Alles im Fluss
Läufe der Weser und Aller im Laufe der Jahrhunderte
von
Karl Heinz Hildebrandt

"Panta rhei" - alles im Fluss - sagte der altgriechische Philosoph Heraklit und meinte den ewig sich wandelnden Fluss der Zeit. Man kann es auch so deuten, dass nichts so bleibt, wie es einmal war. Umgekehrt, alles war früher anders, als es sich heute darstellt. Bezüglich des Flusses vor unserer Haustüre, der Weser also, erhebt sich daher die Frage, wo floss sie früher, wie sah das Flussbett aus. Welche Lebensumstände hat sie bedingt?

Suchen wir zunächst eine Antwort auf die Frage, ob die Weser früher auch tatsächlich Weser hieß? Die Antwort lautet wie ein Witz von Radio Eriwan: Es ist zutreffend, dass jenes Wasser, das bei Ihnen vorbeifließt, heute "Weser" heißt, aber sein richtiger Name ist "Werra" und dann ist es auch nicht die Werra, sondern die Aller. Nur weil die Werra mehr Wasser führt als die Aller, sagt man heute, dass die Aller in die Weser fließt, das ist aber falsch. Das Flussbett gehört der Aller und nicht der Weser. Gehen wir doch diesen Behauptungen auf den Grund.

Die Römer nannten die Weser "Visurgis". In 852 findet sich in den Jahrbüchern des Klosters Fulda die Eintragung "... Visurgis, die Neuen aber Wisuracha nennen." Die Endung "... acha" bedeutet "... Wasser". Die Erklärung "Wiesenfluss" ist nicht mehr als ein Deutungsversuch. Die Kurzform "Wisura" ist dann in den ältesten überlieferten Urkunden die einheitliche Bezeichnung der Weser von der heutigen Werra-Quelle im Thüringer Wald bis zur Mündung in die Nordsee. In 1016 wird die Weser "Wirra" genannt. Die Sprachentwicklung jener Zeit brachte es mit sich, dass im Wort "Wisura", in dem die Betonung auf der ersten Silbe lag, das "u" fortfiel und "s" zu "r" wurde. Diese Entwicklung fand aber nur am Oberlauf der Weser statt. Der bekannte Vers auf dem Findling in Hannoversch-Münden am Zusammenfluss von Werra und Fulda ist also ein Trugschluss. Die in den Raum der Weser eingefallenen Sachsen haben sprachlich den Anschluss an die übrigen germanischen Stämme einfach nicht gefunden. Während "Werra" aus "Wirra" erstmalig 1319 nachweisbar ist, erscheint die Namensform "Weser" etwas später im Jahr 1357.

Bohrungen im Raum Bremen haben ergeben, dass im Tertiär zwar ein Strom durch diese Gegend geflossen ist, dies aber nicht die Ur-Weser war. Es wurden nämlich keine Gerölle aus Thüringen festgestellt. Demnach kann dieser Strom nur die Ur-Aller gewesen sein.

Die Ur-Weser floss offensichtlich durch die Porta den Nordrand des Wiehengebirges entlang in Richtung auf das heutige Ijsselmeer. Als die Gletscher der 2. Eiszeit die Porta verstopften, floss sie wohl durch das Längstal zwischen Wiehengebirge und Teutoburger Wald.

Die aus der Gletscherfront hervortretenden Schmelzwasserbäche des zurückweichenden Eises flossen nach Nordwesten ab. Mit ihnen vereinigten sich die Flüsse aus den Mittelgebirgen. So entstanden die Urstromtäler.

Das am weitesten südlich gelegene Urstromtal reicht von der mittleren Oder über den Mittellauf der Elbe bis zur Wesermündung. Wo heute Hoya liegt, nahm dieser Aller-Urstrom die Weser auf, die, nachdem sie die Porta wieder freigeräumt hatte, dann bei Nienburg die Geest durchbrach.

Die spät- und nacheiszeitlichen Winde wehten in der vegetationslosen Landschaft die Dünen zwischen Verden und Bremen auf. Die Geestrücken von Delmenhorst und Vegesack engten das Urstromtal derart ein, dass, als auch noch die Schmelzwasser von Hamme und Wümme hinzukamen, die Weser zunächst in Richtung des heutigen Jadebusens abfloss. In der Nähe Helgolands traf die Weser auf die damalige Elbe.

