isolation, wirtschaftliche Einbußen etc. - zunächst verschleiert werden sollte (vgl. Angaben von Klaus Schwarz, a.a.O., S. 36).

Von den Pesttoten lässt sich anhand der Kirchenbucheintragungen für den Zeitraum vom 25. Juli bis zum 31. Dezember 1712 - soweit angegeben - folgende Altersstruktur ermitteln:

erreichtes Alter im Todeszeitpunkt bis 10 Jahre alt bis 20 Jahre alt bis 30 Jahre alt bis 40 Jahre alt über 40 Jahre alt
Anzahl der Pesttoten 15 9 3 1 12

Auffällig ist doch, dass vor allem Kinder und ältere Menschen zu den Pesttoten zählen. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass Erwachsene mit stärkeren Abwehrkräften sich offenbar weniger infizierten oder aber die Krankheit überstanden. 28 Tote sind weiblichen, 22 männlichen Geschlechts.


Verlauf der Epidemie in Achim:

1. Ende Juli 1712: Ausbruch
Auf welche Weise die Pest eingeschleppt wurde, ist nicht bekannt. Möglich wäre, dass Familie Wacker private oder geschäftliche Kontakte zu Pestkranken jenseits der Wümme oder in Stade hatte oder dass die Pest von infizierten einquartierten oder auch durchreitenden schwedischen oder dänischen Soldaten eingeschleppt wurde oder dass der Erreger mit eingeführten Waren o.ä. nach Achim kam. Möglich ist auch, dass über die Poststation in Achim, die auf der Strecke von Bremen nach Stade angesteuert wurde, die Pest in Achim eingeschleppt wurde. Bemerkenswert ist, dass nach den Schilderungen des Achimer Arztes Dr. Windel der Sohn des Pastors Willemer, Johann Daniel, "von seinen Reisen ins Reich eben wieder zurückgekommen war" und am 24.Oktober 1712 an der Pest verstarb. Dass er die Pest vielleicht aus Stade, wo er 1710 examiniert war, nach Achim eingeschleppt haben könnte, ist aber unwahrscheinlich. Die ersten Pesttoten gab es in Achim bereits Ende Juli 1712, Johann Daniel Willemer starb aber erst Ende Oktober 1712.

2. Im Hochsommer und Herbst 1712: grassierende Ausbreitung und Höhepunkt.

3. Und mit Beginn des Winters 1712 - wie auch anderswo zu beobachten -: Abebben und Ende der Epidemie in Achim.

Monat Juni 1712 Juli 1712 August 1712 September 1712 Oktober 1712 November 1712 Dezember 1712 Gesamt 1712
Anzahl der begrabenen Pesttoten in Achim 0 1 10 14 19 4 3 51

Fazit und Zusammenfassung:

Meine einleitend formulierte These

"Die Pest bedeutet unvorstellbares Leid für die betroffenen Familien und Ortschaften und verursachte oder begünstigte oftmals politische Veränderungen oder gar Umwälzungen"

lässt sich auch für das Jahr 1712 im Raum Achim und Umgebung belegen:

  • Ganze Familien wurden in Achim ausradiert, ihre Häuser ausgeräuchert oder abgebrannt. Rund 1/6 der Achimer Bevölkerung ging zu Grunde. Wirtschaftliche Schäden waren sicherlich gravierend, aber nicht belegbar.
  • Die Dänen konnten infolge der Auseinandersetzungen im Nordischen Krieg die durch die Pest geschwächte schwedische Besatzung der Herzogtümer Bremen und Verden verdrängen.
  • Schließlich war die Pest wiederum Vorwand für den Kurfüsten von Hannover, seine Truppen in die Herzogtümer Bremen und Verden einmarschieren zu lassen, um die dänischen Besatzer, die als angebliche Verbreiter der Pest hingestellt wurden, zurückzudrängen. 16)

Letztlich ist somit die Zugehörigkeit Achims mit den Herzogtümern Bremen und Verden zum Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg ("Hannover"), später zum Königreich Hannover eine indirekte Folge der Pest der Jahre 1710 bis 1713.

Anmerkungen:

1) vgl. Köster-Lösche, Kari: Die großen Seuchen. Frankfurt am Main 1995, S. 18f.

2) "Die Welt" vom 8.6.1999

3) vgl. Korte, Horst: Geschichte der Stadt Achim und ihrer Ortsteile. Teil 2: Achim in der Schwedenzeit. Bremen: Edition Temmen. 1997, S. 47 ff.

4) vgl. Schwarz, Klaus: Die Pest in Bremen. Bremen 1996, S. 19

5) Schwarz, a.a.O. S. 21

6) Schwarz, a.a.O. S. 22

7) "Kirchenbuch III 1691 - 1748: Begrabene bey der christl. Kirch in Achim"

8) Schwarz, a.a.O. S. 35 f.

9) Schwarz, a.a.O. S. 50

10) Korte, Horst, a.a.O. S. 103

11) Windel, Dr. med.: Das Gohgericht Achim. Bremen: Edition Temmen 1993., S. 47 f.

12) Kirchenbuch a.a.O.

13) Schlichthorst, H.: Beyträge zur Erläuterung der älteren und neueren Geschichte der Herzogtümer Bremen und Verden, Erster Band, Hannover 1796, S. 61 f.

14) Windel, a.a.O., S. 47 f

15) Windel, a.a.O. S. 48

16) vgl. Schwarzwälder, Herbert: Geschichte der Freien Hansestadt Bremen, Bd. I: Bis zur Franzosenzeit (1810), S. 413 ff, S. 428 ff.

zur Pest in Stade: vgl.: Bode: Die Pest in Stade, Stade 1906.

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