Als die Flut der Schmelzwasser versiegt war und sich der Wasserspiegel der Nordsee erhöht hatte, bildete sich der heutige Mündungstrichter der Weser heraus, nachdem die Einengung der Geestrücken am Nordrand des Bremer Beckens kein wesentliches Hindernis mehr darstellte.

Träge geworden in einem zu großen Flussbett, fing die Weser nunmehr an zu mäandrieren. Weil sie immerhin das meiste Wasser herbeischaffte, gab sie dem gemeinsamen Unterlauf den Namen. Die Aller wurde Nebenfluss.

Mäander, nach einem anatolischen Fluss, der heute Menderes heißt, ist der wissenschaftliche Name einer Flussschlinge. Diese entsteht durch die Dynamik des Fließvorganges. Das Streben nach Gleichgewicht zwischen der Bewegungsenergie des Gewässers und dem Bodenwiderstand führt zum Pendeln des Stromanstrichs. Daher verändern sich die Flussläufe ständig und es bilden sich halb- bis vollkreisförmige Mäander. Kennzeichnende Formen sind flache Gleitufer und gegenüberliegende steile Prallufer. Wird ein Schlingenhals durchstoßen, bleibt der ehemalige "Talsporn" als "Umlaufberg" stehen. Es entstehen Altwasserarme.

Theodor Müller hat in seinem Werk "Das Amt Thedinghausen", das 1928 herausgegeben wurde, akribisch das Mäandrieren der Weser in unserem Raum nachvollzogen. Auf einem Messtischblatt im Maßstab 1:25.000 kann anhand seiner Beschreibung und mit Hilfe der Flurnamen die unaufhörliche Veränderung des Flussbettes verfolgt werden. Von Bedeutung für die Gegenwart sind jene Mäander, die nachhaltig auf unsere Vorfahren gewirkt haben und daher in der Geschichtsschreibung feststellbar sind.

Geologische Karte des Weserurstromtals

Das Amt Thedinghausen

Die alten Weserläufe

Zeichnungen aus: Theodor Müller, Das Amt Thedinghausen, Thedinghausen 1928. Ein Klick zum Vergrößern.

Es ist anzunehmen, dass um das Jahr 1000 die toten Arme, die sich heute am Fuße der Geest entlang ziehen und gemeinhin als "alte Aller" bezeichnet werden, der Lauf der Weser waren. Denn damals waren die Dörfer Hagen und Grinden in Lunsen eingepfarrt. Um 1300 gehören beide Dörfer zum Gogericht Achim, liegen also auf dem rechten Ufer der Weser. In der Zeit dazwischen schuf sich demnach die Weser das um Schogrinden ziehende Bett. Eine Folge war, dass bis zur Separation die Bauern in Ahsen, Oetzen und Nottorf ihre Kuhweide am jenseitigen Ufer der Weser hatten.

Überhaupt bildete die Weser in alter Zeit die Grenze zwischen den Gogerichten Lunsen und Achim. Suchte sich nun der Fluss ein neues Bett, so behielt die "alte Weser" ihre Bedeutung als Grenze bis zur Einigung der betroffenen Parteien. So diente eine Beschreibung des "Grenzverlaufs" aus dem Jahre 1574 der Klarstellung der Besitzansprüche: Jene Grenze zog weseraufwärts von Schlieme her, an Bollen vorbei, bis zum "scharfen Ufer", um dann der heutigen "alten Eyter" zu folgen, die bis zur Finkenburg den Mullwerder begrenzt und dann in einem weiten Bogen auf Thedinghausen zu zieht. Den Verlauf von der Mühlenkuhle bis nach Lunsen kennzeichnet heute der Sommerdeich, die tiefe Senke westlich Lunsen trägt noch den Flurnamen "Alte Weser". Dann floss die Weser nördlich an Lunsen vorbei auf Achim zu, an Werder vorbei, um in einem weiten Bogen nach Osten um das Grindeswerder herum bei Streek den späteren Hauptstrom zu erreichen. Der beschriebene Weserlauf wird also 1574 als "alte Weser" bezeichnet, während er seiner Bedeutung als Grenze nach früher der Hauptarm gewesen sein muss. Dies geht auch aus der Tatsache hervor, dass der Weserzoll für durchfahrende Schiffe sich bis 1611 in Eißel befand und dann erst nach Intschede verlegt wurde. Die "alte Weser" verlandete allmählich. Die tieferen Stellen sind nur noch an der Flurbezeichnung "See" zu erkennen. Bis 1691 galt immerhin die Steuerfreiheit der Finkenburg, wo die Fähre über den Fluss betrieben worden war. Als 1719 die neue Eyter angelegt wurde, um eine bessere Entwässerung des Bruches zu erreichen, benutzte man von Thedinghausen ab den alten Weserlauf als Eyterbett. Die Frage, ob nun die alte oder die neue Weser die Grenze ist, führte im Bereich des Hofes Schlieme zu Streitigkeiten zwischen den Ämtern Syke und Achim bezüglich ihrer Dörfer Mahndorf und Ahausen zwecks Nutzung der Weiden.

Das heutige Flussbett der Weser hat sich also im 17. Jahrhundert herausgebildet. Die Veränderungen vollzogen sich allmählich und manchmal sehr zum Ärger der Anrainer. So wird für 1680 berichtet, dass die Wittsande bei Achim und Bierden, die vormals Inseln waren, nunmehr dem achimschen Ufer angewachsen wären. Desgleichen wird ein Werder als bader Kuhweide genutzt, obwohl es rechtlich zu Thedinghausen gehörte. Um 1690 musste das Wohnhaus des Gutes im Streek versetzt werden, da die Weser es mitzureißen drohte. Im 18. Jahrhundert versuchten die betroffenen Ämter durch Wasserbau Veränderungen vorzubeugen. Es wurden Schlachten angelegt, zunächst in den Jahre 1725-29 bei Ahsen und am scharfen Ufer, dann am Mullwerder. Nach Beilegung unvermeidlicher Streitigkeiten ist etwa um 1766 der ganze Weserlauf mit Schlachten versehen. Sie halten zwar das Mäandrieren auf, bewirken aber eine Vertiefung des Stromstrichs, die sich wiederum als Erosion des Flussbettes auswirkt.

Das Bewusstsein, ein Fluss sei ein dem Gemeinwohl dienender Verkehrsweg, hat sich erst sehr spät entwickelt. Die Eigentümer der Ufergrundstücke hielten lange nichts von der Schifffahrt, weil das Schiff ihre Rechte stören könnte. Nun muss das Schiff, wenn es stromaufwärts fahren will, aber keinen eigenen Antrieb hat, notgedrungen getreidelt werden, also vom Ufer aus gezogen. Ob mit menschlicher Muskelkraft oder Pferdestärke, die Eigentümer des Treidelpfades fühlten sich betroffen. Als die Interessen der Schiffer noch durch Gilden wahrgenommen wurden, führte dies zu umständlichen Verhandlungen mit den Grundbesitzern, die sich häufig weigerten, wegen der Flurschäden den Pferdezug zuzulassen. Nach mehreren Anläufen kam es 1696 zu einer Konferenz der Weser-Uferstaaten in Hameln. Die Vorstellung durchgehender Treidelwege fand aber keinen Anklang. Zu verschieden waren die lokalen Interessen. In Hannover opponierten die Ämter Hoya und Nienburg. In 1746 widersetzte sich das Gohgericht Achim dem Ansinnen der Landesregierung einheitlich in Hannover den Pferdezug zu gestatten, indem es auf die Beschäftigung der Häuslinge im Leinenzug hinwies. Als nach der Franzosenzeit bremer Schiffer versuchten, an Achim vorbei mit Pferden zu treideln, rotteten sich dort die Bauern zusammen. Nur der Einsatz von Militär verhinderte den blutigen Zusammenstoß der Opponenten. Ein Ende fand dann der Streit mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt. Im Jahre 1856 wurde ein letztes Mal weseraufwärts getreidelt.

Zur für die Mittelweser bedeutsamen wirtschaftlichen Tätigkeit seien folgende Informationen gegeben: Der Leinenpfad wechselte zwischen Bremen und Hann. Münden 26mal das Ufer. Sogenannte Überfälle gab es bei Dreye, Intschede, Hutbergen, Oister Ort, usw. In Bremen durften die Pferde nur aus den Dörfern Habenhausen und Arsten bezogen werden. Von Dreye bis Hoya begleiteten Achsmänner den Zug. Sie hatten darauf zu achten, dass die Treidelpferde nicht die Wiesen betraten bzw. neben dem Pfad grasten. Die Leinen durften nicht schleifen, sondern mussten an Bord über einen Bock laufen. Um dies zu überwachen war ein Leinenreeper anzustellen. Ein mittleres Frachtschiff benötigte rund 40 Zieher oder 8 Pferde. Von Bremen nach Hann. Münden wurden mit Ziehern 30, mit Pferden 18 Tage gerechnet. Zu Tal trieb das Schiff in der halben Zeit. Im Raum Bremen-Hoya wurden 1818 14 bremische und 51 hannoversche Pferdehalter gezählt, von denen 1584 Vorspannpferde angefordert wurden. Auch an Aller und Leine wurde getreidelt.

Im Juli 1964 schwamm das letzte kommerzielle Floß weserabwärts über Mittellandkanal und Ems nach Papenburg.

Noch 1947 gab es etwa 20 auf der Weser tätige Flößereiunternehmungen, die damals rund 44.000 Festmeter Holz verflößten. Ein "Holzhafen" war in Bremerhaven 1877 angelegt worden, verbunden mit Geeste und Weser über einen Kanal.

Der große Holzbedarf der Städte führte früh zu einer Auszehrung und Verwüstung der stadtnahen Wälder. Einer uneingeschränkten Nutzbarmachung entferntest gelegener Holzvorräte stand aber die Unzugänglichkeit der meisten Waldgebiete entgegen.

Die Trift, d.h. die Beförderung unverbundenen Holzes auf dem Wasserweg, war im Stromgebiet der Weser vor allem auf deren Nebenflüssen im Bergland verbreitet.

Die Langholz- oder auch gebundene Flößerei ist älter als die Trift. Verbreitet war diese Form des Holztransportes nicht nur auf der Weser selbst, sondern auch auf Fulda, Werra, Aller und Leine sowie auf einer großen Zahl von Nebenflüssen.

An all diesen Flüssen gab es zahlreiche Einbindestellen. Auf der Strecke von Münden bis Karlshafen befanden sich etwa 30 Stellen auf beiden Uferseiten.

Die Größe der Flöße wurde allmählich reduziert, da die Schifffahrt sich des öfteren behindert fühlte. Ab Allermündung durfte sie schließlich 12 m Breite und 100 m Länge nicht überschreiten. Beachtenswert ist, dass bei Erreichen des Rheins gewöhnlich 4 Weserflöße zu einem einzigen Rheinfloß zusammengebunden wurden.

Im 20. Jahrhundert wurden im wesentlichen Stammholzflöße aus Nadelholz eingebunden. In früheren Jahrhunderten hatte der Schiffbau einen großen Bedarf an eichenen Bauhölzern. Das Nadelholz war dann der Schwimmkörper für die Eichen, da diese nur so an der Oberfläche gehalten werden konnten.

Daneben gab es reine Bretter- oder Dielenflöße.

Im frühen 20. Jahrhundert kam es zur großräumigen Verknüpfung der natürlichen Wasser durch künstliche. Der Mittellandkanal öffnete den Weg ins Ruhrgebiet. Dort wurden zum Abtäufen der Bergwerke enorme Holzmengen benötigt.

Die Zahl der Anrainerstaaten wechselte bis 1871 mehrfach. 1841 teilten sich das Flussgebiet der Weser acht Staaten, die Weser selbst hatte fünf Anrainer. Die Zölle verlängerten nicht nur den Transport, sondern verteuerten auch die Waren.

An der Weser gab es im 18. Jahrhundert 20 Zollstellen. Mit Thedinghausen unterhalb der Allermündung als Zollstelle besaß Bremen eine Schlüsselposition. Für die Aller gab es schon im 14. Jahrhundert 5 Zollstellen. Mit der Weserschifffahrtsakte von 1823 wurde dann ein einheitlicher Zolltarif festgelegt, bis 1833 alle Zollschranken fielen.

Ein wesentliches Hemmnis waren die Stapelrechte, die einzelne Städte innehatten. Bedeutsam für die Flößerei war der Feilbietungszwang. Auf der Weser hatten Hann.-Münden, Minden und Bremen solche Rechte. Der Handel auf der Weser wurde also bis ins 19. Jahrhundert von mittelalterlichen Rechtszuständen geprägt.

Für die Versorgung des Mittelandkanals mit Wasser wurde in Minden ein Pumpwerk gebaut, das der Weser die zum Ausgleich von Versickerung, Verdunstung und Windabtrieb benötigte Wassermenge entnahm. Dieser Wasserverlust der Weser unterhalb Mindens konnte nur durch Aufstauen des Flusses ausgeglichen werden. Dies wiederum bedeutete die Kanalisierung der Mittelweser. Sie kam in Gang, weil nach 1933 die Reichsregierung zur Arbeitsbeschaffung nach baureifen Projekten suchte, die sofort angefangen werden konnten und bei denen eine größere Zahl Arbeitsloser Beschäftigung finden würde. Eine wirtschaftliche Diskussion des Vorhabens war nicht beabsichtigt. Allerdings kam die Kanalisierung der Mittelweser dem Wunsche Bremens entgegen, Anschluss an das Wasserstraßennetz des Reiches zu erhalten. Jedoch die Vorstellung, auch Binnenhafen zu werden, war in Bremen nicht sehr verbreitet, setzte man doch ganz vorwiegend auf Eisenbahnanschluss.

Mit dem Pumpwerk in Minden stellte der wasserärmste schiffbare Fluss Deutschlands die Wasserversorgung des größten Kanals in Europa sicher. Schon bei den Voruntersuchungen zur Planung des Kanals war offenkundig geworden, dass weder Lippe noch Ems in nennenswertem Umfang den Wasserbedarf des zukünftigen Kanals erfüllen konnten. Auch die Nutzung des wasserreichen Harzes erwies sich als ungenügend. Der Plan von 1899 sah eine Reihe von Staustufen von Minden bis Bremen vor, die alle zur Gewinnung elektrischer Energie herangezogen werden sollten. Schleusen waren für die Schifffahrt vorgesehen, wobei generell von einer Wassertiefe von 2,5 m ausgegangen wurde. Die letzte Staustufe Hemelingen war deshalb besonders wichtig, weil sie der fortschreitenden Erosion des Flussbettes Einhalt gebot, nachdem in Bremen die Entscheidung zur Vertiefung der Unterweser gefallen war. Als 1905 das preußische Gesetz über den Bau von Wasserstraßen verabschiedet wurde, war gleichzeitig das Startsignal zur Verwirklichung des Projektes gegeben.

Im Ergebnis wurden der Weser von 18 cbm/s in Minden 7 für den Kanal und in Hoya 6 für die Melioration der Landwirtschaft entnommen. Nicht unerheblich war auch der Effekt, dass mit den Staustufen den Hochwassergefahren besser begegnet werden konnte. Die Qualität des Weserwassers profitierte ebenfalls davon.

Der Kanal sollte von West nach Ost gebaut werden. O.a. Gesetz sah einen ersten Abschnitt bis Hannover vor. Ein Vertrag Bremens 1906 mit Preußen gewährte die Kostenbeteiligung der Hansestadt an der Kanalisierung der Mittelweser zum Ausgleich der Konzession einer Vertiefung der Unterweser auf 7 m.

Inzwischen hatte sich erwiesen, dass mit der Fertigstellung von Eder-und Diemeltalsperren nur 1/10 des Wasserbedarfs zur Sicherstellung der ganzjährigen Schifffahrt auf der Weser geliefert werden konnte. Wegen der Opposition betroffener Gemeinden wurde auf eine weitere Planung von Talsperren jedoch verzichtet.

Die Weser bei Baden

Die Weser bei Baden auf einer Ansichtskarte aus dem Jahre 1912. Der den Schifffahrtsweg verkürzende Kanal wurde erst nach dem 2. Weltkrieg fertiggestellt.

Der Mittellandkanal war 1918 über Hannover hinaus bis Peine gediehen einschließlich eines Zweigkanals nach Hildesheim. 1921 ging allgemein die Zuständigkeit für den Wasserbau auf das Reich über. 1926 wurde der Ausbau der Werra bis Eschwege zugunsten des Kali-Transportes beschlossen. Einen Schub für die Förderung des Gesamtprojektes war das Arbeitsbeschaffungsprogramm 1933. Mittel für die Staustufe Langwedel waren 1934 verfügbar. Ein Neubauamt Verden wurde gleichzeitig eingerichtet. 1936 wurde per Gesetz der Grunderwerb für die Zweigkanäle geregelt. Bis 1942 war der Bau der Staustufen weit fortgeschritten. Dann ruhte das Vorhaben bis zur Einrichtung der Mittelweser AG in 1952. Sie sollte bis 1968 die Baumaßnahmen abschließen. Aber schon 1960 stand der Schifffahrtsweg zur Verfügung. Damit war mit Unterbrechungen von 1906 bis 1968 an der Kanalisierung der Mittelweser gearbeitet worden. Dies erklärt die Planung langer Schleusenkanäle, da noch mit großen Schleppzügen gerechnet wurde. Das selbstfahrende Motorschiff setzte sich erst später durch. Im übrigen wurde die Nutzung der gewonnenen elektrischen Energie der Preußag übertragen. Wo noch möglich, wurde die Schleusenlänge von 350 auf 225 m verkürzt. Mit 7 Staustufen wurde im Endeffekt ein Gefälle von 32,5 m überwunden. Somit beträgt der hydrostatische Stau 4,5 - 6,4 m pro Stufe. An wasserwirtschaftlichen Baumaßnahmen wurden 10 km neuer Deiche realisiert, 50 km Deiche erhöht, 220 km Wirtschaftswege angelegt bei einer Verkürzung des Schifffahrtsweges um 22 km.

Parallel wurden 117 km der 260 Aller-Kilometer insgesamt bei einem Gefälle von 25 m ab 1908 ausgebaut. Überhaupt wurde 1747 bis Gifhorn gefahren und auch auf Leine und Oker. Der Plan von 1908 sah eine Kanalisierung mit 4 Staustufen bei einer Wassertiefe von 1,5 m vor. Sie wurden in den Jahren 1910 - 1916 errichtet. Heute ist aber der Schiffsverkehr wegen des Wettbewerbes von Straße und Bahn bedeutungslos geworden. Dagegen ist die Unterweser fortlaufend vertieft worden, um diesem Wettbewerb zu begegnen.

Durch den Bau des Mittellandkanals kam es zu den Anfängen der Erzeugung elektrischer Energie im Weserraum. Die Pumpen des Pumpwerkes Minden sollten durch Elektromotoren angetrieben werden. Den Strom sollte ein Wasserkraftwerk liefern. Die Standorte der Stauhaltungen, welche bei der Durchführung der Kanalisierung der Mittelweser hätten errichtet werden müssen, standen bereits fest. Preußen Elektra entschied sich für Dörverden, weil infolge der in den letzten Jahrhunderten durchgeführten Regulierungsmaßnahmen das Flussbett der Weser im Raum um Hoya vertieft und somit das Grundwasser stark abgesenkt worden war. Durch die Stauhaltung konnte der Grundwasserspiegel wieder angehoben werden.

Mit dem Unterbau der Turbinenanlage in Dörverden ist im Herbst 1911 begonnen worden. Im November 1912 wurde die Baugrube für Kraftwerk und Wehr durch Hochwasser überflutet. Dennoch wurde ein Jahr später die 1. kWh erzeugt.

Das Pumpwerk Minden benötigte jährlich höchstens die Hälfte der erzeugten Energiemenge von20 Mio kWh. Vorausschauend auf die weitere Entwicklung des Stromverbrauchs kam es noch vor dem 1. Weltkrieg zur Gründung der Überlandzentrale Verden-Hoya. Auch das Reichsbahnausbesserungswerk Sebaldsbrück wurde unmittelbar nach dem Krieg an die Stromversorgung angeschlossen.

Am Heiligabend des Jahres 1929 kam es infolge eines Eisstaues zum Umkippen des Wehres auf der Kraftwerkseite. In den Jahren 1931 - 33 wurde das Wehr neu errichtet.

Fast gleichzeitig mit dem Bau der Staustufe Dörverden errichtete die Stadt Bremen die Staustufe Hemelingen, die wegen der Vertiefung der Unterweser notwendig geworden war. Sie trennt die vertiefte Unterweser von der Mittelweser, wodurch eine Vertiefung der Mittelweser verhindert wird.

Als 1934 die Mündung der Aller reguliert und wenig später die Baugrube für die Schleuse Langwedel ausgehoben wurden, fand man unter einer mehrere Meter dicken Auelehmschicht auf dem alten Talboden aus Kies und Sand einen Einbaum, Töpfe und Urnen, die aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten stammen. Aus dieser Altersbestimmung ergibt sich, dass die Lehmschicht noch sehr jung ist. Veränderung der Wasserführung und des Klimas reicht allein nicht aus, um die Vervielfältigung des Lehmtransportes durch die Weser zu erklären. Daher liegt die Vermutung nahe, dass hier Eingriffe des Menschen in das Naturgeschehen bemerkbar sind. In der Tat wurde zu jener Zeit begonnen zu roden und den Waldboden urbar zu machen, so dass der Schutz des Waldes gegen Abschwemmung verloren ging.

Das ständige Überschwemmen hat die Lehmschicht luft- und wasserundurchlässig gemacht. Die Auewiesen leben nur vom Niederschlag und in Trockenzeiten verdorren sie schnell.

Der Ausbau der Mittelweser war der Anlass zu planmäßigen Versuchen, wie am besten mit dem Auelehm umzugehen sei. Versuchsfelder wurden in der Nähe von Baden bei Achim angelegt. Die Arbeiten wurden von der Mittelweser-AG finanziert und von der Landwirtschaftskammer Hannover ausgeführt. Als die Kanalisierung beendet war, konnten dann den Landwirten Vorschläge für die zweckmäßige Behandlung der Marschböden gemacht werden.

Überschwemmungen infolge Hochwassers, Veränderungen des Grundwasserspiegels durch den Wasserbau, Versumpfung stehender Gewässer wegen des Fehlens natürlicher Wasserläufe, all diese Beeinträchtigungen einer geordneten Landwirtschaft versuchte die Obrigkeit schon früh abzuwehren. Den Ansatz bildeten 1719 die beiden Ingenieuroffiziere von Wallmoden und Moring, indem sie die "große Eyter" anlegten. Die im Jahre 1886 begonnene Melioration bezweckte nunmehr die Ent- und Bewässerung des Raumes von Hoya bis Südweyhe einschließlich des gesamten Eytertales. Die Zufuhr von Wasser erfolgte durch den sogenannten Hauptkanal von Hoya und der Abfluss wurde durch die Regulierung der Eyter bewirkt. Ein Durchstich von der Mühlenkuhle zur bisherigen Eytermündung in die Weser verkürzte das Flüsschen um 2 km und ließ das Bruchwasser schneller abfließen.

Jahre später wurde 2003 vom Mittelweserverband ein Gewässerentwicklungsplan vorgestellt, der vorsieht, Eyter und Hauptkanal ökologisch voll durchgängig zu gestalten. Umfangreiche Strukturveränderungen im Flussbett, am Ufer und an den Randstreifen sollen jetzt Naturschutz und Landwirtschaft unter einen Hut bringen. Die Umsetzung des Planes ist freiwillig. Zweckverbände, Landkreise und Anliegergemeinden ringen nunmehr um die Finanzierung. Dass nichts bleibt, wie es war, bewies auch das stete Bemühen der Hansestadt Bremen über die Jahre hinweg, die Unterweser den immer größer werdenden Forderungen der Schifffahrt nach ausreichender Wassertiefe anzupassen. Die weseraufwärts einsetzende Erosion des Flussbettes drohte jetzt die Schleusenanlage Hemelingen zu unterspülen und machte einen Neubau der Staustufe erforderlich. Diese Arbeiten wurden ebenfalls 2003 abgeschlossen. Nach sechs Jahren Bauzeit ist dann 2004 der Wesertunnel zwischen Dedesdorf und Kleinensiel fertig geworden. Damit ist die Verkehrslage im Weserraum verbessert, aber auch der Fährbetrieb weiter eingeschränkt worden. Es ist absehbar, wann dieser Betrieb nur noch zur Förderung des Tourismus beitragen wird. Ein Blick auf alte Karten zeigt, dass früher, als man keine Tunnels kannte und der Brückenbau ein riskantes, kostspieliges Abenteuer war, Fähren das gewöhnliche Übergangsmittel waren, wenn man es schon nicht vorzog, das Gewässer zu durchwaten.

Panta rhei.

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